Vorhin auf der Autobahn

Als Beifahrerin hat man ja heutzutage nix mehr zu tun. Keinen Fahrer irgendwo hin zu lotsen, keine Häppchen oder Getränke zu reichen, höchstens mal ein Pfefferminzbonbon. Das kann auf einer Fünfstundenfahrt ganz schön langweilig werden, und darum schau ich arg gern rum.

Heute nun ist mir ein seltsames Phänomen aufgefallen. Hinten an riesigen Trucks hingen unterhalb der Stoßstange so … ja wie heißt jetzt sowas? Woher soll ich das wissen? Ich rate mal. Spritzschutz? Schmutzfang? Es ist gar nicht so einfach, das Internet nach etwas zu fragen, für das einem die Worte fehlen. Geht aber. Gefunden habe ich den Begriff “Heckschürze” und die Recherche hat mich in die tiefen Abgründe der Welt der Autoverschönerung geführt. Weiah.

Phantasie und Kreativität sind keine Grenzen (außer der Breite des Lastwagens) gesetzt und die Werbung könnte verführerischer nicht formuliert sein.

Das haben bestimmt auch die Trucker gedacht, an denen wir heute vorbeifuhren: 1 x Prinzessin, 1 x Frauenpower und 1 x Bitch, in allerliebster Frakturschrift. Da waren sie sich den Blicken ihrer Truckerkollegen aber mal totsicher.

Sie sind mir allesamt allemal lieber, als das Unternehmen, das eine Doppel-D-Tief-Dekolletee-Dirndlschönheit über die ganze LKW-Länge dafür werben ließ, man habe “Steine vor der Hüttn”.

Alle Vöglein sind schon da

Als ich mich für eine Zigarettenlänge auf den Balkon meines Stammzimmers bei der Hunsrücker Frau Wirtin niederlasse, sitzen im Baum gegenüber drei schwarze Vögel (keine Ahnung welcher Art) und machen ordentlich Rabatz. Einen Dummschwafelartikel von einer Karriere-Coachesse, die einer 56-jährigen Sachbearbeiterin noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt verheißt, wenn sie nur offen, flexibel, aktiv, mutig und gut vernetzt ist, später (ja, so geht Schachtelsatz), ist der Baum rappelvoll und inzwischen weit über 60 Herren und Damen Vögel haben ihre Schlafpositionen eingenommen und halten die Schnäbel.

Bis Nachbars Katze über den Rasen schleicht. Hui, da fliegt die ganze Baumbesetzerschaft auf einmal auf und zieht wild schimpfend Kreise am Himmel. Nach ein paar Minuten beruhigt sich die Lage, und das Federvieh kehrt geschlossen zum Schlafbaum zurück.

Jetzt ist Ruhe und das letzte Licht im Schwinden. Schlaft gut und wehe, ihr holt mich morgen früh zum Sonnengruß schon aus dem Schlaf! Dann schenke ich dem Nachbarn einen Puma.

Archiv

Meine Großeltern hatten die Angewohnheit, Zeitungsartikel zu historisch bedeutsamen Themen (Kriegsende, Währungsreform, Kennedy-Attentat, Mondlandung und so weiter) fein säuberlich zusammenzufalten und dann dem vierbändigen dicken schweren Meyers Konversationslexikon einzuverleiben. Ich war eines jener Kinder, die zum Zeitvertreib in Lexika blättern und kann mich noch gut erinnern, wie spannend ich es jedes Mal fand, wenn ich wieder so ein schon recht brüchiges zeitgeschichliches Dokument entfaltete.

Nun bin ich so alt, dass ich selbst viel Zeitgeschichte erlebt habe und immer, wenn ich einen aufzubewahrenden Artikel für die Nachwelt falten will, merke ich, dass in meinem Haushalt ein Meyer fehlt. Ich hab ja noch nicht mal mehr einen großen braunen Diercke Weltatlas.

Werte Nachgeborene, wenn sich da nicht noch was tut, müßt ihr euch auf Wikipedia verlassen.

Alle mal lachen

Nach sechs Jahren erschien in der Märzausgabe der Titanic die letzte Folge der Intimschatulle von Heinz Strunk (wer sich erinnern mag, das ist der Autor von Fleisch ist mein Gemüse). Die Schatulle ist eine Art öffentliches Tagebuch voller Lappalien und Sottisen und soll dem Vernehmen nach komisch sein.

Ich habe diese beiden Seiten in diesen mehr als halben Jahrzehnt nach den ersten ein, zwei Malen nur noch quergelesen und krampfhaft versucht, irgendetwas darin zu finden, das mich zum Lachen bringt. Falls es wer geschafft hat, wäre ich dieser Person sehr verbunden, wenn sie mir den Strunkschen Witz erklärte.

Ich hoffe, es kommt was besseres nach.

Gut gewählt

Diese Woche, erzählt ein Bekannter, habe man Gäste eingeladen. “So wie früher”, zu einem gemeinsamen Mahl, Gesprächen und Getränken. Und genauso sei es auch abgelaufen. Wie geplant. Wie früher.

Wie das? Der kluge Mann ist mit einem Ärzteehepaar befreundet und statt Blumen und Bonbonnieren, so wie früher, hatten sie das Gastgeschenk der Neuzeit dabei: Covid-Tests.

@AlledafürVerantwortlichen: Das will ich auch! Her mit den Tests! Sofort!

Noch einmal schlafen,

und dann geht es aber echt los mit dem Frühling. Steht im Kalender.

Wenn nicht, dann hat die Namenspatin für das aktuelle Scheißdreckswinterwetter Hoch Margarethe den Rest ihres Nachnamens bösartig unterschlagen.

(Dieses Jahr tragen alle Hochs Frauennamen und gegen Geld kann frau Patin werden.
Interessiert? Ein Hoch kostet 360 Euro, ein Tief gibts schon für 240.
Hier: http://www.met.fu-berlin.de/wetterpate/preise/)

Der nämlich, so verfüge ich, soll hinfort lauten: Margarethe Solte-Sich-Schämen! Hah!

Nur ein Viertelstündchen

Der Billigklamottenladen in der Passage unten kündet auf großen Plakaten, dass alles raus muss und dafür die Preise um 70% oder mehr gesenkt seien. Hmmmm. Ich war schon so ewig nicht mehr shoppen… und menschenleer ist da drin auch… und ich bin Schwäbin… sollte ich vielleicht einfach mal…?

Also “einfach mal” geht schon gar mal gar nicht. Sagt die diensthabende Zerbera und will wissen, ob ich denn einen Termin…? Nein, sag ich. Hab ich nicht. Aber es ist ja außer mir niemand da und ich verspreche, von mir Abstand zu halten. Maske sowieso. Sie schreibt mich ein und ich bekomme die Hände desinfiziert sowie ein Zeitfenster von 15 Minuten zugeteilt. Daran müsse ich mich halten, für später habe sie “Vormerkungen”. “Zwei Paare. Dann ist mein Laden voll.”

Is ja gut. Ich quetsche mich durch die vollen Winterwarendrehständer mit den roten Reduzierfähnchen (die pastellige Frühjahrsware hängt schon an den Wandständern und die anderen stehen normalerweise draußen und stopfen nicht die Verkaufsfläche voll), gucke hier und da und brauche eigentlich nix. Doch. Socken. Meine haben kollektiv über diesen viel zu langen Winter Löcher gekriegt. Also. Ein Paar, zwei Paar, “wenn sie drei nehmen, kriegen sie jedes Paar für 99 Cent”. So ist das also, wenn auf eine Kundin eine Verkäuferin kommt. Keine Socke unbeobachtet. Dann also: Drei Paar. “Unterwäsche wäre auch im Angebot”. Also durchgeschoben zum Unterwäscheständer. “Nein, das ist nicht die Angebotsware. Die ist hier. In Ihrer Größe haben wir auch noch einiges da.” Ein Dreierpack. Noch einer. Das langt dann eigentlich. “Sie haben noch vier Minuten.” Huiuiui. Unter Druck entscheide ich mich bekanntermaßen immer schnell. Flugs noch einen warmen Pullover gegriffen, und nun eilends bezahlen, vor dem Laden scharren schon achthufig die beiden oben erwähnten Paare. Während die Verkaufsdame die Etiketten abschreibt, weil “die Reduktionen nicht in der Kasse” sind, finde ich davor im Quengelkruschtelkorb noch zwei Haargummis und dann habe ich endlich eine Tüte voll Zeug geshoppt. Für so wenig Geld, dass ich mich schämen sollte.

Tue ich aber nicht. Meine Innere Ländle-ExPat freut sich über den Extra-10%-Click-and-Greet-Rabatt (unverdient noch dazu, habe weder geklickt und gegrüßt) und dann ziehe ich mit meinen Einkäufen von dannen und freue mich daheim nochmal, dass mit meiner heutigen Beute mein Offline-Shoppingbedarf für die nächste Zeit wieder gut gedeckt ist.

Meinen Lesenachschub lass ich dann wieder liefern.

Gelesen: Posy Simmonds – “Gemma Bovery” und “Fred”

Posy Simmonds wunderschön illustrierte Annäherung an Flaubert ist so ein herrlich intelligenter Lesespaß für die Literati unter uns, dass ichs eigentlich einer und einem jeden aufzwängern möchte.

Fürs Lesepäusle danach verlustiere man sich an Fred. Einer Geschichte über einen jüngst verstorbenen Kater mit Doppelleben. So dermaßen schön und liebevoll gezeichnet und erzählt – ich wünschte mir einen Sack Fünfjähriger, um es allen diesen Kindern zu schenken. Vorhin ist mir wieder eingefallen, an wen mich Farben und Zeichenstil erinnern – Walter Trier. Ja, genau, der der die Kästner-Kinderbücher illustriert hat.

Ich finde ja, man kann für beides die Zielgruppe sein und sollte lesen! Lesen! Lesen!

Gelesen: Octavia E. Butler – “Parable of the Talents”

Butler läßt diesen Band im Jahr 2032 beginnen, in dem Jahr, in dem das amerikanische Volk einen Ex-Senator aus Texas zum Präsidenten wählt, der auf Massenveranstaltungen seinen Anhängern verspricht, Amerika wieder “great” zu machen und auf einem Evangelikalen-Ticket reist. Eine Nation soll dieses Land wieder (?) werden. Eine starke Nation unter einem einzigen alttestamentarischen Gott.

Alle Anders- oder gar Nichtgläubigen werden noch vor, aber dann legitimiert nach der Wahl, mit der vollen Gewalt des Staates brutal “umerzogen” oder ausgemerzt.

Erstveröffentlicht wurde das Buch 1998.

Es ist eine grausige Zukunft, die Butler, eine echte Seelenschwester Margaret Atwoods, für die Menschen zeichnet, die nicht Mitglieder der religiösen Machtzirkel sind. Und wie in jeder monotheistischen Struktur, in der Männer das Gesetz auslegen und sind, leiden Frauen besonders.

Sie erzählt auch diese Parabel wieder in Rückblenden, in Tagebucheinträgen und aus mehreren Perspektiven. Das macht es einem noch schwerer, die Heldin zu mögen. Sie ist eine altruistische Überfrau, selbst im Gefangenenlager, wo sie nicht wäre, hätte sie nicht ihre Sekte und deren Mission über alles, auch über die Sicherheit ihrer eigenen Familie gestellt. Butler gelingt die Höchstleistung, dass Lesende alle Seiten verstehen. Keiner ist ohne Schuld. Keiner hat ganz recht. Keiner hat ganz unrecht. Diese Vielschichtigkeit macht diesen Band zu einer sehr anstrengenden, aber auch sehr lohnenden Lektüre.

Butler hatte ursprünglich eine Trilogie geplant. Für den letzten Band, Parable of the Trickster, der die Kolonisierung eines Planeten beschreiben sollte, gibt es Entwürfe. Leider ist sie vor Vollendung verstorben. Ich hätte ihre Vision von einer neuen Gesellschaft in den Sternen sehr gerne gekannt.

Aber immerhin. Es gibt diese beiden Parabeln. Lesen! Lesen! Lesen! Lesen!