… oder, wie ich es nenne, “Die Große-Lars-Eidinger-Show”.
Es geht um die Frage, ob ein Arzt auf Verlangen seines Patienten aktive Sterbehilfe leisten muss. Unter Leitung der Ethikratvorsitzenden (Barbara Auer) diskutiert ein Expertengremium, ob oder nicht der weitgehend gesunde 78 Jahre alte und nach langjähriger Ehe verwitwete Architekt Richard Gärtner (Matthias Habich) seinem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen darf und ob seine Hausärztin (Anna Maria Mühe) das Recht hat, dafür die Unterstützung zu verweigern. In dem fürs Fernsehen adaptierte Kammerspiel interviewt das Mitglied des Ethikrats, Dr. Keller (Ina Weisse) dazu Experten.
Zunächst spricht die Verfassungsrechtlerin Professor Litten, verkörpert von der wunderbaren Christiane Paul. Selbstverständlich gebe es bereits ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar 2020. Jeder, der sterben will, darf. Es werde nur hierzulande nicht umgesetzt. In vielen Nachbarländern sei das anders und nein, es seien keine Selbstmordwellen beobachtet worden. Ja, auch Kinder dürften über ihr Leben und Sterben selbst entscheiden, auch die gesunde Dreißigjährige mit Liebeskummer, und der ebenfalls gesunde Mitvierziger, dem es jetzt reicht. Alle. Und warum auch nicht? Es gebe keine Pflicht, zu leben und keine, seinen Todeswunsch zu begründen.
Dr. Keller will das so nicht stehen lassen. Ja, aber. Euthanasie. Böse. Würde das nicht irgendwann dazu führen, dass man von alten, möglicherweise kranken Menschen geradezu erwarte, dass sie die Gesellschaft von sich befreiten? Auch Demenzkranke empfänden doch Glücksmomente. Im Garten, die Sonne im Gesicht. Die Verfassungsrichterin konzediert: Ein durchaus valider und berechtigter Gedanke. Aber kein Grund für einen dauerhaften Gesetzesverstoß, damit es nicht irgendwann mal soweit kommt. Dann grätscht Eidingers Figur ein. Der glückliche Demente, also. Aha. Für wie lange? Ein, zwei Minuten an einem Tag vielleicht. In einem Land mit Jahreszeiten angemessen angenehme Sonneneinstrahlung vorausgesetzt. Sowie ein Garten. Der Tag hat aber 23 Stunden und 58 Minuten mehr. Und jede Woche 7 davon, 365 in einem Jahr. An denen ringt der Demenzkranke nach Worten, erkennt Angehörige nicht mehr und sein Körper vergißt mit der Zeit, wie er seine Funktionen kontrolliert. Ja, Windeln, Sabbertücher, Magensonden. Das ganze Programm. Aber warum? Für die zwei Sonnenminuten, von denen keiner wissen kann, was sie dem Restmenschlein mit dem nicht mehr funktionalen Gehirn wirklich bedeuten?
Es spricht der Mediziner, Professor Sperling (Götz Schubert). Ja, aber. Depression. Medikamentös einstellbar. Und: Palliativmedizin. Würdevoll in den Tod begleitet werden. Schmerzfrei. Eidingers Klägeranwaltfigur bellt Zahlen dazwischen. Fragt kritisch-investigativ nach. Wie es denn um die Palliativkapazitäten in Deutschland so bestellt sei? Ja, schon, muß der Mediziner einräumen. Noch nicht. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die aktuelle Dreiprozentversorgung auf ein Maß angestiegen sei, das den Bedarf aller Sterbenden decke. Aber hey, besser als einen Mediziner mit in sein aktives Sterben zu ziehen. Und überhaupt, der Hippokratsche Eid. Eidingers Figur weiß es besser. Steht denn in der modernisierten Neufassung wirklich ein Sterbehilfe-Verbot? Nein, das nicht. Und nein, der Eid werde auch nicht irgendwann irgendwo offiziell geleistet. Das sei mehr eine Art moralischer Richtschnur. Popkulturell geschulte Menschen wissen spätestens seit den Karibenpiraten, was von Richtlinien dieser Art zu halten ist. Schirach läßt die organisierte Ärzteschaft nicht gut wegkommen.
Wie hältst dus mit der Religion? Man darf davon ausgehen, dass Schirach die Gretchenfrage abschlägig beantworten würde. Den Vertreter der Geistlichkeit, Bischof Thiel, den Ulrich Matthes kongenial verkörpert, läßt er keinen Fuß auf den Boden bekommen. Hatte er den Arzt noch als privilegiert-arroganten Vertreter eines Standes mit einem ganz eigenen Verständnis über den Schutz menschlichen Lebens gezeichnet, ist der Vertreter des Glaubens ein armseliges Relikt aus vergangenen Zeiten. “Leben”, läßt er ihn sagen, “ist Leiden”. Aber auch “ein Geschenk Gottes”. Es wegzuwerfen, “Sünde”. Das mag einer heute noch glauben wollen, als Doktrin funktioniert das aber spätestens seit der Aufklärung schon nicht mehr. Und dann läßt Schirach Eidingers Figur von der Leine. Das ist wörtlich zu verstehen, denn der Anwalt ist der einzige Protagonist, der immer in Bewegung ist, und im Gegensatz zu den statisch sitzenden Experten den ganzen Saal für seinen Auftritt nutzt. Großes Kino, wie er als Auftakt gleich mal der katholischen Kirche mit ihrer Unzahl an Mißbrauchsfällen die Eignung als moralische Instanz abspricht. Und weiter gehts! Mit gezücktem Tablet und einem Zitatenschatz von Hammurabi über Thomas von Aquin und immer weiter in Bewegung, argumentiert er die in die Verteidigung gedrängte Figur in Grund und Boden (Matthes spielt das Scheitern dieser armselige Figur mit dem Bäffchen grandios). Schirach läßt Religion farb- und hilflos dastehen. Ihre Zeit, zeigt er, ist vorbei. Für die Recherche zu Eidingers Argumenten darf er sich bei mir nach der Sendung ein Fleißsternchen abholen.
Im Gegensatz zu “Terror”, dem ersten derartigen Schirach-läßt-die-Nation-im-Fernsehen-über-Moral-abstimmen-Experiment, ist “Gott” in seiner Gestaltung und Argumentation wesentlich stärker auf das Ergebnis pro selbstbestimmtem Todeszeitpunkt ausgerichtet. Das zeigt auch das abschließende Abstimmungsergebnis des Publikums, mehr als 70% sprechen sich dafür aus, dass der Proband die tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital bekommen soll. Die Frage nach der Rolle des Arztes bei der Einnahme wird allerdings eleganterweise umgangen.
In einem Schulaufsatz wäre drunter gestanden: “Sehr gut argumentiert, alle Seiten aufgezeigt. Thema aber leider verfehlt.”
Nachtrag: wir geburtenstarken Jahrgänge sind viele und wir werden gerade alt. Und krank. Und pflegebedürftig. Es steht zu hoffen, dass eine der Spätfolgen der Pandemie und des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den nächsten vielen Jahren auch sein wird, dass Big Pharma und die angeschlossene Morallobby den Vertreten dieser Jahrgänge den Zugang zum eigenen Tod nicht mehr ganz so schwer macht.