Gelesen: Andreas Langer – “They are Everywhere”*

Girl meets Boy. Sie können einander nicht ausstehen, werden sich also kriegen, weil der/die/das Trope so geht. Dann: Aufstand der Maschinen, Rage against Humankind. Die jungen Menschen flüchten, rennen, springen, klimmen, klettern, kriechen, laufen, schwitzen, schwimmen, mit immer neuem Aua irgendwo, aber tapfer weiter und immer soooo knapp davor, von den nunmehr bösen Maschinen getötet zu werden. Dann doch nicht. Auf Seite 276 der erste Kuß, 60 Seiten später die erste gemeinsame Nacht im Jugendzimmer. Viel Kribbelgefühl. Ende.

Ich bin zu alt für sowas, würde aber gerne hören, was die heranwachsende Zielgruppe von diesem “Jugendbuch des Sommers 2025” hält. Wer wills haben?

* Nicht wundern. Autor und Sprache des Buches sind deutsch. Aber es spielt im Jahr 2055 in Ohio und es kommen Amish vor. Darum muß der Titel englisch sein. Oder so. Vielleicht sieht’s auch einfach bei BookTok cooler aus. Bin nicht die Zielgruppe, kenne mich nicht aus.

Aus dem Vokabelheft

Wenn eine KI Idiome übersetzen soll, kommt im allgemeinen wörtlich übersetzter Schwachsinn raus, so auch hier:

Eigentlich wollte ich auch nur rasch die Etymologie nachschlagen und darf nun berichten, dass die Forschung herausgefunden hat, dass die Wendung entweder aus dem universitären Slang der Siebziger und der Hippie-Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg stammt oder die bevorzugte Kleiderordnung aus eben diesem Krieg war, weil heißes und feuchtes Klima und Uniform ohne luftiger als mit.

Ach so, ja: “to go commando” hat nichts mit Vorgesetzten zu tun, sondern bedeutet lediglich, keine Unterwäsche zu tragen.

Setzen. Sechs.

Vorhin, auf YouTube. Die englischen Untertitel für das englischsprachige Interview hat offensichtlich eine Künstliche Intelligenz gefertigt. Woher ich das weiß? Weil die Übersetzung dieser Maschine für “gaydar”* wenig hilfreich “gay door” (“Schwulentür”) lautete.

Ich gehe davon aus, dass auch beim Hören eingeschränkte Menschen wissen, was eigentlich gemeint war und sich ebenso wie ich ein Grinsen nicht verbeißen konnten.

* “Gaydar” beschreibt die vermeintliche Fähigkeit mancher Menschen, zu orten, ob ein anderer Mensch schwul ist und ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus “gay” (schwul) und “Radar” (Radar).

Herzlichen Glückwunsch!

Heute ist Feiertag. Nämlich “Tag der Wörter, auf die sich nichts reimt”.

Ich finde ja, alle, die den Ehrgeiz haben, die kleine Auswahl an Wörtern auf der nachfolgenden Liste doch zwangszuverreimen, sollten heute dafür frei bekommen.

Amsel, Borschtsch, Echo, Eltern, falsch, Fenchel, Gefühl, Gehölz, Gemälde, Honig, Kiosk, Mensch, Mönch, Musik, Onkel, Pfirsich, Popel, Ramsch, Rüpel, Stöpsel, Vesper

Ich schau mal, was sich machen läßt (Maßgabe: Reim disch oder isch freß disch!) – wer mitmachen will, ist herzlich eingeladen.

Gelesen: Christine Koschmieder – “Frühjahrskollektion”*

Eine arbeitslose junge Frau bekommt in den frühen Vierzigern des letzten Jahrhunderts eine Stelle “beim Amt” angeboten. Zwar in Polen, aber als Ausgleich Ost-Zuschläge. Ein junger Mann aus Zagreb sieht sehr gut aus, ist jedoch nur Kandidat in der “Wertungsgruppe”, doch wenn er sich anstellig und gehorsam zeigt, kann er zum Deutschen aufsteigen. Er zeigt sich anstellig und gehorsam. Zusammenarbeit, nützlich sein für die mit dem Eichenlaub am hohen Kragen, Kind, Hochzeit, Kriegsgefangenschaft, Flüchtlingskredit, viel Arbeit, bescheidener gesellschaftlicher Aufstieg in der Nachkriegszeit. Einfache hart arbeitende strebsame Menschen, die vor allem ihren Anteil am Wirtschaftswunder wollen (weil ihnen das nach den schrecklichen Kriegs- und Nachkriegsjahren ja wohl auch zusteht) und dass ihr Kind es einmal besser hat.

Sechziger Jahre. Auch die Mode ist freier geworden, Koschmieder zeigt sehr raffiniert, wie. Die viele Arbeit hat sich gelohnt, das Paar ist eben in den neu gebauten Hoesch-Bungalow** eingezogen, die Grube für den nierenförmigen Swimming-Pool bereits ausgehoben. Es kann eigentlich nur noch weiter aufwärts gehen. Dann holt die Geschichte sie ein. Wie genau, möge eine jede und ein jeder selbst lesen. Es lohnt. Die dumpfe Atmosphäre der Sechziger Jahre, eine Bevölkerung, die nichts mehr wissen will von der “dunklen Zeit”. Ein Volk, das im hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den Begriff “Auschwitz” überhaupt erst in den Nachkriegs-Wortschatz einfügt, einen Nestbeschmutzer sieht – Koschmieder navigiert mit großer Meisterschaft durch dieses Jahre. Sie hält ihre Leserschaft nah bei ihren Figuren, die sie bei allem Fehlverhalten nie verrät. Einfache Leute, die sich selbst am nächsten sind. Es steht keinem zu, den ersten Stein zu werfen.

Das Buch ist, nach ein paar wenigen Druckschlampereien auf den ersten Seiten, sehr sehr hübsch besorgt, sogar der Umschlag ist in mini. Sowas kriegt selbst der beste E-Reader nicht hin. Leider ist kein Index dabei. Ich habe Zeit, ich kann Begriffe wie “131er”, “Panzer-Meyer”, HIAG usw. nachschlagen und habe es auch getan. Anderen würde eine Handreichung sicher helfen.

Lesen! Lesen! Lesen! (Mein Exemplar kann ausgeliehen werden.)

* Ich weiß es noch: Auf einer längeren Autofahrt übertrug der Deutschlandfunk die Lesungen für den Bachmann-Preis 2024, der gelesene Ausschnitt war extrem spannend und deshalb habe ich mir das Buch vorgemerkt.

** Hoesch-Bungalow, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Hoesch-Bungalow

Gelesen: Karin Peschka – “Dschomba”

Ein ganz ein außergewöhnliches Buch, huiuiui. Und dieses Mal weiß ich, woher die Empfehlung kommt, nämlich von österreichischen Lesern der SZ, die nach ihren Sommerempfehlungen gefragt wurden.

Peschka erzählt in einer kunstvoll reduzierten und dadurch erst recht ausdrucksstarken Sprache von einer österreichischen Kleinstadt und deren unheilvolle Verstrickung in beide Weltkriege. Von den fruchtbaren Äckern und Feldern, die im ersten schon in ein Kriegsgefangenenlager umgemünzt wurden, danach wurde wieder Frucht angebaut. Bis auch im nachfolgenden Krieg wieder ein Lager entstand. dessen Gelände jetzt längst wieder landwirtschaftlich genutzt wird. Geblieben ist aus den schlimmen Zeiten nun, im Jahre 1954, als das Buch beginnt, nur der Friedhof. Übervoll mit Toten aus beiden Kriegen.

Peschka erzählt in diesem sehr ergreifenden atmosphärisch dichten und wahrhaftigen Buch aus der Perspektive der jüngsten Tochter einer Wirtsfamilie, einem verträumten, oft nicht ganz anwesenden Kind mit viel Phantasie, das in Keller und Speicher Grusel fühlt und offen ist für die Geschichten der verschwiegenen toten Soldaten und der suchenden Pilgerfahrt des Herrn Džomba. Geschrieben in einer ganz eigenen Klangfarbe, auf die man sich als Lesender einlassen wollen muss. Ich war zeitweise ganz atemlos vor Begeisterung.

Es ist dies keine leichte Lektüre und sie braucht ihre Zeit. Wer diese Zeit geben will, wird reich belohnt werden. Lesen! Lesen! Lesen!