Zermürbungstaktik

Vielleicht hätte ich nicht so spät noch einen Kaffee trinken sollen? Oder der Mond steht schief? Oder irgendetwas anderes ist verantwortlich dafür, dass ich nicht einschlafen kann. “Ist egal,” denke ich mir beim Wegdämmern, als die Kirchenglocke gegenüber den Werktätigen mitteilt, dass ihre Zeit jetzt gekommen ist, “ich schlafe dann halt bis Mittag. Ich kann das, ich bin Rentnerin.”

Hätte ich bestimmt auch getan, wenn nicht schwirrende Flügel und lautes Gurren mich hochgerissen und zum Im-Nachthemd-Drecksvögel-Wegwedeln gezwungen hätten. Ein Mal. Zwei Mal. Und obwohl ich angespannt auf das Aller-guten-Dinge-sind-drei-Mal warte, kommen sie nicht mehr. Gute Taktiker (“Kacktiker”?) sind sie, das muss ich ihnen lassen.

Neue Routinen

Früher, wenn ich nach einem Ausgehabend heimgekommen bin, habe ich im Gang Jacke und Schuhe ausgezogen und bin zum weiteren Wohnen in das hierfür vorgesehene, ja, Wohnzimmer gegangen.

HEUTE lege ich auch Schuhe und Jacke ab, schleiche aber dann strumpfsockig leise leise und ohne Licht zu machen ins Schlafzimmer, ergreife mit der einen Hand das wedelbereitliegende Taubenschreckhandtuch und reiße mit der anderen die Balkontür auf, in deren schräggestelltem Oberlicht zwei von den Vogelbiestern geglaubt haben, Nachtruhe zu finden. Die verscheuche ich und wiederhole die Prozedur ca. 10 Minuten später noch einmal, wenn sie glauben, das wäre es für diese Nacht gewesen. Meistens ist dann – zumindest für diese Nacht – gut.

Man hat mir den Tip gegeben, die Drecksviecher mit gezielten Schüssen zu vertreiben. Aus Wasserpistolen. Der erste Kaufversuch verlief erfolglos: “Wir haben keine Wasserpistolen. Aber Weihnachtsdeko.” Bin nicht sicher, ob Christbaumkugeln wirklich helfen und noch nicht so weit, es zu versuchen.

Ich geh dann mal wieder raus. Die 10 Minuten sind um.

Mysterium Mann

Ich würde zu gerne wissen, was in dem Herrn vorgeht, der im milden Licht der untergehenden Herbstabendsonne, gut sichtbar von allen im Stau heimwärts drängenden Feierabendlern, die Hose auf Halbmast in aller Seelenruhe einen Bauzaun anwichst.

Habemus TÜV

Wäre mein Auto ein Mensch und noch dazu Amerikaner, wäre es inzwischen alt genug, um legal Alkohol zu trinken.

Bei so alten Kisten hat man immer ein flaues Gefühl im Magen, wenn man dem Schrauber auf der Ausfallstraße den Auftrag erteilt: “Ein Mal durchschauen, bitte. Und TÜV.”

Vollkommen grundlos, natürlich. Wenige Stunden später kommt der erlösende Anruf: “Alles erledigt, TÜV, ASU und den Auspuff hamma a wieda festgschwoaßt”. Hach! Und danke.

Verhörte Intelligenz

Der Talkshowgast wird gefragt: “What do you remember?” Der VI ist wurscht, woran die Person sich erinnert. Sie ist viel mehr am Status der Mitgliedschaft interessiert: “Are you a member?”

Best of Kino: “Gangs of New York” (2002)

Vorausgeschickt: Mr. Scorceses gewaltiges Filmepos über schlimmen Jugendjahre Amerikas bis zum heutigen Glanz (?) gehört auf die große Leinwand.

Mitte des 19. Jahrhunderts. In Irland herrscht Hungersnot und in New York kommen täglich tausende Iren an, die sich dort im fernen Amerika ein besseres Leben erhoffen. Die, die schon da sind, wollen sie nicht haben und bekämpfen sie in blutigen Straßenschlachten mit den Werkzeugen ihrer Zunft: Schlachtermesser und -beile, Spaten, Schraubschlüssel, Ahlen, Knüppel, Keulen, alles. Große blutige Bilder.

Politiker sind korrupt. Beamte auch. Priester? Auch. Polizisten sowieso. Gerechtigkeit gibt es nicht, es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Das eine Prozent lebt in der Oberstadt in Villen mit breiten Fensterfronten, mit Marmor, Stuck und Gold, ißt vielgängig von edlem Porzellan, der Rest schuftet für Brosamen. Frauen geht es immer noch mal schlechter als Männern.

In all dem, dem Elend, den Behausungen, den Kämpfen, den Narben, dem Luxus und dem noblen, Schönen schwelgt Scorceses Kamera und er hat sich die Besten geholt, dieses Panoptikum zu beleben. Daniel Day-Lewis ist als “The Butcher” göttlich (doch, doch, das ist nicht übertrieben), Leonardo DiCaprio dem romantischen Sülzfilm entronnen auf dem Weg zum guten Schauspieler, der restliche Cast sowas von glaubhaft gut… Hach! Cameron Diaz hält sich in diesem testosterongeschwängerten Umfeld wacker.

Schon dieser Teil des Filmes ist großartig. Etwas ganz besonderes aber wird er, wenn Scorcese den Funken zünden läßt, der in diesem Fall darin besteht, dass die jungen irischen Männer frisch vom Schiff nicht nur die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen, sondern auch umgehend rekrutiert werden, für ihr neues Vaterland in den Krieg zu ziehen. Der bisher eher indiviuelle und niedergeknüppelte Widerstand mündet in einem Generalstreik. Die Bilder, die Scorcese dafür findet sind atemberaubend! Schließlich erteilt die korrupte Politik auf Weisung des verstört-empörten Kapitals der Armee den Schießbefehl. Man möchte nicht glauben, wie aktuell ein über 20 Jahre alter Film sein kann.

Zeit nehmen. Anschauen! Anschauen! Anschauen!

Wiedergelesen: Harry Bingham – “Talking to the Dead”

Es ist alles noch so ähnlich wie beim ersten Mal (https://flockblog.de/?p=38591). Sehr spannend, sehr flüssig geschrieben, gute Unterhaltung. Top geeignet, wenn man bei diesem Wetter weder einen Hund (hab ich eh nicht) noch sich selber vor die Tür jagen will.

Konstatiere: Die Halbwertzeit dieses Krimis beträgt ungefähr fünf Jahre, dann hat man genug vergessen, um wieder gefesselt zu sein.

Für die, die’s gerne ein bißchen brutaler mögen: Lesen! Für die anderen gibts genug “cozy”.

Gelesen: Fabcaro und Didier Conrad – “Asterix in Lusitanien” (Asterix Band 41) übersetzt von Klaus Jöken

Freitagfrüh, um halb zehn in Hadern: drei Damen meiner Altersgruppe holen den vorbestellten neuen Asterix noch fast druckwarm beim Buchhändler ab.

Er ist… richtig nett geworden. Die grundlegende Story hat man so oder so ähnlich schon einmal gelesen: der Lusitaner Schnurres, man kennt ihn als Gastarbeiter aus der Trabantenstadt, erbittet bei den unbeugsamen Galliern Hilfe für seinen zu Unrecht angeklagten Freund Schâoprozes.

Asterix, Obelix und Idefix reisen also ins Land der Saudade (übrigens unter den ersten zehn auf der Hitliste unübersetzbarer Wörter), was Asterix mit “Du musst zugleich traurig und fröhlich sein!” zu erklären versucht. Statt Wildsãu gibt es Kabeljão, woran der regelmäßig errötende Obelix ebenso leidet wie an seiner unerfüllten Liebe zu Falba… nein, Oxala. Auf ihrer Mission treffen sie auf hart arbeitende und singende Lusitaner, aber auch – sehr sehr hübsch – auf das Wutrentnerpaar Mandarfjanix und Flottebine, die in ihrem Wohnkarren schöne Länder bereisen und auf die Politik daheim schimpfen.

Sehr zeitgeistig auch, wenn Fetterbonus, der blonde ungemein beleibte Statthalter Roms in Lusitanien, im Bade suhlend die Gästeliste für ein Sponsorendinner auf seiner Luxusjacht “Davos” diktiert: Marcus Zuckergus, der Herrscher über die Informationspapyri, der Fastfoodking Royaltschis, Steuertrix, der Schweizer Bänker, der Wagenhersteller Vauwepolos, Elonmus, dessen Profession unerklärt bleibt und noch einige andere.

Unsere Helden gehen untern den Tarnnamen Armdesgesetzes und Infettfrittiertes als Lusitaner verkleidet mit gefärbtem Haar in den Undercover-Einsatz, singen und tanzen saudadisch, klären den Fall, lassen Cäsar das nunmehr gerechte Urteil sprechen und kehren nach Festmahl römisch eins ins Dorf zurück, wo Festmahl römisch zwei mit Wildschwein und an den Baum gefesseltem Barden die Geschichte beschließt.

Mein ganz besonderer Lieblingsgag ist der an den britischen Komiker Ricky Gervais angelehnte Zenturio Pistorius (ja, wie der Verteidigungsminister). Der wird als Vorher/Nachher-Studie gezeigt. Im vollen Wichs und glänzender Uniform vor seiner Begegnung mit den Galliern. Und dann halt danach. Soooo hübsch!

Ist gut geworden. Das kann/darf/soll man lesen.

Nostalgie-Kino, Agatha-Christie-Double Feature: “Evil Under the Sun” (1982) und “Appointment with Death” (1988)

Fangen wir mit den Gemeinsamkeiten der beiden Krimi-Verfilmungen an: feine Leute betreibe an schönen Orten bei schönem Wetter kultivierten Müßiggang sowie giftige Konversation. Den Rüpeln aus der früheren Kolonie, denen es eh immer nur um Geldvermehrung geht, wie profan, begegnet man mit amüsierter Arroganz. Noblesse oblige. Bis Peter Ustinov als Hercule Poirot seine grauen Zellen bemühen muß, um herauszufinden, wer ein bißchen zu sehr die Contenance verloren hat. Der Fall wird aufgeklärt, immer, die Bösen der verdienten Strafe zugeführt, Ritt in den Sonnenuntergang. Alles gut.

“Evil Under the Sun” ist die helle Freude. Sehr gut besetzt, flott inszeniert, und Cole Porter swingt dazu. Hach! Insbesondere die Damen (Diana Rigg, Dame Maggie Smith, Jane Birkin…) führen sich und ihren Putz spazieren – die Hutmacher werden im Abspann eigens erwähnt und ich hätte jede ihrer Kreationen gerne getragen. Sehr Hach!

Location ist eine abgeschiedene sonnenverwöhnte Insel irgendwo in der Adria, das Hotel, in dem die britische haute volée nun aufeinandertrifft, war mal der Ferienpalast eines nicht näher benannten ausländischen Monarchen, den dieser seiner Ex-Gespielin (Dame Maggie) als Abfindung überlassen hatte. Schon das sehr hübsch. Die Schauspieler und Innen haben sichtlich Spaß, eine Zeit wieder auferstehen zu lassen, in der Britannien über die Meere herrscht, vom Rest der Welt (und, zum Beispiel, seiner mangelhaften Sanitäranlagen) ganz glücklich isoliert ist, die Nasen hoch und die Oberlippe steif, kleine rassistische Schlenker inklusive. Kurz, das Empire in all seiner Pracht, mit Königshaus und Wachablösung und für die Ewigkeit geschaffen. (Der Roman ist zwischen 1939 und 1940 entstanden und wurde 1941 erstmals veröffentlicht. Christie wußte es also schon besser.)

Regisseur Guy Hamilton läßt sich viel Zeit beim Erzählen und bringt liebenswerte Details unter. Pars pro toto: der Schurke trägt zum muskelbepackten Körper schwarze genitalbetonende Speedos und erobert den Ozean per Kopfsprung. Wenn Poirot sich zu Wasser läßt (die Szene ist tatsächlich mit einem Stapellauf vergleichbar), geht er in einem langen Bademantel und Badeschuhen gemessenen Schrittes zum Steg. Dort legt er den Mantel ordentlich ab. Darunter trägt er einen formidablen Badeanzug, mit knielangem Bein und Oberteil. Auch schwarz. Er schreitet die Treppe hinab. Der Blick schweift in die Weite. Als er feststellen muss, dass das Meer aus kaltem Wasser besteht, läßt er es kurz seine Waden belecken, macht mit den Armen ein paar Trockenschwimmzüge und sieht zu, dass er, parallel zum Steg gehend, an der anderen Treppe wieder rauskommt. Vielfach Hach! Dergleichen Episödchen gibt es mehr, aber keine so schön wie diese.

“Evil Under the Sun” – das Slowfood unter den Kinofilmen und weil Poirot seine kleinen grauen Zellen einsetzt, kann das Publikum entspannt Augen und Ohren weiden. Hach!

“Appointment with Death” ist der Versuch, diesen Erfolg zu wiederholen. Allerdings in plump und staubig, wg. Ausgrabungsstätten im Heiligen Land. Die großen Frauenrollen sind mit Amerikanerinnen besetzt, wobei Carrie Fisher ohne Zopfschnecken über den Ohren erst mal irritiert, dann aber als junge Liebhaberin ganz okay ist. Piper Laurie ist als Über-Bitch ohne Brüche vollkommen unterfordert, aber zum Glück auch bald tot. Einzig Lauren Bacalls Charakter bekommt vermeintlich etwas Tiefe – sie ist zwar gebürtige Kolonistin (halt aus Amerika), hat aber zur Veredelung einen Briten geheiratet, sich sofort auf den Marsch durch die Institutionen gemacht und vertritt das Vereinigte Königreich nun hier im Ausland als Parlamentsabgeordnete. Leider läßt Regisseur Michael Winner sie diese Figur nur als Summe der Häßlichkeitsklischees beider Nationen spielen – das scheint ihr zwar Spaß zu machen, sie könnte aber soviel mehr. Auch sie ist, wie der Angelsachse das nennt “under-used”. Selbst dem großen Sir John Gielgud traut man offensichtlich nicht zu, den very british Offizier mit einem Augenzwinkern zu spielen. Das ist alles so bierenst und darum leider fad. Zudem wird in diesem Film ein weiteres Klischee, nämlich das vom sinistren Orientalen mit dem finsteren Blick und dem Messer im langen Gewand ein wenig zu ausführlich breitgetreten. Gibt nochmal Punktabzug. “Appointment with Death” muss man sich nur ansehen, wenn man Vollständigkeitsbedarf hat.

Das Wiedersehen mit dem ersten Film in der Ustinov-spielt-Poirot-Reihe, “Death on the Nile” aus dem Jahr 1978, habe ich mir für einen der zu erwartenden langen Winterabende aufgehoben. Mega-Starbesetzung. Ich werde berichten.