Kleines Glück (post-pandemisch)

Meine Arbeitswoche geht im allgmeinen freitags um 18:00 Uhr zu Ende. Das ist dann, wenn meine Physiotherapeutin ihre kundigen Hände an mich legt und mir die Scheußlichkeiten der letzten Woche wegdrückt und -knetet und -streicht und manchmal -exorziert. Danach hüpfe ich wie eine allenfalls mittelalte Gazelle vom Behandlungstisch und meistens gehe ich dann heim.

Nicht so gestern. Gestern haben wir spontan befunden, dass es höchste Zeit (war es) und das Wetter einfach zu schön ist (war es), beim Italiener nebenan bestimmt noch ein Tisch frei (war er) und das Essen ganz sicher so gut ist wie ehedem (war es). Was waren wir überrascht, als man uns kurz nach 22:00 Uhr dezent zum Gehen aufforderte, “wegen der Nachbarn”.

Ich weiß, es geht gerade allen so. Jede/r erzählt von Trivialitäten, die “früher mal” “ganz normal” waren und jetzt was ganz besonderes sind. Und jede/r freut sich wie ein Schnitzel und ich mich mit. Nämlich.

Ich hatte mir zwar geschworen, nie Sätze mit “Wenn uns diese Pandemie eines gelehrt hat” anzufangen, aber was geht mich mein saudummes Geschwätz von gestern an? Hier also mein Binsenappell: Wenn uns diese Pandemie eines gelehrt haben möge, dann doch bitte, unser alltägliches Leben mit all seinen banalen Ereignissen so viel mehr zu schätzen.

Gelesen: Tade Thompson – “Rosewater”

Zwei Drittel dieses sehr anderen und sehr neuen und ungewöhnlichen Science Fiction Romans haben mich so richtig begeistert. Ein extraterrestrischer Biodome landet in Sonstwo/Nigeria und Thompson spinnt daraus die Geschichte einer Unterwanderung (oder Kolonisierung?) durch ein pilzartig sich vernetzendes System. Spannend, mitreißend, bisweilen komisch und einen tiefen Einblick in nigerianische Geschichte, Kultur und Küche vermittelnd.

Das restliche Drittel ist fad, quasi überpilzmythisch und darum werde ich mir die anderen beiden Bände der Trilogie sparen. Das passiert mir ja nun auch nicht oft…

Neu auf Netflix – “Sweet Tooth”

Mei, ist das aber ein süße Apokalypse. Darf ich die a mal streicheln?

Falls sich jemandem der Sarkasmus des ersten Satzes nicht erschlossen haben sollte, dann auch gerne im Klartext: Mei, ist das aber eine schlechte Literaturverfilmung.

Worum gehts? Auf der ganzen Welt rafft eine Pandemie die Menschheit dahin und neugeborene Kinder sind Chimären, Mischwesen aus Mensch und Tier, sogenannte “Hybride”. Aus dieser Basisgeschichte hatt Netflix da was für alle Zielgruppen zusammenrühren lassen: ein unglaublich süßes Kind (Christian Convery) mit Kleingeweih und zuckenden Rehohren, denen man schon auf die Ferne ansieht, wie schön weich sie sein müssen, ein gentle-Giant-ehemaliger-Footballspieler mit rauher Schale aber butterweichem Kern (Nonso Anozie), der dem Kinde eigentlich gar nicht helfen will, dann aber gar nicht anders kann, ein vorbildlich diverser Cast durch alle Ethnien, wobei Asien von indischstämmigen Schauspielern abgedeckt wird, das muss reichen, der Soundtrack*, so dermaßen unsubtil um die Ohren geknallt, dass kein Spielraum für selbstdenkende Interpretation bleibt, Hüttenromantik mit Preppernote in Yellowstone, alleinerziehender Vater, der den Kleinen auf alle Billen und Unbillen des Lebens vorbereitet, grandiose Landschaften in allen Jahreszeiten, ein Bild schöner als das andere, Pandemie mit Masken, Sauerstoffgeräten, überlastetem Klinikpersonal, zusammengebrochener Zivilgesellschaft, ein Bild grausiger als das andere, Militias, sonstiges Schurkengesindel, außerdem “Nachbarschaftswärter”, die Infizierte und deren Häuser unter Absingen von Auld Lond Syne abfackeln und zu allem James Brolin als Aus-dem-Off-Erzähler, dem die Guturalität durchgeht.

Ganz ganz schlimm. Im Originalkomik von Jeff Lemire ist der Vater ein religiöser Fanatiker, das Kind ein Naivling, der viel zu schnell erwachsen werden muss, der gute Hirte genauso schlecht und käuflich wie alle und die Mischkinder sehen sehr viel mehr nach Tier aus, als nach Mensch. Zudem ist die Story mit einer wilden Inuit-Mystik aufgeladen, die in der Verfilmung gar nicht erst vorkommt. Da sind die bösen Wissenschaftler schuld, denen das Virus aus dem Labor entweicht. Sorry, Spoiler.

Wer die Graphic Novel nicht kennt, kann das Machwerk ansehen. Wer sie kennt, dem schmerzen vor lauter Zuckerguß alle plombierten Zähne und alle anderen aus Solidarität gleich mit.

* Mehr zum Soundtrack? https://screenrant.com/sweet-tooth-soundtrack-songs-explained/

Von mir aus, KI, übernehmt die Welt,

aber hört bitte nie auf, abenteuerlich zu übersetzen.

Was ich suche gibt es in den Größen Groß, Mittel und Trompete und unbenommen vom Volumen hat jede Box jede Menge Sauraum.

Da muss man doch zuschlagen…

Die Sinfonie der Großstadt

Die vor eineinhalb Jahren angekündigten Instandhaltungsarbeiten scheinen endlich stattzufinden und irgendjemand schleift mit schlimmem Lautgerät etwas, das partout nicht geschliffen werden will. Der kleine Thomas aus dem 6. Stock ruft, wie jeden Tag nach dem Aufstehen, aus voller Kehle mit großer Penetranz nach seinem Freund Elias, der in einer der Gartenwohnungen im Erdgeschoß wohnt, und wohl noch nicht wach ist. St. Ignaz läutet, als habe es die Ostertage dieser Dekade sämtlich auf den heutigen Tag zusammengelegt, dazwischen scheucht eine hyperaktive Betreuerin ihre kreischende Kleinkinderfrühgruppe über den Spielplatz und darüber liegt der Klang von Sirenen, wahrscheinlich Nachschub fürs Klinikum ums Eck. Ein heimwerkender Nachbar hammerschlagbohrt eine erstaunlich große Zahl von Löchern, dazu kreist ein flaflappender Hubschrauber im Tiefflug über Hadern. Außerdem Vogelgebrüll und Hundegebell.

Echt jetzt? Es ist noch nicht mal halb acht und ich habe, verdammt noch einmal, Ferien. Noch im Bett, aber leider nicht mehr schlaftrunken erwäge mehrere Optionen, die von “bring sie alle um” über Ganzkörper-Ohropax bis Umzug aufs Land reichen, hege Zweifel, ob die Lage zum grünen Innenhof mit dem großen Balkon wirklich ein Standortvorteil ist und formuliere zum umpfzigsten Mal meinen Appell an die Evolution: OHRENKLAPPEN! JETZT! BITTESEHR!

Dann stehe ich auf. Hilft ja nix.

Ja mach nur einen Plan

Der Plan für diese Urlaubswoche war ganz einfach: am ersten Wochenende viel schlafen und dazwischen die neuen Möbel bewerkeln, ab Montag täglich einen echten lebenden Menschen treffen, vorzugsweise in einem Außengastroumfeld, ab Donnerstag auf eine größere Anzahl echter Menschen erweitern, am zweiten Wochenende bei Freunden grillen, wobei allein drei der Anwesenden nicht zählen. Hach.

Auf der Rückfahrt vom Mittwochstreffen platzte dem Auto unterwegs ein Reifen. Nichts passiert, mit dem Schrecken davongekommen und nah genug an der Werkstatt, dass ich mit dem Fetzenreifen auf der Felge noch dorthin hoppeln konnte. Dort die Erkenntnis, dass ein altes Auto spezieller Reifen bedarf, die man nicht so einfach vorrätig hat. Und das Reserverad? Ja, schon, aber das liegt seit 18 Jahren in seinem Reserveradfach und ist bestenfalls noch dekorativ, allerdings nicht mehr fahrtauglich. Mist! Mist! Mist! Also den Corolla auf dem Parkplatz der Werkstatt stehen lassen und den Besuch bei den Eltern abgesagt. Es gibt immerhin ein Fünkchen Hoffnung: mit Glück kann der Großhändler heute Ersatz liefern und dann bin ich am Wochenende wieder mobil. Daumen drücken!

Wobei das Grillen inzwischen abgesagt ist und die Götter sich einmal wieder vor Lachen den Bauch halten…

Gelesen: Genevieve Cogman – “The Invisible Library” – Serie

Ich habe eine ganze Weile überlegen müssen, wie man das, was Ms. Cogman schreibt, nennen könnte und bin dann drauf gekommen: es ist so eine Art Kochbox-Literatur.

Da ist zunächst die Heldin, Irene. Sie ist Bibliothekarin und Agentin der Unsichtbaren Bibliothek mit dem Auftrag, in den verschiedensten Parallelwelten Bücher zu klauen. Ihr jugendlicher Assistent ist der jüngste Nachkomme einer Adelsfamilie. Inkognito, denn adelige Abstammung ist gleichbedeutend mit ein Drache sein (je nach situativem Bedarf in Mensch oder Tiergestelt). Die Welten, die sie durch Portale der Bibliothek bereisen sind irgendwie immer ein bißchen Sehnsuchtsreiseziele sowie steampunky und bevölkert von Phantasiewesen wie Feen, Werwölfen, Vampiren etc. Solchen Geschöpfen kann man natürlich am besten mit Magie begegnen, und darum beherrscht Irene THE LANGUAGE. Eine linguistische Präzisionswaffe, die ihr erlaubt, Opponenten kurzfristig davon zu überzeugen (IN GROSSBUCHSTABEN), dass sie sich gerade vollkommen rechtmäßig in der Schatzkammer, dem Schlafgemach des Herrschers, im supergeheimen Archiv des Schurkenbibliothekars Alberich, kurz an jedem Ort, an dem sie nichts verloren hat, aufhält. Das sind die Zutaten zur Kochbox. Aus denen hat Ms. Cogman bis dato sieben Bände dieser recht erfolgreichen Serie gemacht und wenn der Verlag weiter bezahlt, legt sie nach.

Es ist nicht so, dass ich ihre Bücher nicht zwischendurch mal ganz gerne lese, dennoch bleibt meist das Gefühl von “guilty pleasure” – so, wie wenn man von Mama einen ganzen Stapel “Bunte” bekommen hat und die auf einen Sitz wegblättert, statt mal wieder Hamlet zu lesen.

Es geht alles vorüber

Gestern, als die Mutter einer Tochter das pummelige Tier mit dem Regenbogenschweif als “Nashorn” identifizierte, wußte ich zwei Dinge sicher: a) eine Zoologin wird sie in diesem Leben nicht mehr und b) auch die schlimmsten Modephasen enden irgendwann.

Wie schön. Einhörner sind zurück in der Märchenwelt, wo sie hingehören.

Semantik

Kann ein Lücke umfangreich sein? Nachdem diese Überlegung nun seit Tagen an mir nagt, teile ich sie mit meiner Leserwelt und freue mich auf Mitnachdenker*innen.