Zeitumstellung

Eine aufmerksame Leserin hat mich jüngst darauf hingewiesen, dass ich mich offensichtlich halbjährlich an dem Thema abarbeite; sie selbst fände die Aufregung übertrieben und die Stunde hin und her halb so schlimm.

Ich ja nicht. Ich bin heute morgen wieder zu vollkommen falschem Licht aufgewacht und gedenke, für den Rest des Tages angemessen verwirrt zu sein. Darüber hinaus wünsche ich den Marketing-Menschen, die mir einen Discounter-Prospekt in den Briefkasten haben stecken lassen, ein nässendes und juckendes Furunkel an einer Stelle, an der sie sich selbst nicht kratzen können. Von wegen irgendwas kaufen, um es in “einer geschenkten Stunde” zu genießen. Es handelt sich hier um die Rückgabe einer gestohlenen Stunde aus dem Frühjahr, sonst nix. Schon gar nicht um ein “Geschenk”.

Könnten wir uns bitte darauf einigen, diesen Unfug noch einmal zu machen: nächstes Frühjahr europaweit auf Sommerzeit umstellen und dann so lassen? Bitte?

Rollin’, Rollin’, Rollin’

Meine Haustür öffnet sich direkt in eine kleine Ladenpassage und am Samstagvormittag gehts da immer zu, da kann der Stachus um Zwölfe einpacken.

Damit wir sie gleich hinter uns haben, lassen wir präpotente junge Menschen allerlei Geschlechts zu immer viel zu vielen gleichzeitig auf Elektrorollern durch das Gewusel flitzen, mit Glück haben sie woanders zu tun, mit Pech cruisen sie und wiederholen ihre waghalsigen Manöver, bis die Batterie leer ist oder eine/r heim muss, zum Mittagessen. Dann die Transportierer, mit Lastenrädern voller Kindern und Lauchstangen, die mit Einkaufstrolleys, die mit schwer beladenen Radl-, Rollator- oder Reisentheltupfenziehkörben (Fachbegriff “Carrycruiser”), die Schieber von Kinder-, Puppen-, Hunde-, Traglwagen, die Bewohner*innen aus dem Augustinum mit für den Anlaß glitzeglanzpolierten Rollstühlen, Radler mit Anhängern, Radler mit Lastentaschen, Radler mit Rucksäcken, Skateboarderinnen, Rollerblader (doch, die gibts noch, samstags in Hadern; ganz besonders hübsch, wenn sie durch den Supermarkt staksen) und der Akkordeonmann, der sein schweres Instrument heranrollt, um dann für die Einkaufenden aufzuspielen – alle auf ihre Weise bereift. Man kann es nicht anders sagen: Am Samstagmorgen zelebriert man in der Einkaufspassage in Hadern die Erfindung des Rads.

Ich fühle mich als Fußgängerin dann immer fast nackt, bis ich schließlich auch einen Einkaufswagen zum Rumschieben auslöse.

Neu im Fernsehen (BBC) – “Inside Man”

Ich weiß, wir wollen die BBC nicht mehr so mögen wie damals zu ihren Glanzzeiten. Das heißt aber nicht, dass dort nicht manchmal auch heute noch brillante Fernsehunterhaltung produziert wird. Wobei… Wobei es wirklich schwer ist, sich festzulegen, ob man mit “Inside Man”, einer vierteiligen Miniserie mit jeweils einstündigen Folgen, ein freches sehr dunkelschwarzes Schelmenstück gesehen hat, oder, wie viele IMDB-Bewerter meinen, “utter shyte”.

Ich habs ja erst mal nur wegen der Schauspieler geguckt. Diese Besetzung! Hach! Diese Besetzung. Stanley Tucci als hochintelligenter Gattinnenmörder und studierter Kriminologe, in einer Zelle on Death Row und mit einer Neigung, seinen inneren Sherlock Holmes von der Leine zu lassen. Quadruple Hach!, mindestens. David Tennant, einer meiner Allzeit-Lieblinge, als “The Fucking Vicar”, der durch eine Verkettung unglücklichster Umstände zum Täter wird und auf einmal Dolly Wells, die Mathe-Nachhilfelehrerin seines Sohnes angekettet im Keller des Pfarrhauses gefangen hält. Diese, ein ganz herrliches Biest und eine Edel-Bitch allererster Güte, gibt Lehrstunden in Manipulation. So gut, dass Niccolo Machievelli vor Neid ergrünt wäre.

Das sind nur die Hauptrollen. Jede Nebenrolle ist perfekt besetzt (Casting-Oscar, ich sagte das schon) und die Herr- und Damenschaften holen alles aus ihren Rollen heraus. Der Plot ist, hmmm? Hanebüchen? Schräg? Vollkommen daneben und Gewalt verharmlosend? Stimmt alles, aber muss das zwangsläufig was Schlechtes sein?

Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, bin ich soweit, die Serie zu empfehlen. Zwei Bedingungen: man muß in der Stimmung für very British Brutal-Nonsense sein und sich darauf einlassen wollen, auch auf die Löcher in der Geschichte. (Warum verhält sich die mit allen Wassern gewaschene Journalistin (Lydia West), wenn sie in der U-Bahn von einem dummen Kerl belästigt wird, wie das totale Hascherl und wird dann aber umgehend wieder zum investigativen Toughie? Was treibt den Priester zu seinem Opfer und warum kommt er aus der Nummer nicht mehr raus? Wer, zur Hölle, speichert seine Pornos auf Memory Sticks?) Zweite Bedingung: Nicht mehr als zwei Folgen an einem Abend.

Das heißt, man ist in zwei Abenden durch und wurde, sofern man sich an Bedingung 1 gehalten hat, gut unterhalten. Das ist für Fernsehen doch schon mal ganz schön viel.

Bonus-Tip: Bei Folge 4 bis nach dem Abspann durchhalten. Da kommt noch was…

PS: Ich lese eben: kommt demnächst auf Netflix. Also, falls es an Allerheiligen regnet…

Zähne zeigen

Der Grieche unten in der Passage ist endlich aus seinen very extended Sommerferien zurück, was bedeutet, dass einem jede Menge frisches Obst und Gemüse den Mund wässrig machen, wenn man an seinen Auslagen vorbeigeht.

Ist es Mitleid mit der ärmeren Klientel? Mit dem sehr reifen Obst? Kluger Geschäftssinn? Was ihn umtreibt, seinen Handel so zu betreiben, wie er es tut, weiß ich nicht, auf jeden Fall findet man neben jeder Kiste mit Bilderbuchobst (also, wie gemalt und ohne Makel) auch die weniger schönen, leicht angedätschten und oft schon in höherem Reifegrad befindlichen Vettern und Basen dieser Früchte. Meistens grade mal halb so teuer wie die edleren Verwandten. Ich kaufe das gerne. Richtig schön reifes Obst, zum sofortigen Verzehr oder Verarbeitung, grad mal so viel, wie ich für den nächsten oder übernächsten Tag brauche.

Vorhin hätte mir ein sehr greises Paar allerdings beinahe den Einkauf grün-goldener Muskatellertrauben verleidet. Sie hätten doch nicht wirklich von jeder Traube ein Träubchen pflücken müssen und dies dann mit laut krachenden Gaumenbewegungen so lange einzuspeicheln, bis die Traubenhaut platzt und mit vollem Sabbermund das Urteil “gut” über die gesamte Ware gespuckt werden kann. Noch schlimmer war, wenn der Befund “sehr gut” lautete. Das “S” ließ gerade genug Raum zwischen den Lippen, damit das eine oder andere Kerndl den Weg in die Freiheit fand. Bahhh. Mich hats so gegraust. Ich kann mein Obst doch daheim vor dem Essen nicht erst sandstrahlen.

Aber dann haben mir gute Götter die eine abgedeckte greisenspeichelfreie Kiste gezeigt. Ich flugs meine Traube gezogen, drin bezahlt und ab, bevor ich mitansehen mußte, wie die Tomaten auch noch kontaminiert werden.

Gelesen: Margaret Atwood – „Stone Mattress“

Nobelpreis. Yadda, yadda, yadda.

Alle, die nicht das Nobelkommittee sind und trotz meiner Empfehlung immer noch nichts von Atwood gelesen haben, mögen mit dieser Sammlung von “Nine Wicked Tales” anfangen. Eine Geschichte schöner und gemeiner als die nächste, die Sprache klar und scharf und das Ganze außerdem beste Unterhaltung.

Wer mir dann sagt, welche ihr/ihm am besten gefallen hat, die/den belohne ich mit weiterführender Lektüre aus dem reichen Schaffen von Madame Atwood. Deal?

Aus dem Vokabelheft

Da denkt man, man kenne seine Sprache und ihre Idiome und dann faßt ein Kollege die derzeitige Befindlichkeit mit den Worten zusammen “Du hast den Kaffee auf”.

Und dann stellt sich heraus, es gibt tatsächlich Regionen hierzulande, die statt null Bock, keiner Lust und keinem Nerv tatsächlich ein koffeinhaltiges braunes Heißgetränk aufhaben. (s. https://de.wiktionary.org/wiki/den_Kaffee_aufhaben)

Again what learnt.

Gelesen: Oscar Lévy und Frederik Peeters – „Sandburg“

Bin wohl ein bißchen zu spät dran mit der Lektüre, inzwischen hat Hollywood einen Horrorschocker (“Old”) aus der Comicvorlage gedreht.

Ich glaube, den mag ich mir gar nicht anschauen. Die schwarzen Tuschezeichnungen des Comics erlauben der eigenen Phantasie noch genug Spielraum, sich das Grauen vorzustellen, das Menschen an einem bildschönen Strand erfaßt, als sie feststellen, dass sie alle halbe Stunde um ungefähr ein Jahr altern. Es betrifft alle gleichermaßen, die Alten, die Jüngeren, die Kinder. Die ersten sterben schnell, die mittlere Generation altert zusehends, ja, und die Kinder wachsen in einer Nacht heran, die, die als Dreijährige mit Schäufelchen an den Strand kam, menstruiert, wird schwanger, gebiert und stirbt, alles im Verlauf von zwei Tagen.

Sehr gruselig, sehr gut gezeichnet, und bald vorbei.

Lesen!

Herr von Ribbeck (urbane Version)

So recht vertraut ist er mir nicht, der Unterschied zwischen aller Herrgottsfrüh und unchristlicher Zeit am Morgen, aber es muss wohl so um diesen Dreh gewesen sein, als ich heute früh der U-Bahn entstieg, um den Termin vor dem ersten Termin bei meinem Dentisten wahrzunehmen, um endlich endlich die Fäden meiner letzten Zahn-OP gezogen bekommen.

Und was seh ich? Ein Herr in sehr signalfarbener Arbeitskleidung fegt die golden feuchte Blätterbeute dieser Nacht von Rolltreppen und Ein-, Auf- und Abgängen. Wohlgemerkt: fegt, mit einem dickborstigen breiten Besen, nicht bläst und lärmt. Wäre er mir nicht schon deswegen sympathisch gewesen, dann aber spätestens, als er bei all der Kehrerei noch Zeit findet, ein kleines Kind heranzuwinken und diesem aus einer seiner prall gefüllten Taschen ein paar braun glänzende Kastanien in die Hand zu drücken.

Kind glücklich, Mann glücklich und die Passanten, die’s mitbekommen haben, mit einem Lächeln in den Tag gestartet. So gehts doch auch.