Wie? Vorbei?

Noch ein letztes Mal dem Feuerball beim Aufsteigen aus dem Azul zugesehen, mein bißchen Zeug in den Koffer geworfen (dieses Mal nehme ich die noch-für-einmal-Ferien-gut-Klamotten wirklich nicht wieder mit nach Hause), der um einiges vor der Zeit angekommenen Nachmieterin Jenny gute Ratschläge, Münzgeld und die Herren Norrell und Strange gegeben und dann von Tonatiuh, der heißt und aussieht wie ein aztekischer Sonnengott, aber im richtigen Leben Surfer ist (und Anwalt, “a Surfer-Lawyer-Dude”) zum Flughafen bringen lassen.

In SFO erlebe ich zum ersten Mal, daß an der Immigration die Schlange bei “Visitors” nur ganz kurz ist (und ich die einzige Kaukasiern bin), die bei “Citizens” hingegen wirklich lang; das gleichen die Herren Einreisebeamten aber dadurch aus, daß sie unsere Schlange solchermaßen lahm abfertigen, daß bei “Citizens” schon lange keiner mehr ansteht, als ich endlich drankomme.

Wurscht. Yücel aus Izmir bringt mich mit seinem Taxi heim, Sam hat zur Begrüßung Rasen gemäht und Hecke geschnitten. Das macht er immer, damit ich auch ja merke, wie gut ichs hier habe. Weiß ich doch, Mann – und danke vielmals!

Schee wars!

Adios Mexico! Muchas gracias!

“O Himmel, strahlender Azur! Enormer Wind, die Segel bläh!… “*

Der Mensch gewöhnt sich ja immer schnell, zum Beispiel daran, daß er nach viel zu früher Bettflucht jeden Morgen in den Genuß kommt, der Sonne beim Aufstehen zuzusehen. Stahlgraues Meer, kein Lüftchen, der erste Rosenstreifen am Horizont und dann steigt der grellorange Ball in den Himmel auf und spendet Wärme. Eine halbe Stunde später ist es Hitze und frau geht rein, Kaffee kochen und Sonnenhut holen.

Heute nicht. Heute funzelt irgendwo weit hinten ein bißchen helleres Licht durch eine dicke dunkelgraue Wolkendecke – das will ich gar nicht sehen, da schlafe ich einfach nochmal eine Runde. Ein weiser Entschluß, zwei Stunden später lacht die liebe Sonne wieder und hat sogar ihren Freund Kühle Brise mitgebracht. Das paßt, ich wollte eh vormittags shoppen und erst nachmittags an den Strand. Schnell den Ortsbus niedergewunken, dem Fahrer abgezählte 11 Pesos fuffzich in die Hand gedrückt und Bescheid gesagt, daß ich bei MEGA rauswill – wie gesagt, man gewöhnt sich schnell.

Mein Mitbringsel sind wie immer eßbar:Traubensalz (violett), Mangosalz (leuchtgelb), scharfe Salsas in braun, rot, grün und unbestimmt, Kaffee, gewürzt mit Zimt und Nelken, Queso mit Chilikruste, Pan dulce und… uiiiii, gerade kommen frische Scampi an. Ich sacke ein Dutzend ein (kosten umgerechnet noch nicht mal zwei US-Dollar) sowie ein frisches Knusperbrötchen. Mein Abendessen für heute ist gebongt.

Am Strand sind wir heute mehr als sonst. Kühle Brise, seine Kumpel Kalter Aufwind, Frisches Lüftchen, Sehr Frisches Lüftchen und ihr kleiner Cousin Sandaufwirbler. Der Kleine zeigt alle Symptome von ADHS und kann gar keinen Moment Ruhe geben. Balg, elendes! Dann gehe ich eben ins Wasser! Ich schüttele Sand aus Buch, Handtuch, Sandalen, verstaue alles in meiner Badetasche und betrete den Pazifik. Der hat offensichtlich sauschlecht geschlafen und auf jemanden gewartet, an dem er sein Mütchen kühlen kann. Er schmeißt mich hin und her und rollt dicke Wellen über mich und ich habe echt zu kämpfen, bis ich wieder Terra Firma unter mir habe. (Es hätte mir vielleicht zu denken geben sollen, daß die Surfer und ihre Bretter nicht im Wasser waren.) Sandaufwirbler freut sich unheimlich, daß ich wieder da bin und spielt mit mir „Panieren“. Scheißspiel! Ich habe Sand zwischen den Zähnen, in Ohren, Augen, Haaren, Nabel, Schuhen. Ich knirsche heim, dusche alles wieder in den Pazifik zurück – verschluck dich doch an meinem Seifenschaum, du Schurke! – und beschließe den Nachmittag auf meinem Balkon. Aus dieser Perspektive glitzert vor mir ein Ozean in samtigem Krönungsblau, geschmückt mit Mondschaumhäubchen. Ick kenne dir, du Wasser! Darauf falle ich nicht noch mal rein! Das hast du nun davon:

Morgen reise ich ab.

 

* Danke an Herrn B. aus A. für das Motto

Wider den Fundamentalismus!

Bevor seine Passagiere auch nur sitzen und ihre Schwimmwesten angelegt haben, will der Kapitän wissen, ob sie „ready for fun“ sind.

Ich für meinen Teil bin hier, um Wale zu sehen. Unfaßbar große Tiere, die friedfertig durch Meere ziehen, mit Herzen größer als Kleinwagen. Ich will das erfahren, erfassen, genießen. Das macht mir große Freude, aber nicht zwingend „Fun“.

Das schert den Kapitän wenig, in Abständen von ca. 10 Minuten läßt er gröhlen und mit den Armen wedeln und sich und allen anderen Anwesenden vor allem lauthals bestätigen, wieviel Spaß sie haben!

Hrrrgggnn! Wenn ich die Augen schließe, mein Gesicht in die Sonne recke mit den Wellen wiege, dann ist mir nicht übel. Im Gegenteil! Ich genieße und will das in Ruhe tun. Eins mit mir und dem Universum. Das geht weit über Spaß hinaus. Versteht das denn hier keiner?

Es ist doch kein Gradmesser für den “Erfolg” einer Walgucktour, ob der vielknipsende Herr für heute genug Bilder gemacht hat, damit wir umkehren können. Hat er. Dann aber volle Fahrt voraus! Im Städtchen warten Touristenpflichten! Muß man wirklich mit einem Affenzacken gen Hafen rasen und sich schon wieder mit anderen Booten ein Wettrennen liefern (erst zum Wal, dann zum Hafen)? Fun! Fun! Fun! Könnte man nicht genauso gut, ach was, viel besser, in Ruhe Richtung Festland dümpeln? Ereignis- und wettbewerbsfrei? Und die Fahrt einfach still genießen?

Ich will gar nicht diesen ganzen Entschleunigungs-Priestern das Wort reden. Nur: Spaß ist nicht, wenns laut ist, bunt ist und schnell geht!

For a fun-free universe!

 

PS: Ich verlasse mich darauf, daß mir wer Bescheid sagt, wenn ich gar zu misanthropisch werde.

Waltag

Carlos, „das schönste Toupet von Mexico“, fährt vor, um mich zum Wale gucken abzuholen und ich Glückskind habe den Bus und Carlos ganz für mich alleine. Auf dem Weg nach Cabo San Lucas erklärt er mir Flora (wenig und wenn, Kakteen, wg. Wüstenklima), Fauna (Schmetterlinge und Nagetiere), Weihnachtsbräuche (viel essen, vor allem Kuchen), die Welt (durcheinander) und den Papst (zu modern). Meine Engerlen wieder!

Dann fahren wir in der Partystadt ein („Soup of the Day? – More Tequilla“) und hier ist Ballermann und Happy Hour bis morgen früh, bumsfallera und viel zu viele leichtbekleidete Rothäute in Grellfarben und kurzen Hosen. Carlos schiebt mich an denen vorbei, organisiert, tut und macht und verabschiedet Boot Nr. 3 und mich winkend. Auf dem grellgelben Gummiboot sind die Sitze mittig in zwei Reihen nebeneinander angeordnet und die Passagiere steigen auf den ihnen zugewiesenen Platz auf und reiten auf den Wogen. Erst zum „Arch“, dann zu einem Felsen, der „Scooby Doo-Rock“ heißt, weil er so aussieht. Wir werfen einen Blick auf Land’s End, wo Pazifik und Mar de Cortez aufeinandertreffen und dann geht es hinaus auf die offene See. Alle sind gleichermaßen auf dem Ausguck, keiner hält sich an die „Wal auf soundsoviel Uhr“-Regel, sondern schreit bei der ersten Walsichtung nur „da, da, da“ und deutet in die Richtung. Das ist aber auch mal ein sehr freundlicher Wal! Erst ein bißchen Fontänen pusten und nachdem er alle Aufmerksamkeit sicher hat, schön aus dem Wasser springen und spektakulär wieder landen. Wir haben ein Riesenglück und sehen noch dreieinhalb mehr Wale, wovon einer gerade mal eine Wellenlänge* entfernt neben unserem Bootchen auftaucht. Sehr sehr sehr schön! Nach zweieinhalb Stunden teilweise heftigen Wellengangs weiß ich allerdings eines bestimmt: über meiner Wiege stand kein reitender Stern. Ganz und gar nicht! Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis sich meine O-Beine strecken und ich wieder normal gehen kann.

Carlos wartet schon: ich kann mich jetzt entweder ein Stündchen ohne Aufsicht hier herumtreiben und er holt woanders andere Leute ab, oder… Die andere Option wäre wahrscheinlich gewesen, gleich nach Hause und ins Bett oder so, aber auf die warte ich gar nicht erst. Gucken und vor allem Beine vertreten, das ist jetzt genau das Richtige.

Eine Stunde später. So, jetzt habe ich Wale geritten (so gut wie), eine Stadt besichtigt, nichts, nichts und nichts bei irgendeinem Straßenhändler gekauft; jetzt habe ich Hunger. Carlos bringt uns zu einem Fischrestaurant und dann sind wir beide etwas verblüfft. Ich, weil er wieder ins Auto steigt, um dort auf mich zu warten, er, weil ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen bin, daß ich ihn zum Essen einlade. Wir können das aber ganz schnell klären und dann lehrt Carlos mich ordentlich Tacos essen**. Es ist eigentlich ganz einfach, wenn einem die Soße nicht vom Kinn rinnt und die Augen nicht tränen, taugt der Taco nix.

Als Carlos sich vor meiner Haustür verabschiedet, bricht es aus ihm heraus: nicht nur „prosperidad“ (Wohlstand) soll mir das Neue Jahr bringen, sondern „abundancia“ (Überfluß) und zwar „para siempre“ (für immer). Ein sarkastischer Amerikaner würde jetzt sagen: „There’s no such thing like a free lunch“. Ich finds trotzdem nett.

 

* 1 Wellenlänge im Wasser entspricht ca. 1 Steinwurf auf dem Festland – diese Maßeinheit habe ich heute erfunden und die gildet hiermit.

** Falls mal wer in der Gegend ist: http://www.tacosgardenias.com/

Übrigens

Musik ist nicht immer ein Zeichen dafür, daß es irgendwo Essen und Trinken gibt. Manchmal ist es auch nur die schnauzbärtige Dorfjugend, die sich mit ihren Pick-ups und Bumm-Bumm-Bumm-Musik bis zum Anschlag aufgedreht der Akustik wegen in der Unterführung zusammenrottet.

Auslesetag

Weil das Buch, das ich als Ferienhausaufgabe gekriegt hatte, nicht rechtzeitig angekommen ist, mußte ich für den Anfang auf ein anderes Übertausendseitenwerk vom Ungelesenstapel zurückgreifen, „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ von Susanna Clarke. Ich muß, bevor ich mit der Kritik auch nur anfange, sehr über amerikanische Taschenbuchverlage (hier: TOR) schimpfen. Man kann so ein dickes Buch nämlich nur lesen, in dem man ihm den Rücken bricht. Wieder und wieder. Ich tue das nicht gerne. Ich finde nicht, daß ein Buch nach drei Lesetagen aussehen muß, als seien mongolische Horden darüber weggeritten – und zwar sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg und auf jedem Umweg auch noch.

Aber genug von der Optik, wie steht’s um den Inhalt? Gut. Sehr gut sogar. Frau Clarke hat ein Buch über die Geschichte Britanniens um das Jahr 1800 herum geschrieben. Klingt trocken? Ist es aber nicht, wenn man sich wie die Autorin eine Schelmenstück leistet und die Geschicke Albions in die Hände zweier Magier legt und so ein kluges, fast wissenschaftlich anmutendes Buch verfaßt und bei Fußnoten, Querverweisen, Quellenliteratur eine ganze Bibliothek zusammenphantasiert. Wer wissen will, warum Napoleon in Waterloo wirklich verloren hat, ist hier richtig. Darüber hinaus kennt sie ihre Jane Austen und nimmt reichtlich Anleihen in Stil und Duktus, was mir sehr große Freude gemacht hat, weil ich fiese kleine treffende Nadelspitzbeobachtungen sehr schätze. Man muß diesen Stil mögen; ich habe auf den ersten 200 Seiten ein paar Mal mit mir gerungen, ob mir das nicht doch zu langweilig und betulich daherkommt, umso mehr als der einzige Held der ersten paar hundert Seiten, Mr. Norrell, ein unglaublicher Langweiler ist. Ich kann auch nicht behaupten, daß das Buch irgendwann so richtig Fahrt aufnimmt, nein, das nicht, aber Frau Clarke spinnt eine Unmenge an Handlungsfäden um die halbe echte Welt und alle Feen- und sonstigen Zwischenwelten und es gelingt ihr, die zu einem richtig guten und stimmigen Zopf zu flechten, ohne auch nur einen zu verlieren. Es macht sehr viel Spaß zu sehen, wie sie sich an den Schurken unter ihren Figuren rächt (und zu den Guten gut ist). Jetzt bin ich durch. Leider.

Merke: Bloß, weil ich kein Weihnachten feiere, heißt das offensichtlich nicht, daß sich andere nicht doch freinehmen. Ich habs bei drei Restaurants in Gehentfernung versucht, aber heute will mir keiner kochen. Dann gibts eben Käsebrot und das nächste Buch.

Neuzugang

Letzte Nacht ist hier ein Wesen einzogen. Ich kenne weder Gattung noch Namen, weiß auch nicht, wie es aussieht. Aber es klingt wie das Resultat einer leidenschaftlichen Beziehung zwischen Grille und Frosch. Vermutlich versehentlich, vermutlich nach einer 24-Stunden-Happy Hour.

Nimm dir mal ein Beispiel an den vielen vielen Schmetterlingen, du Brüllaff. Die gaukeln stumm.

Eins noch

Was habe ich für eine schöne neue Hüfte!

Beim Stadtrumlaufen wars wie früher, einfach rumlaufen, hier noch gucken, da nochmal um die Ecke und nicht wie in den letzten paar Jahren, wo ich mit jedem Schrittchen haushalten mußte, weil irgendwann die Schmerzen nicht mehr zu ertragen waren.

Treppensteigen klappt bestimmt auch bald.

Stadttag oder „Wo man singt…“

Der Bus, versichert mit der Wachmann von der Wohnanlage gegenüber, die einen mit ihren weißgeschlämmten Wänden und blauen Kuppelchen immer denken läßt, sie sei gerade von einem Tausendundeinernachtteppich gerutscht, aber „Mykonos“ heißt, der Bus halte an der Haltestelle, gleich 20 Meter von hier Richtung Cabo San Lucas. „Meter“ sagt er noch mal, weil die Hiesigen alle Touristen für Amerikaner halten und wissen, daß die mit dergleichen Längenangaben überfordert sind. Ich ja nicht, ich nämlich altes Europa, so wie Mykonos auch – gracias Herr Wachmann, und lassen Sie sich’s gesagt sein, das sind eher 40 als 20 Meter, aber ich bin ja nicht so. Hab schließlich Ferien.

Die Busse fahren ungefähr alle 20 Minuten und an Feiertagen weniger häufig, das kümmert meine wie üblich zu Beginn einer Reise vollzählig angetretene Schutzengel-Squad überhaupt nicht und sie lassen den nächsten nach noch nicht mal drei Minuten vorfahren. Eine Busfahrt kostet 1 US-Dollar (kleinstmöglicher Schein) oder 5 Pesos, und führt auf der „Carretera transpeninsular“ vorbei an einer Wiederaufbauzone. Ich weiß, daß es den anderen zerstörten Häusern gegenüber gar nicht nett ist, aber am trübsten war das dach- und fensterlose verdreckte Kinderparadies von M   ona  ‘   mit einem Rest Gebäude in Graunacktbeton dran. Im übrigen Hut ab vor der Wiederstandsfähigkeit des Apostrophs.

Ich gucke links, ich gucke rechts, bis ein freundlicher Herr mir auf die Schulter tippt. Hier sei „Centro“, da müsse ich raus. Aha. Das sieht aus wie „Drecko“ oder „Staubo“, aber bestimmt nicht wie eine Altstadt mit Plaza und Missionskirche und künstlerischem Flair. An mir vorbei geht ein anderer Herr in buntem Hemd und mit einer Gitarre auf dem Rücken Richtung sehr baufällige Treppe – ich beschließe, ihm zu folgen, denn einer der Musik macht, braucht Publikum, am besten zahlungsfähige Touristen, die das Centro schon gefunden haben. Als wir beide mit eisernem Griff am ebensolchen Geländer unten angekommen sind, sehe ich: der Herr hinkt. Gut. Dann komme ich auf jeden Fall hinterher. Von wegen. Er ist wesentlich geübter im Umgang mit Gehwegverstopfern und Straßenverkehr, und ich habe meiner Touristenpflicht zu genügen und Bildle zu machen – nach drei Blocks hat er mich abgehängt. Ich gehe grob in die von ihm vorgegebene Richtung weiter und siehe da, meine Squad hat ihm eingegeben, auf den Stufen vor dem Postamt zu rasten, bis ich zu ihm aufgeschlossen habe.

Sie sind jetzt schon zu zweit, zwei Herren mit Schnauzbärten, gegelten Haaren, buntgemusteren Hemden und Gitarren auf dem Rücken; bis wir im Stadtzentrum angekommen sind, sind es drei. Bevor das so weitergeht und ich einer ganzen Mariachi-Band folge, gehe ich erst mal ins Rathaus, wo mich ein Herr mit weißer Schiebermütze, Schnauzbart und gegeltem Haar (keine Gitarre) mit Handschlag in seiner wunderschönen Stadt willkommen heißt und nach meinem Begehr fragt. Ich Depp frage nach einem Stadtplan, dabei hätte womöglich ich die Schlüssel zur Stadt kriegen können. Weißmützchen ist nämlich, wie mir die Fremdenverkehrsdame zuflüstert, der Bürgermeister. Naja, ein Stadtplan für umme ist doch auch schön. Ich besichtige den Magistrat (das Gebäude hätte ich sofort genommen und fürderhin auf der Terasse meiner Hazienda dicke Cubanos geraucht und agavensiruphaltige Getränke zu mir genommen), eine anderthalbmannshohe Statue aus Sand, Revolutionsköpfe, Missionskirche, dies und das an Historie und mindestens vier Krippenszenen, wobei in allen die Krippe noch leer war, was der knienden Mariamuttergottes durch die Bank einen eher verwirrten Gesichtsausdruck bescherte. Aber nix zu machen, das Kind kommt erst heute Abend. Auf der Plaza steht ein hoher Weihnachtsbaum aus Plastik, umgeben von ein paar Aufblasschneemännern, denen allen schon die Luft ausgegangen ist und jetzt sieht es aus, als lägen unter dem Baum bleiche Weißwurstpellen. Überhaupt, Weihnachtsdekorationen haben bei strahlendblauem Himmel und großer Hitze etwas sehr Surreales.

Genau, Kunst. Da war was. Hier gibt es ein sehr schönes verwinkeltes Künstlerviertel mit allerlei Gallerien, in denen allerlei Schönes und ganz schön viel Schreckliches anzusehen ist. Ich suche mir ein besonders schnuckeliges Art-Café aus, bedauerlicherweise ist die Schankdame gerade dabei, die Stühle aneinanderzuketten, weil sie heute früher Schluß macht. Ich weiß eigentlich immer noch nicht genau, wie wir das mit Zeichensprache und viel Lächeln hinbekommen haben, aber ich kriege einen Kaffee und ein Sitzkissen und setze mich auf ein Mäuerchen in den Schatten, bis sie die Stühle angekettet, das Geschirr gespült, die Kasse abgerechnet, mit ihrer Mama telefoniert und den Müll rausgebracht hat. Dann trödelt sie noch ein bißchen rum, bis ich ihr bedeute, daß ich ausgetrunken habe und dann gehen wir gemeinsam und ich halte ihre Handtasche, damit sie das Törchen mit beiden Händen zuziehen und absperren kann. „Odile?“ frage ich und zeige auf den aufgequollenen Türrahmen. „Clima“, antwortet sie mit einer weitausholenden Geste, die Himmel, Meer und den ganzen Rest einschließt. Spanisch ist ja so einfach…

Meer klingt eigentlich gut. Ich hätte Lust auf Hafen und wo sitzen und Wasser gucken und Fisch essen – auf der Karte ist das aber noch ein ganzes Eck. „Puerto – Wie weit?“ will ich vom Ausrufer des japanischen Restaurants wissen. Er gestikuliert, daß es zum Hafen geradezu unendlich weit sei, daß aber da vorne der Bus Nr. 5 von der Cooperativa für 5 Pesos (oder 1 Dollar) mich direkt hinbringen werde. Nach 15 Minuten Holperfahrt durch eine wüste Kakteenlandschaft bin ich ihm sehr dankbar. Nach 20 Minuten hält der Busfahrer und deutet unbestimmt nach rechts: „Puerto, Puerto“. Ich marschiere durch eine Trümmerlandschaft Richtung Meer. Überall Schutthaufen, Drecko, Staubo, Müllo, richtig schlimm. Irgendwo erklingt aber wieder Musik und ich folge ihr, genau wie heute früh und finde ein ganz reizendes kleines luftiges schattiges Strandlokal. Trinken? Aber sicher, man reicht mir einen Kübel frische hausgemachte Limonade, eine Margarita traue ich mir nach stundenlangem Herumlaufen in der Hitze und auf leeren Magen nicht wirklich zu. Trotz Happy Hour. Essen? Nein, leider, heute ist Weihnachtsbüffet, und auch erst in zwei Stunden und die Küche schon am Wirbeln. Eine Tüte Chips vielleicht? Bevor das endet wie einst in der Stawberry Lodge trinke ich brav meine Limonade und mache mich auf den Heimweg.

Morgen brauche ich wieder einen Strandtag.

Strandtag

Was man halt so tut, am ersten Tag, wenn man wo neu ist: erkunden. Die Brücke über die Straße ist keine Brücke, sondern eine Unterführung, die die Passantin zu eher ungleichen Verhältnissen mit sehr eiligen Autofahrern teilt. Merke: „Mexicans don’t have a concept of pedestrians.“

Wenn man aber heil drunter durch ist, fängt gleich der Strand an. Mit eher feinkörnigem Sand (ein Mitbringsel von Odile), der es als seine vornehmste Aufgabe ansieht, neuhinzugekommene Touristinnen mit einem Ganzkörperpeeling zu versehen. Der Pazifik meint es mit seinem Wellengang ziemlich ernst, kein Wunder, daß hier wesentlich mehr Surfer als Schwimmer unterwegs sind. Reinzukommen ist die leichtere Übung, beim Verlassen zwingen die Wellen mir eine Runde eher unwürdiger Posen auf, bis sie mich wieder an den Strand spucken. Phhhh, mich kennt hier keiner und außerdem ist eh nichts los; den paar renovierenden Bauarbeitern, die Zeuge dieses Schauspiels wurden, sei es als Pausenunterhaltung gegönnt.

Gründliche Salzwassermagenspülungen sind sehr appetitanregend. Mein Magen knurrt – und ich finde zwei Kurven weiter eine Strandbar sowie andere Touristen, die recht heftig in den Nachmittag hineintrinken. Nein, ich möchte kein Getränk mit Phantasienamen und Schirmchen drin, ich hätte lieber was zu essen. Hab aber natürlich zum Strand kaum Geld mitgenommen und muß erst mal rechnen, bevor ich bestelle. Wenn der Strandbarkurs 12 Pesos für einen Dollar sind…, dann langt mein Zwanziger lässig für Fisch Tacos und eine, ach was, ich hab Ferien, zwei Diet Cokes und anständiges Trinkgeld. Jahaha, ich weiß zu leben!

Daheim dusche ich eine kleine Strandpromenade von mir ab, der Sand ist nicht nur grobkörnig, sondern auch klebrig und lasse von Alex* bei seinem Kumpel Enrique meinen Walgucktrip buchen. Für Freitag, dabei sind Wale doch Säugetiere. Morgen und übermorgen geht nicht, wg. Weihnachten. Frage mich seitdem, wie Weihnachten bei Wals aussieht. Lichterketten auf den Flossen? Lebensmittelfarbe in den Fontänen? Man weiß es nicht, sie feiern heimlich.

Morgen werde ich versuchen, mit dem Ortsbus ins Städtchen zu reisen und neben Krempel, Kruscht und Unnötigem auch Wassernachschub zu besorgen. MEGA feiert nämlich am 25. auch.

 

* Das kommt davon, wenn sich der Vermieter beim Namenweitergeben vertippt. Mein treuer Freund und Ratgeber heißt gar nicht Axel.