Nächstes Jahr

Ich glaube, das Jahr 2021 wird sich nicht so recht für Neujahrsvorsätze eignen. Hingegen höre ich allerorten das neue Vorsatzmodell “Wenn ich erst geimpft bin, dann…”

Sehr gefreut habe ich mich neulich über das 2021-Freizeitmodell eines Bekannten: “Wenn ich erst geimpft bin, dann gehe ich jeden Tag zum Essen, ins Kino, ins Theater und in die Oper. Und danach hänge ich richtig schön in einer Bar ab.”

Weißt du was, Kollege: ich komme mit.

1. Dezember

… in Tateinheit mit 1. Schneegraupelschauer auf dem Weg ins Büro sowie zum 1. Mal (selbstverständlich winterbereift) im Slalom auf aalglatten Straßen unterwegs, um “schneeverwirrten”* (selbstverständlich sommerbereiften) PKW-Betreibern ihre rutschigen Bahnen freizugeben. Am Abend zum 1. Mal das vor dem Büro wartende Auto freigekehrt und -gekratzt und dasselbe Outdoor-Event nochmal retour.

Meteorologischer Winterbeginn ist heute außerdem.

Mir täts dann auch schon wieder reichen mit dem Winter, dem greisligen.

* Für diese ausgesprochen hübsche Wortschöpfung gilt mein Dank meiner lieben Kollegin G. aus dem noch schlimmer schneeverwehten Dörth.

Gestern Abend im Live-Stream aus der Unterfahrt – PAUL ZAUNER’S BLUE BRASS FEAT. DAVID MURRAY ‘Roots & Wings’

Zwischenzeitlich hatte ich mal den Spaß an der Streamerei verloren. Es fehlte einfach zuviel. Der Kellerclub, d’Leut, der Geruch nach Essen, das Warten, dass es endlich losgeht, die unbequemen Stühle, das gemeinsame Musikerlebnis. Alles. Bääähhh.

Gestern habe ich Innerer, den alten Sauhund, und sein Rumgejammer zum Schweigen gebracht und doch mal wieder um 20:00 Uhr eingeschaltet und bin mit einem so dermaßen schönen Konzert belohnt worden. Triple-HACH in Großbuchstaben.

Murray spielt Tenorsaxophon und Baßklarinette. Zauner bläst die Posaune und was die beiden unter der würdigen (den Begriff habe ich von einem aus der Kommentarspalte geklaut) Begleitung/Unterstützung von Wolfram Derschmidt am Bass und Dusan Novakov am Schlagwerk für Klänge gezaubert haben, das war eine Klasse für sich.

So ein schönes Konzert. So ein wunderschönes Konzert!

Schade, dass die Unterfahrt nur live und nicht Konserven streamt. Den Link hätte ich gerne weitergereicht.

Novemberreise

Im traurigen Monat November war’s, die Tage wurden trüber, der Wind riß von den Bäumen das Laub… äh, halt. Nein. Ich wollte nicht einen Großen zitieren, sondern selbst ein paar Momentaufnahmen aus den 2 x 500 Kilometern Hunsrück und Zurück teilen.

Der späte November bringt es mit sich, dass man immer noch weiter von München wegfahren muss, bis es endlich Tag wird. Mit dem überraschenden Nebeneffekt, dass eine grundhäßliche Stadt wie Pforzheim in der Senke auf einmal einen ganz eigenen Charme entwickelt. Von oben hineinschrittgefahren, begleitet der müde Blick der Reisenden die noch über der Stadt stehende Nebeldecke bei ihrer Aufösung. Mir ist, als sollte ich einzelnen Sonnenstrahlen applaudieren, die, schon durchgedrungen, das eine oder andere Gebäude und (der mit dem besten Geschmack) einen schon fast entlaubten Stadtpark ins Rampenlicht heben. Dass Pforzheim schön sein kann, ist eine der überraschendsten Erkenntnisse dieser Novemberreise. Sie hätten es dorten aber mit dem Stau für die Bewunderer nicht übertreiben müssen.

Ich fahre bei und schaue um mich und denke so vor mich hin, dass die Leitungen zwischen den Hochspannungsmasten mit den schwarzen Plustervögeln darauf wie Notenlinien anmuten. Wahrscheinlich, denke ich weiter, klingt die Melodie wie eine Komposition aus dem Hause Hasselhoff, nur mit modifiziertem Text “Wir hau’n ab in den Süden…”. Wenn ich ein Vöglein wär, ich täte es ihnen sofort nach. Nämlich. (Ich bin um 04:00 Uhr nachts aufgestanden und habe jedes Recht, Schwachsinn durch mein Hirn wehen zu lassen.) Überhaupt: Vögel. Weise Tiere. Speziell Zugvögel. Später werde ich auf den Brachwiesen im Dörther Industriegebiet den kreischenden Sammelruf der Wildgänse ins Ohr gedemmelt bekommen, der die nahende Abflugzeit anzeigt. Von wegen dumme Gans!

Dann arbeiten wir drei Tage durch und am Ende des dritten Tages ist Heimfahrt angesagt. Später als geplant, wie immer, dafür im richtig dichten Tiefnebel.

Den zweiten Teil will ich also dem Nebel widmen. Und Bäumen. Der Nebel hatte sich schon den ganzen Nachmittag angeschlichen und uns, die wir harmlos auf einem letzten Sonneninselchen auf dem Hof rauchten, quasi umzingelt. Dazu denke mir meinen Stephen King. Später, auf der Fahrt, als er um Windräder wabert und noch später, als nur noch vereinzelte Bäume am Straßenrand erkennbar sind, meinen Eichendorff.

Biologen seis ins Stammbuch geschrieben: bei Bäumen unterscheidet man zwischen denen, die loslassen können und nur noch kahle Äste ins Nebelgewaber recken und Eichen. Die klammern und tragen ihr Blätterkleid in einen so sehr herrlichen grandiosen gold-gelb-erdig-sonnigen Farbton, dass ich aus dem gerne meine gesamte wolligwarme Wintergarderobe geschneidert bekäme.

Als ich dann endlich daheim bin (nachdem ich die Scheiben meines armen, treulich in der Kälte wartenden Autos freigekratzt habe), denke ich mir noch schnell meinen Hesse und dann gehe ich schlafen.

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Noch in der Mediathek: Ferdinand von Schirach – Gott

… oder, wie ich es nenne, “Die Große-Lars-Eidinger-Show”.

Es geht um die Frage, ob ein Arzt auf Verlangen seines Patienten aktive Sterbehilfe leisten muss. Unter Leitung der Ethikratvorsitzenden (Barbara Auer) diskutiert ein Expertengremium, ob oder nicht der weitgehend gesunde 78 Jahre alte und nach langjähriger Ehe verwitwete Architekt Richard Gärtner (Matthias Habich) seinem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen darf und ob seine Hausärztin (Anna Maria Mühe) das Recht hat, dafür die Unterstützung zu verweigern. In dem fürs Fernsehen adaptierte Kammerspiel interviewt das Mitglied des Ethikrats, Dr. Keller (Ina Weisse) dazu Experten.

Zunächst spricht die Verfassungsrechtlerin Professor Litten, verkörpert von der wunderbaren Christiane Paul. Selbstverständlich gebe es bereits ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar 2020. Jeder, der sterben will, darf. Es werde nur hierzulande nicht umgesetzt. In vielen Nachbarländern sei das anders und nein, es seien keine Selbstmordwellen beobachtet worden. Ja, auch Kinder dürften über ihr Leben und Sterben selbst entscheiden, auch die gesunde Dreißigjährige mit Liebeskummer, und der ebenfalls gesunde Mitvierziger, dem es jetzt reicht. Alle. Und warum auch nicht? Es gebe keine Pflicht, zu leben und keine, seinen Todeswunsch zu begründen.

Dr. Keller will das so nicht stehen lassen. Ja, aber. Euthanasie. Böse. Würde das nicht irgendwann dazu führen, dass man von alten, möglicherweise kranken Menschen geradezu erwarte, dass sie die Gesellschaft von sich befreiten? Auch Demenzkranke empfänden doch Glücksmomente. Im Garten, die Sonne im Gesicht. Die Verfassungsrichterin konzediert: Ein durchaus valider und berechtigter Gedanke. Aber kein Grund für einen dauerhaften Gesetzesverstoß, damit es nicht irgendwann mal soweit kommt. Dann grätscht Eidingers Figur ein. Der glückliche Demente, also. Aha. Für wie lange? Ein, zwei Minuten an einem Tag vielleicht. In einem Land mit Jahreszeiten angemessen angenehme Sonneneinstrahlung vorausgesetzt. Sowie ein Garten. Der Tag hat aber 23 Stunden und 58 Minuten mehr. Und jede Woche 7 davon, 365 in einem Jahr. An denen ringt der Demenzkranke nach Worten, erkennt Angehörige nicht mehr und sein Körper vergißt mit der Zeit, wie er seine Funktionen kontrolliert. Ja, Windeln, Sabbertücher, Magensonden. Das ganze Programm. Aber warum? Für die zwei Sonnenminuten, von denen keiner wissen kann, was sie dem Restmenschlein mit dem nicht mehr funktionalen Gehirn wirklich bedeuten?

Es spricht der Mediziner, Professor Sperling (Götz Schubert). Ja, aber. Depression. Medikamentös einstellbar. Und: Palliativmedizin. Würdevoll in den Tod begleitet werden. Schmerzfrei. Eidingers Klägeranwaltfigur bellt Zahlen dazwischen. Fragt kritisch-investigativ nach. Wie es denn um die Palliativkapazitäten in Deutschland so bestellt sei? Ja, schon, muß der Mediziner einräumen. Noch nicht. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die aktuelle Dreiprozentversorgung auf ein Maß angestiegen sei, das den Bedarf aller Sterbenden decke. Aber hey, besser als einen Mediziner mit in sein aktives Sterben zu ziehen. Und überhaupt, der Hippokratsche Eid. Eidingers Figur weiß es besser. Steht denn in der modernisierten Neufassung wirklich ein Sterbehilfe-Verbot? Nein, das nicht. Und nein, der Eid werde auch nicht irgendwann irgendwo offiziell geleistet. Das sei mehr eine Art moralischer Richtschnur. Popkulturell geschulte Menschen wissen spätestens seit den Karibenpiraten, was von Richtlinien dieser Art zu halten ist. Schirach läßt die organisierte Ärzteschaft nicht gut wegkommen.

Wie hältst dus mit der Religion? Man darf davon ausgehen, dass Schirach die Gretchenfrage abschlägig beantworten würde. Den Vertreter der Geistlichkeit, Bischof Thiel, den Ulrich Matthes kongenial verkörpert, läßt er keinen Fuß auf den Boden bekommen. Hatte er den Arzt noch als privilegiert-arroganten Vertreter eines Standes mit einem ganz eigenen Verständnis über den Schutz menschlichen Lebens gezeichnet, ist der Vertreter des Glaubens ein armseliges Relikt aus vergangenen Zeiten. “Leben”, läßt er ihn sagen, “ist Leiden”. Aber auch “ein Geschenk Gottes”. Es wegzuwerfen, “Sünde”. Das mag einer heute noch glauben wollen, als Doktrin funktioniert das aber spätestens seit der Aufklärung schon nicht mehr. Und dann läßt Schirach Eidingers Figur von der Leine. Das ist wörtlich zu verstehen, denn der Anwalt ist der einzige Protagonist, der immer in Bewegung ist, und im Gegensatz zu den statisch sitzenden Experten den ganzen Saal für seinen Auftritt nutzt. Großes Kino, wie er als Auftakt gleich mal der katholischen Kirche mit ihrer Unzahl an Mißbrauchsfällen die Eignung als moralische Instanz abspricht. Und weiter gehts! Mit gezücktem Tablet und einem Zitatenschatz von Hammurabi über Thomas von Aquin und immer weiter in Bewegung, argumentiert er die in die Verteidigung gedrängte Figur in Grund und Boden (Matthes spielt das Scheitern dieser armselige Figur mit dem Bäffchen grandios). Schirach läßt Religion farb- und hilflos dastehen. Ihre Zeit, zeigt er, ist vorbei. Für die Recherche zu Eidingers Argumenten darf er sich bei mir nach der Sendung ein Fleißsternchen abholen.

Im Gegensatz zu “Terror”, dem ersten derartigen Schirach-läßt-die-Nation-im-Fernsehen-über-Moral-abstimmen-Experiment, ist “Gott” in seiner Gestaltung und Argumentation wesentlich stärker auf das Ergebnis pro selbstbestimmtem Todeszeitpunkt ausgerichtet. Das zeigt auch das abschließende Abstimmungsergebnis des Publikums, mehr als 70% sprechen sich dafür aus, dass der Proband die tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital bekommen soll. Die Frage nach der Rolle des Arztes bei der Einnahme wird allerdings eleganterweise umgangen.

In einem Schulaufsatz wäre drunter gestanden: “Sehr gut argumentiert, alle Seiten aufgezeigt. Thema aber leider verfehlt.”

Nachtrag: wir geburtenstarken Jahrgänge sind viele und wir werden gerade alt. Und krank. Und pflegebedürftig. Es steht zu hoffen, dass eine der Spätfolgen der Pandemie und des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den nächsten vielen Jahren auch sein wird, dass Big Pharma und die angeschlossene Morallobby den Vertreten dieser Jahrgänge den Zugang zum eigenen Tod nicht mehr ganz so schwer macht.

Black Friday rulez!

Welche Dinge denn auf meiner Muss-ich-haben-haben-haben-Liste stünden, will eine Kollegin gestern wissen. Sie für ihren Teil könne sich, ich zitiere wörtlich, in ihren fetten Arsch beißen, dass sie den ganzen Supertag lang auf der Arbeit hängen werde, statt in Ruhe on- und offline Schnäppchen zu ergattern. Ich habe geantwortet, dass mir egal ist, welche Farbe ein Wochentag hat, weil ich trotz vieler Jahre im Mutterland des Konsums immer noch nicht gelernt habe, wie Shoppen als Hobby geht.

Man mag es bei der Einleitung gar nicht glauben, ahaber ich habe heute doch noch ganz versehentlich ein Ein-paar-Minuten-vor-Ladenschluß-muß-heute-noch-raus-Halbpreis-Maishähnchen-Schnäppchen ergattert.

Nun stehe ich da und grüble: backen oder braten? Oder Suppe? Curry? Und wenn, thai oder indisch? Oder in Anlehnung an eine ganz andere Kochnation? Ein klassisches Frikassee mit Erbschen und Möhrchen? Oder grillen? Habe das Tier in den Kühlschrank verfrachtet und werde mich morgen mit dem Problem befassen. Vielleicht habe ich dann eine Inspiration.

Feinschmecker

Wenn den Hunsrücker Gourmet sein selbstgekochtes Essen langweilt, dann geht er, falls nicht gerade wieder überall Ruhetag ist, auswärts Fremdländisches essen. Bzw. läßt derzeit liefern. Gerne italienisch. In Emmelshausen, dieser regionalen Perle, kommen auf 4862 Einwohner (Stand Dez. 2019) immerhin drei Ristorantes. Il Camino, San Marco und Loreley.

Alle drei bieten ein Gericht an, das bei meiner Mutter als Resteverwertung gerade noch so durchgegangen wäre, dort aber als kulinarische Höchstleistung gehandelt wird. Und die geht so: Drei verschiedene Nudelsorten (zB Spaghetti, Tortellini, Penne), deren al-dente-Phase lange vorbei ist, werden in Handvoll-Häufchen nebeneinander plaziert. Darauf kommt ein Lage Hackfleischtomatenpampesoße, gerne mit Sahne abgebunden und darüber eine dicke fette Lage gelblicher, im wesentlichen geschmackfreier Käse. Kurz zum Überbacken in den Ofen wuppdich, fertig ist die “Combinazione”.

Ich hatte das diese Woche quasi zwei Mal, nämlich zum ersten und ganz bestimmt letzten Mal. Versalzener Fettkohlenhydratpamp. Dann doch lieber zu Mittag das von Frau Wirtin wie immer reservierte Körner-Karottenbrötchen selbst geschmiert und belegt und abends noch einen Müsliriegel.