Schneller, höher, weiter

Kann es sein, dass das Jahr 2020 bei seinen Jahresbrüdern und -schwestern so richtig unerträglich damit geprotzt hat, wie schlimm und böse es war und dass das keiner toppen werden können und sich dann umgehend an den Tisch zu den anderen Großen Katastrophenjahren dazugesetzt?

Kann es fürderhin sein, dass das Jahr 2021 daraufhin ein bißchen schief gegrinst, die Herausforderung angenommen, aus zusammengepreßten Lippen ein “Wartet-es-nur-ab,-ihr alle” hervorgequetscht und dann alles gegeben hat?

So wie ich das sehe, hast du schon Stand heute um Längen gewonnen, du Jahr 2021. Von mir aus kannst du aufhören. Jetzt sofort!

No ned hudla

Man dürfe, so der Kollege heute, auf keinen Fall vorschnell handeln, also sicher “nicht über’s Knie Nägel mit Köpfen machen”.

Sobald ich diese verdrehte Metapher verdaut habe, gebe ich ihm wahrscheinlich recht.

Gestern im Fernsehen – Tatort: “Murot und das Prinzip Hoffnung”

Das hätte sollen werden ein großer Wurf mit viel Filosofi und ist geworden ein Dummgeschwurbel mit Familienaufstellung und schwacher Schauspielleistung. Selbst Tukur scheint nicht wirklich Lust auf seine Figur gehabt zu haben und ohne die treue Wächter (Barbara Philipp) hätte man gar niemandem zuschauen wollen. Nicht einmal dem Eidinger als Poetry und Köpfe slammenden Psychopathen.

Schade, ich hätte die Folge so gern mögen wollen.

Walle, walle

Man sei, teilt der Zettel im Briefkasten mit, von meiner Hausverwaltung beauftragt, eine Leckageortung durchzuführen und benötige daher heute von 08:00 bis 14:00 Uhr ständigen Zugang zu meiner sowie allen anderen Wohnung darüber und darunter. Sollte ich nicht vor Ort sein, so möge ich doch bitte einem Nachbarn/Bekannten oder Verwandten den Schlüssel geben, sodass die Wohnungen in diesem Zeitraum immer zur Verfügung stehen täten.

Wenn bei mir schon fremde Männer auftauchen, um Leckagen zu orten, dann bin ich doch lieber selbst in der Nähe, also rufe ich einen Homeofficetag aus. Wie immer telefoniere ich viel und als mich der dritte Hunsrücker Kollege darauf anspricht, dass die Whiskey-Flasche auf dem Regälchen im Hintergrund ja immer noch nicht angebrochen sei, nehme ich a) der Kollegen Adleraugen zur Kenntnis (es sind ja doch sehr viele Jäger dort) und b) mir vor, mich zukünftig ans andere Tischende zu setzen oder mindestens die Flasche vor dem nächsten Heimarbeitstag aus dem Sichtbereich zu räumen. Ansonsten passiert nichts. Keiner kommt, keiner ortet.

Gegen Mittag klingelt einer, aber nur, um Bescheid zu geben, dass man noch im ersten Stock zugange und nicht sicher sei, ob man es heute noch zu mir “nauf” schaffe. Während ich noch darüber nachdenke, dass ich gar nicht so gerne auf meinem Küchenstuhl mit zusammengekniffenen Augen vor einem 14″-Monitor sitze, dass ich das zwingend zeitnah wiederholen müßte, klingelt es wieder. Er müsse, sagt der Mann, jetzt in mein Bad. Okay, das ist einer der Räume in meiner Wohnung, wo es Wasserleitungen gibt, das klingt sinnig. Dann läßt er die Badewanne voll heißes Wasser laufen und ich cringe (Jugendwort des Jahres) innerlich schon sehr ob dieser Wasservergeudung. Das macht er mit dem Waschbecken noch mal, spült die Toilette ein paar Mal nacheinander und läßt dann das Spülbecken in der Küche vollaufen. Wasserdämpfe wabern durch die ganze Wohnung, ich denke mir meinen Zauberlehrling und ziehe meine Strickjacke aus. So warm war’s hier noch nie zu dieser Jahreszeit.

Der Herr zieht von dannen, mit der Mission, “den 6. und den 4. Stock zu füllen”. Als er nach eine Stunde wiederkommt, ist er sehr niedergeschlagen. Keine Leckage, nirgends. Mir tut es fast leid, dass ich nicht einmal ein winziges Löchlein zu bieten habe, ist aber so.

Circa zwei Stunden später bricht ein minutenlang anhaltendes Stöhngurgelsprotzelseufzen durch alle Wände sowie Mark und Knochen. So klingt ein Haus, wenn es die lästigen Orter los ist und endlich sein Wasser nicht mehr halten muss.

Novemberfahrt

Die Welt auf links gewendet, mit wulstig-fransigen Vernähnahten in Keingelb, Keingrün, Keinbraun, Keinocker, Keingarnix und Schongarkeinrot. Alles verschwimmt in einem einheitlichen matten fahlen trüben welken graugrauen Nebelbrei, keine Farbe, nirgends. Im Radio featuren sie auf den Gebildete-Schichten-Sendern den Totensonntag, Totentänze, Sterbebilder und andere Totenkulttraditionen sowie den Volkstrauertag. Der einzige Lichtblick ist der Blitzer an der Baustelle.

Meine Fahrt führt mich wieder zu den Eltern und dieses Mal ist alles anders. Der eine liegt nach einem Sturz im Krankenhaus und wähnt sich in seiner Demenz in der Klinik der benachbarten Großstadt seiner Jugendjahre, die andere hat nach einem Krankenhausaufenthalt das zukünftige gemeinsame Doppelzimmer im Pflegeheim bezogen, das sie allerdings vorerst noch mit der Vormieterin teilen muss, die erst zum Monatsende räumt.

Altwerden ist nichts für Feiglinge und frühe, viel frühere Vorsorge viel wichtiger, als wir alle zu glauben bereit sind.

Berufswahl – einen hab ich noch

Befragt, ob sie denn das Geschäftsmodell unseres Unternehmens, eines Anlagenbauers zur Verwertung biogener Reststoffe, erklären könne, bekommen wir diese verblüffende – und nicht ganz falsche – Antwort: “Sie machen aus Müll kein Müll”.

Da hätten wir uns die teure Agentur auch sparen können.

Berufswahl – Teil 4 – jetzt langt’s dann

Sie sei ja eine hilfsbereite Person, läßt die junge Bewerberin (20) wissen. Ihr kleiner Bruder (17), zum Beispiel, brauche ihre Unterstützung recht oft. Und dann greife sie ihm eben “immer unter den Arm”.

Weil sie ja nun gar so altruistisch ist, hatte sie bei ihren Hobbies neben “Arbeiten” (ah, ja`?) auch “Probleme lösen” angegeben. Ich habe nachgefragt, was sie dabei tue und die ganze langatmige Schilderung ihrer “und dann hab ich gesagt, und dann hat er gesagt, und dann hat sie gesagt”-Teenie-Nöte spare ich mir und euch. Aber ihre Lösung, die solltet ihr kennen: sie habe die Adressen beider bei Google Maps eingegeben und dabei festgestellt, dass genau mittig Bad Ems liege. Dort habe sie sie zur Aussprache genötigt. Da schau her, das wußte ich auch noch nicht: Bad Ems, das Genf der Rheinpfalz. Nein, zusammen seien die Beiden nicht mehr. Aber an ihr liege das nicht.

Soweit zur Auswahl der glänzendsten Perlen aus dem ca. 40-minütigen Gespräch. Sie möge eine Karriere haben. Aber bitte nicht bei uns.

Wenn es Nacht ist in München

Nach dem Theater. Als wir gerade von der Maximilianstraße Richtung U-Bahn-Station einbiegen, werden wir Zeuginnen, wie ein muskulöser junger Mann in dunklem Anzug, mit fünf, sechs sehr großzügig dimensionierten vollgepackten orangefarbenen Papiertaschen über jedem Arm eine dürre lederhäutige Botox-Blondine unbestimmbaren Alters zu ihrer Luxuskarosse eskortiert. Sein sehr ähnlich aussehender Kollege steht derweil neben dem bestirnten Auto und läßt seinen Blick wachsam kreisen. Wa-ah?

Das ist aber noch nichts gegen die beiden Nobelhobel, die direkt vor einem Laden mitten in der Fußgängerzone parken. Im Fond jeweils eine, Hmmm? Dame?, in jedem Fall erkennbar weibliche Gestalt, auf dem Fahrersitz ein bulliger Typ in Schwarz und soeben zusteigend auf der Beifahrerseite sein Äquivalent. Keine Tüten sichtbar, wahrscheinlich schon verräumt. Dann werden röhrend die Motoren angelassen und im Türrahmen des hell erleuchteten Louis Vuitton Geschäfts steht eine anorexische Damenoberbekleidungsverkäuferin, ruft mehrfach lauthals “Tschühüß” in die Nacht, verzerrt das Gesicht zum breitest möglichen vielzahnigen Lachen und renkt sich beim angestrengt Winken fast den Arm aus. Ein bissele Fremdschämen möchte man sich schon bei dieser Anbiederei.

Darüber hinaus möchte ich mich beschweren. Seit wann sind eigentlich bei der Berufskleidung von Bodyguards keine Sonnenbrillen mehr verpflichtend vorgeschrieben?