Auslesetag

Weil das Buch, das ich als Ferienhausaufgabe gekriegt hatte, nicht rechtzeitig angekommen ist, mußte ich für den Anfang auf ein anderes Übertausendseitenwerk vom Ungelesenstapel zurückgreifen, „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ von Susanna Clarke. Ich muß, bevor ich mit der Kritik auch nur anfange, sehr über amerikanische Taschenbuchverlage (hier: TOR) schimpfen. Man kann so ein dickes Buch nämlich nur lesen, in dem man ihm den Rücken bricht. Wieder und wieder. Ich tue das nicht gerne. Ich finde nicht, daß ein Buch nach drei Lesetagen aussehen muß, als seien mongolische Horden darüber weggeritten – und zwar sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg und auf jedem Umweg auch noch.

Aber genug von der Optik, wie steht’s um den Inhalt? Gut. Sehr gut sogar. Frau Clarke hat ein Buch über die Geschichte Britanniens um das Jahr 1800 herum geschrieben. Klingt trocken? Ist es aber nicht, wenn man sich wie die Autorin eine Schelmenstück leistet und die Geschicke Albions in die Hände zweier Magier legt und so ein kluges, fast wissenschaftlich anmutendes Buch verfaßt und bei Fußnoten, Querverweisen, Quellenliteratur eine ganze Bibliothek zusammenphantasiert. Wer wissen will, warum Napoleon in Waterloo wirklich verloren hat, ist hier richtig. Darüber hinaus kennt sie ihre Jane Austen und nimmt reichtlich Anleihen in Stil und Duktus, was mir sehr große Freude gemacht hat, weil ich fiese kleine treffende Nadelspitzbeobachtungen sehr schätze. Man muß diesen Stil mögen; ich habe auf den ersten 200 Seiten ein paar Mal mit mir gerungen, ob mir das nicht doch zu langweilig und betulich daherkommt, umso mehr als der einzige Held der ersten paar hundert Seiten, Mr. Norrell, ein unglaublicher Langweiler ist. Ich kann auch nicht behaupten, daß das Buch irgendwann so richtig Fahrt aufnimmt, nein, das nicht, aber Frau Clarke spinnt eine Unmenge an Handlungsfäden um die halbe echte Welt und alle Feen- und sonstigen Zwischenwelten und es gelingt ihr, die zu einem richtig guten und stimmigen Zopf zu flechten, ohne auch nur einen zu verlieren. Es macht sehr viel Spaß zu sehen, wie sie sich an den Schurken unter ihren Figuren rächt (und zu den Guten gut ist). Jetzt bin ich durch. Leider.

Merke: Bloß, weil ich kein Weihnachten feiere, heißt das offensichtlich nicht, daß sich andere nicht doch freinehmen. Ich habs bei drei Restaurants in Gehentfernung versucht, aber heute will mir keiner kochen. Dann gibts eben Käsebrot und das nächste Buch.

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