Gestern Abend in der Unterfahrt: Pete Roth Trio feat. Bill Bruford

Schon eine Weile vor Einlaß formt sich eine lange Schlange gestandener Mannsbilder – und mich beschleichen Zweifel: hab ich was falsch gelesen? Falsch gebucht? Schließlich bin ich in unserem Kulturteam für Theater zuständig und eigentlich nicht Musikbeauftragte. Hmmm? Wenn ich mal ein Konzert vorschlage, dann weil es mich wegen der liebevollen fachkundigen Beschreibung im Unterfahrt-Programm anspricht oder, selten genug, weil ich die vortragenden Menschen wirklich kenne – wirklich gut bin ich auch nach den vielen Jahren im Keller noch nicht, dazu ist die Szene zu breit.

Aber gut, dann bin ich für heute Abend halt eine der wenigen Quotenfrauen und erlebe staunend ein Konzert dreier Ausnahmekünstler. Der Bandleader Pete Roth an der Gitarre, Mike Pratton am Bass und der ganz wunderbare Schlagzeuger Bill Bruford, der aussieht wie ein liebenswerter pensionierter Studienrat, aber unter anderem schon mit “Yes” und “King Crimson” gespielt hat. Großartige Kompositionen, unter anderem eine Improvisation über Dvořáks Largo aus der 9. Symphonie, demonstrieren sie unangestrengte Hoheit über alle Stilrichtungen, an denen sie gerade Freude haben.

Der Abend war lange vorher ausverkauft, die Künstler sind Hausnamen – habe ich aber alles nicht gewußt. Ich fand, wie gesagt, nur die Beschreibung recht hübsch. (Hoffentlich funktioniert der Trick auch nächste Woche wieder…)

Danke, meine Herren.

Ich möchte ein Kreisler sein

Sturmtief “Joshua” macht seinem biblischen Namenspatron alle Ehre und bläst und stürmt, als solle bis zum Ende der Nacht die ganze Wohnanstalt in Trümmern liegen. Der Lärm ist meinem Nachtschlaf gar nicht zuträglich, schon gar nicht, als es ummara fünfe rum im schräggestellten Oberlicht meines Schlafzimmerfensters, keine zwei Meter Luftlinie von meinem Kopf entfernt, guruguruth.

Ich bin unausgeschlafen, aggressiv, mies drauf und drum ist es eh schon wurscht… also springe ich im Nachthemd, mit wirrem Haar, barfuß und ohne Brille auf, hetze nach draußen, ergreife das wohlweislich bereitgelegte signalrote Abschreckhandtuch und wedele das Drecksvieh auf und fort.

Ach Mensch. Jetzt war der Balkon schon zwei Nächte in Folge vogelfrei und dieses Miststück versaut mir a) die Statistik und b) schon wieder alles mit seiner Kacke. Es mag sein, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Aber vorher sollen diese fliegenden Ratten dran glauben.

Verhörte Intelligenz

Ich hatte ja schon mehrfach über die KIs geschrieben, die unter anderem bei YouTube Videos mit Text untertiteln, und dabei zu Mißverständnissen neigen. Und weil das gar so oft vorkommt und meistens sehr schön ist, gibt es ab heute die neue Kolumne „Verhörte Intelligenz“.

Die VI hat neulich bei einem Interview, in dem eine Reporterin als “deconstructor” (also tiefschürfend analysierend) vorgestellt wurde, wieder nur halb zugehört, und mal schnell einen “Deacon Structure” erfunden. Dumm nur, dass Deacons/Diakone eher in der katholischen Kirche und nicht im Journalismus tätig sind.

Nachwuchs (Oder: S’isch au nemme des)

Die U.S. Immigration and Customs Enforcement Behörde, besser bekannt als “ICE”, deren Mitarbeiter gerade aktuell maskiert und mit unmarkierten Fahrzeugen durchs ganze Land marodieren und in Razzien Menschen, die irgendwie illegal aussehen, verhaften und irgendwo wegsperren, ICE also hat ein Problem. Obwohl massenhaft neue Planstellen geschaffen wurden, obwohl man neue Mitarbeiter mit geradezu verrückten Prämien anlockt und die Aufnahmestandards* massiv gesenkt wurden, scheitern die meisten Bewerber.

Woran das liegt? Die neuen Rekruten, konstatiert ein Personalverantwortlicher, seien mehrenteils “athletically allergic”. Ist das nicht richtig richtig hübsch?

* Physische Minimalanforderung: 15 Push-ups and 32 Sit-ups und 1,5 Meilen (2,4 km) in 14 Minuten rennen können.

Neu im Kino: “The Long Walk”

Ich wage zwei Vorhersagen: a) das ist eine von den Stephen-King-Verfilmungen, die in die Kinogeschichte eingehen wird, wie “Shawshank Redemption”, “Stand by me” und der noch sehr neue “Life of Chuck”* und b) einer von den Filmen, von denen man sagen wird, dass sie der Anfang der Karriere einiger der beteiligten jungen Schauspieler waren. Nein, ich gendere hier bewußt nicht, die einzige Frauenrolle ist “Mutter des Helden” (Judy Greer) und sie taucht nur sehr kurz auf.

Worum geht es? In einem amerikanischen Polizeistaat einer nicht näher definierten dystopischen Nachkriegszeit treten alljährlich 50 junge Männer (ein Freiwilliger aus jedem Bundesstaat) zu einem Marsch mit strengen Regeln an: das Tempo darf nicht unter drei Meilen pro Stunde fallen, der Weg unter keinen Umständen verlassen werden. Drei Verwarnungen bedeuten den Tod, der Marschierer wird auf offener Straße erschossen und liegengelassen. Beim Einlauf vor einer – gefälligst – jubelnden Menschenmenge winkt dem Sieger ein immenser Geldpreis und die Erfüllung seines Herzenswunsches, “no questions asked”. Als Zeremonienmeister fungiert der “Major” (Mark Hamill, dem diese Ekelfigur großen Spaß macht), in olivgrüner Felduniform mit dunkler Sonnenbrille, patriotische Phrasen dreschend und optisch ziemlich genau einer von den Typen, die Hegseth nicht in seiner Army haben will. Man ist vielleicht versucht, Parallelen zu den “Hunger Games” zu ziehen, läge damit aber falsch. Beim “Long Walk” ist keiner absurd oder sonstwie überzeichnet. Es ist einfach nur grausam.

Als die jungen Männer losgehen liegt über dem Anfang ein Vietnamkriegfilmvibe. Junge frische Gesichter, zuversichtlich und hoffnungsvoll – und bevor ich weitererzähle: das ist einer der wenigen Punkte, die ich an dem Film auszusetzen habe. Die Protagonisten bekommen kaum eine Hintergrundgeschichte und sind schon sehr früh auf Archetypen festgelegt.

Sei’s drum: erste Grüppchen bilden sich, wie das in Schicksalsgemeinschaften zu sein hat. Sehr organisch mit einer großartigen Chemie zwischen Raymond Garraty (Cooper Hoffmann)** und Peter McVries (David Jonsson). Und sie marschieren. Über brüchigen Asphalt mit Rissen und Schlaglöchern, durch ein verheertes Land im Verfall, an den Straßenrändern verendetes Vieh, verfallene Häuser, vergilbte verwaschene Billboards, die komfortable Zugfahrten anpreisen, brennende Straßenkreuzer (Fünfziger, Sechziger Jahre?), wenige, armselig gekleidete Menschen. Die Marschierer bekommen Krämpfe, ausführlich gezeigten Durchfall, die Wanderstiefel gehen kaputt, sie werden verwarnt. Dann wird der erste erschossen. Dann weitere. Jeder dieser Kopfschüsse wird in Großaufnahme gezeigt. Noch leiden die anderen mit. Oder sie freuen sich, wie Gary Barkovitch (Charlie Plummer), dass wieder einer ausgeschieden ist. Damit ist das Feindbild zementiert: der blondgelockte, hübsche Gary, der noch nie in seinem Leben Sport getrieben hat, aber mühelos und leichtfüßig unterwegs ist und sein Lästermaul einfach nicht halten kann. Es wird dunkel und kälter, sie marschieren im Flutlicht der Begleitfahrzeuge der Armee mit ihren schwer bewaffneten Besatzungen, manche schlafen im Gehen, nicht alle, die fallen, stehen wieder auf. Schüsse. Es ist ziemlich grausig. Und so geht es weiter. 100 Meilen geschafft. Schüsse. Noch eine Nacht. 200 Meilen. Schüsse. Fast 300 Meilen. Bis nur noch eine ganz kleine Gruppe übrig ist, in der Stebbins (Garrett Wareing) seinen großen Auftritt hat. Hut ab.

Stephen King hat die Buchvorlage Ende der Siebziger in seiner koksgetriebenen Vielschreiberphase unter dem Pseudonym Richard Bachman veröffentlicht und ich habe sie seinerzeit sehr gerne gelesen. (Das mit den Dystopien hat bei mir früh angefangen…). Er ist bei dieser Verfilmung als Produzent beteiligt, es ist also davon auszugehen, dass er zugestimmt hat, dass Buch und Film unterschiedlich enden und damit die Moral von der Geschichte eine ganz andere wird. Könnte der aktuellen politischen Situation in den USA geschuldet sein. Ich beende den blogpost über einen Film nach einem Buch von Stephen King mit dem zum aktuellen Ende passenden Slogan “No Kings” und hoffe, die Leserschaft findet das ebenso witzig wie ich. Hohoho.

* Die “Life of Chuck”-Kritik folgt bei Gelegenheit. Nur kurz: ein sehr sehr guter Film.

** Nachdem ich die ganze Zeit nicht festmachen konnte, woher ich Cooper Hoffman kenne, habe ich nachgesehen: Ich kenne ihn nicht. Er sieht nur seinem Vater Philip Seymor Hoffman so sehr ähnlich.

Nicht gelesen: Sinn Lee – “Taken by the Haunted HDMI Cable”

Es gibt, wie ich heute bei Stephen Colbert erfahre, auf dem Literaturmarkt nicht nur diese unsägliche (Young)-Adult-“Steamy”-Romance-Welle, sondern auch, was die lesende Fachfrau als “Weird Erotica”* bezeichnet. Das ist dann sowas:

und erzählt davon, wie eine junge Frau in ihr jüngst geerbtes Spukhaus einzieht, vom Umzug erschöpft vor dem Fernseher einschläft und davon wach wird, wie sich das verwunschenes HDMI-Kabel an ihr vergreift. Genau, wie es der Titel verheißt.

Wer schreibt sowas? Wer liest sowas?

* Weil ich ja gar keine Ahnung hatte, habe ich eine Suchmaschine befragt. Das war der erste Treffer: https://www.goodreads.com/shelf/show/weird-erotica. Seit ich das gesehen habe, möchte ich mich mit dem Thema nicht weiter beschäftigen.

Best of Kino: Double-Feature “Kill Bill 1+2”

Ich hatte die “Kill-Bill”-Gewaltorgien schon eine Weile nicht mehr gesehen und stelle fest, dass ich von Mal zu Mal mehr von Tarantino als Autor und Schauspielerauswähler und Regisseur begeistert bin.

Anschauen! Anschauen! Anschauen!

Mehr sog i ned.

Nächste Runde

Seit ein paar Wochen habe ich, wenn ich, wie wir Renterinnen das tun, von Tages- zu Abendfreizeit wechsle, neue Pflichten: ich gehe auf Patrouille. Unterbreche also ab ca. Einbruch der Dämmerung in ca. stündlichen Abständen, was immer ich gerade Erfreuliches tue und schaue auf dem Balkon nach, ob sie wieder da sind. Sie: die Tauben, die Dreckvögel, die Mistviecher.

Gestern Abend sah es zuerst gut aus. Kein Vogel, nirgends. Nicht bei der ersten Überprüfung, nicht bei der zweiten. Bei der dritten, es ist schon sehr dunkel und ich bin sehr kurzsichtig, muss ich arg nah dran. Was ist das? Täuschen mich meine schlechten Augen? Meine Abschreckungsbürsteninstallation scheint in den letzten 60 Minuten zugenommen zu haben. Das liegt daran, dass darüber, darunter, daneben, darauf, dazwischen fünf (5!) dick aufgeplusterte Tauben schlacken (das ist meine Wortkreation aus schlafen+kacken), mir will scheinen, die ganz hinten schnarcht sogar leise pfeifend.

Jetzt aber! Ich habe doch nicht den ganzen Abend für nichts Fortbildungsfilme angeschaut (dazu gleich mehr). Ich schlage das vorsorglich mitgeführte Handtuch mit einem Knall, der herkömmliche Peitschen erblassen läßt, gegen die Bürstenbettstatt und wedele wild weiter, den aufgescheuchten Miststücken mit einer Auswahl schönster Begleitflüche hinterher. Dann bleibe ich mich mit gezücktem Handtuch auf eine Zigarettenlänge draußen. Ganz still und stumm. Bis die erste und die zweite hoffnungsfroh wieder angeflattert kommen, als wäre nichts gewesen. Von wegen! Die Aggression, die der schwirrende Flügelschlag inzwischen bei mir hervorruft, packe ich in den nächsten Handtuchschwung. Huiiii – und weg sind sie. Für diese Nacht ist die Belagerung aufgehoben. Aber sie bleiben hartnäckig – heute morgen waren schon wieder welche da.

Ein Freund hat mir den Tip gegeben, ein Netz zu spannen. Muss es wirklich soweit kommen, dass ich mich einsperre, um diese Drecksvögel auszusperren?

Bürgerpflicht

Die Stadt München sucht für die Kommunalwahlen nächsten März perfekt gegendert Wahlhelfende. Denke ich, das kann ich ja machen, ich hab ja jetzt Zeit und logge mich flugs unter https://stadt.muenchen.de/infos/wahlhelferundwahlhelferinnen.html ein und klicke weiter zum Wahlhelferportal (einmal gegendert muss offensichtlich reichen). Dafür, sagt mir das Portal, habe ich keine Berechtigung. Ah? Neihein, finde ich heraus, mir fehlt dazu eine “BayernID”. Meine Bereitschaft schwindet, allein schon angesichts der sichtlich vom dem Praktikanten (“Praktikantenden”?), der das mit den Screenshots raus hat, erstellten Powerpointpräsentation mit den “10 Schritten zur BayernID” (s. https://stadt.muenchen.de/dam/jcr:22eed365-dc42-418a-9522-dc6ef222225b/Anmeldung%20BayernID_Wahlamt.pdf). Gute Güte.

Nein, ich stelle mich jetzt nicht an. Ich mach das. Es dauert knapp sechs Minuten, aber dann habe ich eine “BayernID”. Yeaahh! Also frisch noch einmal auf den “Wahlhelfer-Portal”-Link geklickt. Fehlermeldung. Weiterhin. Mist. Aber jetzt ziehe ich das durch, ich wende mich an “Muckl”, den KI-Chatbot der Stadt München. Muckl ist überfordert. Er versteht die Frage nicht, ich formuliere um. Er versteht immer noch nicht. Ich hole aus. Nun ist ihm die Frage zu lang. Echt jetzt? Ich mag nimmer.

Fangt euch doch eure Wahlhelfenden sonstwo.

Aus dem Vokabelheft

Irgendein Spammer aus China hat sich in den Kopf gesetzt, dass er von mir “Fußballenhallenschuhen” bekommen will und schickt mir dazu ständig SMS.

Nein, Sie Spammer, das Schuhwerk habe ich nicht. Aber danke, dass Sie die deutsche Sprache um so ein schönes neues Wort erweitert haben.