Stadttag oder „Wo man singt…“

Der Bus, versichert mit der Wachmann von der Wohnanlage gegenüber, die einen mit ihren weißgeschlämmten Wänden und blauen Kuppelchen immer denken läßt, sie sei gerade von einem Tausendundeinernachtteppich gerutscht, aber „Mykonos“ heißt, der Bus halte an der Haltestelle, gleich 20 Meter von hier Richtung Cabo San Lucas. „Meter“ sagt er noch mal, weil die Hiesigen alle Touristen für Amerikaner halten und wissen, daß die mit dergleichen Längenangaben überfordert sind. Ich ja nicht, ich nämlich altes Europa, so wie Mykonos auch – gracias Herr Wachmann, und lassen Sie sich’s gesagt sein, das sind eher 40 als 20 Meter, aber ich bin ja nicht so. Hab schließlich Ferien.

Die Busse fahren ungefähr alle 20 Minuten und an Feiertagen weniger häufig, das kümmert meine wie üblich zu Beginn einer Reise vollzählig angetretene Schutzengel-Squad überhaupt nicht und sie lassen den nächsten nach noch nicht mal drei Minuten vorfahren. Eine Busfahrt kostet 1 US-Dollar (kleinstmöglicher Schein) oder 5 Pesos, und führt auf der „Carretera transpeninsular“ vorbei an einer Wiederaufbauzone. Ich weiß, daß es den anderen zerstörten Häusern gegenüber gar nicht nett ist, aber am trübsten war das dach- und fensterlose verdreckte Kinderparadies von M   ona  ‘   mit einem Rest Gebäude in Graunacktbeton dran. Im übrigen Hut ab vor der Wiederstandsfähigkeit des Apostrophs.

Ich gucke links, ich gucke rechts, bis ein freundlicher Herr mir auf die Schulter tippt. Hier sei „Centro“, da müsse ich raus. Aha. Das sieht aus wie „Drecko“ oder „Staubo“, aber bestimmt nicht wie eine Altstadt mit Plaza und Missionskirche und künstlerischem Flair. An mir vorbei geht ein anderer Herr in buntem Hemd und mit einer Gitarre auf dem Rücken Richtung sehr baufällige Treppe – ich beschließe, ihm zu folgen, denn einer der Musik macht, braucht Publikum, am besten zahlungsfähige Touristen, die das Centro schon gefunden haben. Als wir beide mit eisernem Griff am ebensolchen Geländer unten angekommen sind, sehe ich: der Herr hinkt. Gut. Dann komme ich auf jeden Fall hinterher. Von wegen. Er ist wesentlich geübter im Umgang mit Gehwegverstopfern und Straßenverkehr, und ich habe meiner Touristenpflicht zu genügen und Bildle zu machen – nach drei Blocks hat er mich abgehängt. Ich gehe grob in die von ihm vorgegebene Richtung weiter und siehe da, meine Squad hat ihm eingegeben, auf den Stufen vor dem Postamt zu rasten, bis ich zu ihm aufgeschlossen habe.

Sie sind jetzt schon zu zweit, zwei Herren mit Schnauzbärten, gegelten Haaren, buntgemusteren Hemden und Gitarren auf dem Rücken; bis wir im Stadtzentrum angekommen sind, sind es drei. Bevor das so weitergeht und ich einer ganzen Mariachi-Band folge, gehe ich erst mal ins Rathaus, wo mich ein Herr mit weißer Schiebermütze, Schnauzbart und gegeltem Haar (keine Gitarre) mit Handschlag in seiner wunderschönen Stadt willkommen heißt und nach meinem Begehr fragt. Ich Depp frage nach einem Stadtplan, dabei hätte womöglich ich die Schlüssel zur Stadt kriegen können. Weißmützchen ist nämlich, wie mir die Fremdenverkehrsdame zuflüstert, der Bürgermeister. Naja, ein Stadtplan für umme ist doch auch schön. Ich besichtige den Magistrat (das Gebäude hätte ich sofort genommen und fürderhin auf der Terasse meiner Hazienda dicke Cubanos geraucht und agavensiruphaltige Getränke zu mir genommen), eine anderthalbmannshohe Statue aus Sand, Revolutionsköpfe, Missionskirche, dies und das an Historie und mindestens vier Krippenszenen, wobei in allen die Krippe noch leer war, was der knienden Mariamuttergottes durch die Bank einen eher verwirrten Gesichtsausdruck bescherte. Aber nix zu machen, das Kind kommt erst heute Abend. Auf der Plaza steht ein hoher Weihnachtsbaum aus Plastik, umgeben von ein paar Aufblasschneemännern, denen allen schon die Luft ausgegangen ist und jetzt sieht es aus, als lägen unter dem Baum bleiche Weißwurstpellen. Überhaupt, Weihnachtsdekorationen haben bei strahlendblauem Himmel und großer Hitze etwas sehr Surreales.

Genau, Kunst. Da war was. Hier gibt es ein sehr schönes verwinkeltes Künstlerviertel mit allerlei Gallerien, in denen allerlei Schönes und ganz schön viel Schreckliches anzusehen ist. Ich suche mir ein besonders schnuckeliges Art-Café aus, bedauerlicherweise ist die Schankdame gerade dabei, die Stühle aneinanderzuketten, weil sie heute früher Schluß macht. Ich weiß eigentlich immer noch nicht genau, wie wir das mit Zeichensprache und viel Lächeln hinbekommen haben, aber ich kriege einen Kaffee und ein Sitzkissen und setze mich auf ein Mäuerchen in den Schatten, bis sie die Stühle angekettet, das Geschirr gespült, die Kasse abgerechnet, mit ihrer Mama telefoniert und den Müll rausgebracht hat. Dann trödelt sie noch ein bißchen rum, bis ich ihr bedeute, daß ich ausgetrunken habe und dann gehen wir gemeinsam und ich halte ihre Handtasche, damit sie das Törchen mit beiden Händen zuziehen und absperren kann. „Odile?“ frage ich und zeige auf den aufgequollenen Türrahmen. „Clima“, antwortet sie mit einer weitausholenden Geste, die Himmel, Meer und den ganzen Rest einschließt. Spanisch ist ja so einfach…

Meer klingt eigentlich gut. Ich hätte Lust auf Hafen und wo sitzen und Wasser gucken und Fisch essen – auf der Karte ist das aber noch ein ganzes Eck. „Puerto – Wie weit?“ will ich vom Ausrufer des japanischen Restaurants wissen. Er gestikuliert, daß es zum Hafen geradezu unendlich weit sei, daß aber da vorne der Bus Nr. 5 von der Cooperativa für 5 Pesos (oder 1 Dollar) mich direkt hinbringen werde. Nach 15 Minuten Holperfahrt durch eine wüste Kakteenlandschaft bin ich ihm sehr dankbar. Nach 20 Minuten hält der Busfahrer und deutet unbestimmt nach rechts: „Puerto, Puerto“. Ich marschiere durch eine Trümmerlandschaft Richtung Meer. Überall Schutthaufen, Drecko, Staubo, Müllo, richtig schlimm. Irgendwo erklingt aber wieder Musik und ich folge ihr, genau wie heute früh und finde ein ganz reizendes kleines luftiges schattiges Strandlokal. Trinken? Aber sicher, man reicht mir einen Kübel frische hausgemachte Limonade, eine Margarita traue ich mir nach stundenlangem Herumlaufen in der Hitze und auf leeren Magen nicht wirklich zu. Trotz Happy Hour. Essen? Nein, leider, heute ist Weihnachtsbüffet, und auch erst in zwei Stunden und die Küche schon am Wirbeln. Eine Tüte Chips vielleicht? Bevor das endet wie einst in der Stawberry Lodge trinke ich brav meine Limonade und mache mich auf den Heimweg.

Morgen brauche ich wieder einen Strandtag.

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