Vielleicht hätte man sich’s ja nach der Ankündigung denken können: “Rising from the ashes of the Love Parade and Love Fest is 2009’s LovEvolution – a huge DJ/dance parade down Market Street culminating in a giant outdoor dance party in Civic Center. LovEvolution is not your ordinary parade – instead of standing on the sidelines watching it go by, everyone is encouraged to dance in the streets with the 25+ floats as the parade moves by. The parade down Market Street is free, but the dance party at the end in Civic Center is $10 – not bad considering you’ll get to groove to dozens of world class DJs all around Civic Center with thousands of fellow sweaty beat lovers.”
Karin und ich wollten nur einen Ausflug nach Chinatown machen, mit dem CalTrain und der Muni, mal so gegen Mittag los. Der Bahnsteig war voller junger Menschen, deren einer gerade lautstark mit der Leitzentrale telefonierte, er warte hier nun schon seit “like more than two hours” und ob man sich bei der Zugdisposition nicht hätte vorher denken könne, dass “like verybody from like everywhere wanna like be there”. Konnten sie offensichtlich nicht, sie haben auch diesen Zug (den 3. in Folge) kurzerhand zum Express (das bedeutet, der Zug hält nur an wenigen ausgewählten Stops und San Bruno ist keiner davon) umgewidmet und die Menschen am Bahnsteig stehen lassen. Wir sind zurück, haben uns in den Garten gesetzt und es eben eine Stunde später nochmal probiert. Da war dann der 4. Ausnahme-Express angeschrieben, sowie ein Sonderzug. Dieser habe Palo Alto mit 36 Minuten Verspätung verlassen, bis er endlich pickepackevoll mit feierwilligem Jungvolk in San Bruno eintraf, wars auch knapp eine Stunde über der Zeit.
Ich wundere mich immer wieder, mit welcher Schafsgeduld der gemeine Amerikaner das hinnimmt. Uns wurde die Wartezeit von einem Herrn “versüßt”, der sich zunächst nach unserer verwandtschaftlichen Beziehung erkundigte (“your daughter?” – also bitte, die einen wollen mir ohne ID keinen Alkohlol verkaufen, die anderen unterstellen mir mit unter 9 Jahren Sex gehabt zu haben), und dann zur Sache ging. Da Karin hartnäckig vorgab, keine Fremdsprache zu verstehen, hat er mich gebeten, mit ihr ein Rendezvous zu vereinbaren. Ich könne, wenn’s unbedingt sein müsse, auch mitkommen. Endlich war meine Gelegenheit gekommen. Ich wollte es ja immer schon mal sagen, nämlich, dass sein Angebot sehr schmeichelhaft sei und ich auch dafür danke, aber… “thanks, but no thanks”.
Mit dem Gatten in spe sowie weiteren ca. 30 Menschen drückten wir uns in den überfüllten Zug und kamen vor der Toilettentür zu stehen. Kaum angefahren, fing ein großer schwarzer Mann Streit mit allen Umstehenden an (“Who call me Motherfucker? Wadda fuck you want? Wadda fuck you say? Wadda fuck you look?”) und von der anderen Seite der Toilettentür wurde Auslass begehrt.
Irgendwie konnten wir Raum schaffen,
und fünf Grazien, in Ganzkörperneonnetzstrümpfen und Federboas stöckelten aus dem maximal 1,5 quadratmetergroßen Waschräumchen. Der Anblick unterbrach selbst die Tirade des Streithammels und die Kids deeskalierten die Situation vollends mit einem spontan improvisierten Rap (da kam der besagte “Motherfucker” auch noch ein paar mal vor, war aber okay) .
Der Zug kroch in die City (normalerweise 15-20 min., heute ca. 40) und spie seine Ladung in den Bahnhof – nicht ohne, dass einer von den Jungs das vorher im Zug nicht auch noch getan hätte…
Eigentlich sind die Kids ja ganz rührend, Zahnspangen und Piercings in ungefähr gleichem Verhältnis vertreten, und trotz teilweise gewagter Kostüme doch einfach brave amerikanische Kinder vom Land. Und laut laut laut. 
Wir bestiegen den Bus nach Chinatown, vernaschten bei You’s Dim Sum erst mal ein Tablett voll Köstlichkeiten und ließen uns einfach treiben, guckten dies und das an, shoppten hier und da ein paar Mitbringsel. Das übliche Chinatowngewusele und -gelärme konnte uns heute gar nicht mehr beeindrucken. Zwischendrin trafen wir auf Drachenläufer
mit Band und als es dunkel (und kalt) wurde, machten wir uns auf den Heimweg.
Im Zug haben wir sie alle wiedergetroffen. Verfroren, in ihren leichten Outfits, die Klügeren unter den Jungs mit Natty-Bumpo-Ohrenklappenfellmützen, unter den Mädchen mit Flanellschlafanzughosen. Alle in unterschiedlichen Stadien der Bedüdelung. Aber immer noch laut laut laut.
Der Zug ist dann auch mit einer Viertelstunde Verspätung erst losgefahren. Die Zeit hat der Zugführer für seine Ermahungsansprache gebraucht. (Nicht die Füße auf die Sitze legen, nicht ohne Fahrkarte losfahren, nicht auf den dafür nicht vorgesehenen Treppen sitzen, immer brav die Zugbegleiter durchlassen. Überhaupt: einfach brav sein.)