Zukunftsvision

Die Dame neben mir mimt so überzeugend Geld entgegennehmen, Wechselgeld herausgeben und Ware vom viel zu kurzen Auslaufbereichs ihres Bandes schubsen, daß alle in der Runde lösen wollen und begeistert durcheinanderrufen: “Die Lydia, die war Kassiererin bei Aldi”. Dann leitet die Altenbetreuerin mit erhobener Stimme, weil so alte Menschen ja nicht mehr so gut hören, geschickt zu mir über: “Jetzt bist du dran.” Hilfreich und freundlich, wie sie von Berufs wegen zu sein hat, hilft sie mir mit kleinen Tips auf die Sprünge, weil so alte Menschen ja nicht mehr so schnell denken. “Die Sabine, die hat ja mal in Amerika gelebt, gell. Und drum macht sie für uns jetzt eine typische Handbewegung aus Kalifornien.”

Und ich werde vorspielen, wie ich den Zeigefinger ausfahre, eine drückende Drehbewegung ausführe, abschließend Daumen und Zeigefinger gegeneinander reibe und schließlich schnipse. Und sie alle werden sich beim Raten die Zähne ausbeißen. Die dritten versteht sich, weil so alte Menschen… “Geld”, werden sie sagen, “sie meint Geld.” “Oder Gewürze mahlen”, wird ein anderer vorschlagen. “Oder Handcreme, vielleicht?” wird Lydia einwerfen. Und ich werde hochmütig lächelnd “Nein” sagen. Immer wieder “Nein, falsch.” Schließlich wird die Leiterin der Beschäftigungsgruppe “Hirngymnastik” ein wenig ungeduldig werden und mit einem leicht biestigen Unterton einfordern, ich möge doch die Gruppe nicht länger auf die Folter spannen (und mir gefälligst beim nächsten Mal was einfacheres ausdenken). Und wieder werde ich lächeln, als warte mindestens ein Schiff mit acht Segeln und fünfzig Kanonen auf mich und sagen “Nein”.

Sie können nicht wissen und werden nie erfahren, daß ich mir diese Szene jedes Mal ausmale, wenn ich wieder eine Ameise auf dem Spülstein erwische und sie in den Ameisenhimmel upgrade.

“Good Job!”

Am 1. Mai hatte sich der Austausch von abgeschmurgelten Knochen gegen Titan zum ersten Mal gejährt und Hüfti und ich wurden heute zwecks Nachuntersuchung beim Chirurgen vorstellig. Durchleuchtet, gemessen und gebogen, alles zu des Herrn Doktor höchster Zufriedenheit.

Unter gegenseitigen Versicherungen, welch guten Job wir doch gemacht haben, haben wir uns in fünf Jahren wieder verabredet.

Wild Child

Grad vorhin will ich aus der 4th in die Angus Avenue abbiegen und an der Ecke steht er: Jimmy jr. (s. https://flockblog.de/?p=27387), heute mit einer Akustikgitarre, Weltschmerz im Blick und von den Eltern, die ihn einfach nicht verstehen, damit betraut, einen kleinen wiederlichen Spitz der Notdurft zuzuführen.

Aber ohne Leine! Soviel ist man seinem Ruf als Rebell schon schuldig.

59F

Die Wettergötter müssen verrückt geworden sein! 59F, das sind gerade mal noch läppische 15°C, sowas schreib ich doch als blogpost-Titel nicht aus. Das ist doch peinlich.

drought - outdoor watering

Isn’t it ironic, daß man heute diese Leuchtschilder an der Autobahn im strömenden Regen kaum erkennen konnte?

Nun ist aber genug!

Buchstabierbiene

“Spelling Bee”-Wettbewerbe gibt es in Amerika in jeder Schule. Die Gewinner kommen weiter in die Kreis- und Regionalliegen und schließlich in die landesweiten Achtel-, Viertel- Halbfinalkämpfe, bis die 10 Besten der Besten in den “Championship Finals” beim Wörter buchstabieren gegeneinander antreten. Die werden dann vom Sportsender ESPN, einem Joint Venture der Walt Disney Company und Hearst, im Fernsehen ausgestrahlt.

Den ersten Platz teilten sich in diesem Jahr Vanya Shivashankar, die “scherenschnitte” (für Menschen, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, mit folgender Aussprachehilfe: “Sharon-sh-net”*) und Gokul Venkatachalam, der den Begriff “nunatak”** fehlerfrei in Einzellettern zerlegen konnte.

Hätten die fleißigen Bienchen des Verbandes nicht so emsig Daten gesammelt und analysiert, dann wüßten wir bis heute nicht, daß der Wettbewerb in den letzten Jahren überwiegend vom Nachwuchs von Bengaltigereltern bestritten und gewonnen wurde (http://bit.ly/1S2VoDl). Einige eher national eingestellte Zuschauer haben dem Vernehmen nach beim Sender eingefordert, daß zukünftig doch bitte nur noch “echte” Amerikaner zum Wettbewerb zugelassen werden sollten und mußten sich belehren lassen, daß echt ist, wer hier geboren wurde und die Verfassung nicht nur aus dem Second Amendment besteht. Das kann man als Sender auch nur machen, wenn man die Übertragungsrechte für NFL, MLB, NBA, College Football, NCAA Basketball und mehr hat. Sowas kündigt auch der Redneck nicht mal eben so.

Nachtrag: Mir war übrigens nicht klar, daß Kinder bis zu 15 Jahren mindestens sechs verschiedene Schulmöglichkeiten zur Auswahl stehen, unter anderem “home schooling” und “virtual”. Wieder was gelernt. Da sage einer nochmal was gegen Datenhorter.

 

* Bei youtube kann man zwar nicht die korrekte Konjugation, aber immerhin doch lernen: “how to scherenschnitte”.

** Nunatak kommt aus der Sprache der Inuit und bezeichnet in der Glaziologie einen isolierten Felsen inmitten eines Eisstromnetzes. (Danke, Wikipedia.)

Siebzig. Lachhafte siebzig.

Gerade mal noch knapp 21°C und nächtliche Gewitterstürme vorhergesagt. Ich glaube, es hackt! Ja: hackt! Und das, wo ich fast schon willens war zu erwägen, vielleicht doch demnächst die Unterhemden den Sommer über einzumotten.

Die spinnen, die Wettermacher!

100 Grad

Hundert Grad. Das ist immer der Moment, wo ich Fahrenheit als Meßskala mag – richtig heiß ist dreistellig. Hundert Grad. Das klingt einfach viel überzeugender als knapp 38°C. Hundert Grad. Das nimmt das “Property Management” in unserem Bürogebäude auch heute wieder sofort zum Anlaß, die Klimaanlage um einige Grad herunterzudrehen. Ich glaube, die haben geheime Nebenverträge mit Big Pharma (mal schnell in der Mittagspause nicht verschreibungspflichtige Medikamente gegen Atemwegserkrankungen besorgen und dabei nur den eigenen Geldbeutel und nicht die Solidargemeinschaft (hihi) belasten) und dem benachbarten Textileinzelhandel (mal schnell in der Mittagspause irgendwas Warmes zum Übers-Spaghetti-T-Shirt-Ziehen shoppen).

Nicht mit mir! Erstens gehe ich auch bei 100 Grad Außentemperatur nicht ohne mindestens ein Strickjäckchen aus dem Haus, zweitens habe ich immer noch ein weiteres Jackele über dem Schreibtischstuhl hängen, nur für den Fall und drittens in der Schublade noch einen wirklich warmen dicken langen roten Schal, der zur Not als Deckenersatz über die Beine gelegt werden kann sowie einen leichten aus Merinowolle für um den Hals gegen den Zug.

Für mich habe ich die Reserveausrüstung heute nicht gebraucht, ich hatte ja, auch bei 100 Grad, ein Strickjäckchen mit. Aber ich kann mit Freude vermelden, daß ich zwei Kolleginnen auf diese Weise vor unsinnigen Spontankäufen in Boutique und Drugstore bewahrt habe.

Merke: Sharing is Caring. Übrigens auch für mich selbst, denn wenn eine von denen sich verkühlt, hab ich bald noch mehr zu tun.

Gastbeitrag

Barbara Bush, demnächst 90, im Interview. Angesichts des Witzes und der Schlagfertigkeit dieser Frau kann ich nur bedauern, daß offensichtlich die Gene des Gatten bei ihren Buben die dominanteren waren.

barbara bush im interview

We’ll never be Royals

“Das mag vielleicht für Lorde zutreffen”, haben sich hierzulande wohl einige junge Eltern gedacht, “aber nicht für uns”. Und im letzten Jahr ihre Neugeborenen* mit den Taufnamen “Royaltee”, “Princess” und “Princecharles” in den Adelsstand erhoben. Auch Klug- und Weisheit wurden per Erzeugerbeschluß vergeben bzw. angefordert, “Wizdom” war im Jahre 2014 ebenfalls ein Renner. Weitere 203 Menschen sind für den Rest ihres Lebens, oder zumindest, bis sie alt genug sind, das per Behördenbeschluß zu ändern, mit der Erinnerung, daß in ihrem Geburtsjahr Putins Olympiade stattfand und dem Vornamen “Sochi” geschlagen.

Glaubt man dem Trend-Scout der Website nameberry.com, wird 2015 das Jahr der “Big Statements” und es ist mit einer Häufung von Namen wie “Titan” und “Royal” (auch in der Variante “Princegeorge”) zu rechnen. Doch auch Tugend sei wieder in, was zu “Saint”, “Prudence” oder “Noble” in der Krabbelgruppe führen könne. Wer eher auf “badass” steht, der werde seinen Nachwuchs wahrscheinlich “Breaker”, “Rowdy” oder “Rogue” nennen. Namen wie “River”, “Sage” und “Sunbeam” werden die Kinder von Granola-Eltern (Ökos) in ein paar Jahren in die Selbsthilfegruppen treiben und sie werden dort auf die Kinder richtig cooler Erzeuger treffen, die im Super-Sport-Stroller den kleinen “Buzz” oder “Lazer” vor sich durch den Park schubsen.

Vielleicht täusche ich mich ja auch, und sie alle und auch die kleine “Payzlee” (ja, nach dem Stoffmuster) tragen ihre Namen irgendwann mit Stolz. Buchstabieren wird dieses Kind auf jeden Fall schnell lernen.

* Sobald ein Name fünf Mal in den Verzeichnissen der Socical Security Insurance auftaucht, gilt er als eingeführt und kommt ins Namensregister.

Don’t mess with Texas!

Der politisch eher außen am rechten Rand agierende Gouverneur von Texas, Greg Abbott, hat neulich ein Gesetz erlassen, wonach Texaner (wofern über 21 und im Besitz eines Waffenscheins) jederzeit in der Öffentlichkeit offen Schußwaffen mit sich führen dürfen (“open carry”). Nicht einfach so im Hosenbund, versteht sich, sondern in einem Holster, sie sind ja keine Wilden. Kommende Woche wird er ein weiteres Gesetz ratifizieren, das sogenannte “campus carry bill”, nach dem es ab August 2016 in Texas legal sein wird, auf dem Gelände einer Universität seine Schußwaffe verdeckt zu tragen (“concealed carry”). Wie man aus jedem Film über amerikanische Jugendliche weiß, gibt es auf einem amerikanischen Universitäts-Campus nicht nur Hörsäle, Seminarräume, Laboratorien und Bibliotheken, sondern auch Wohnheime, Sporteinrichtungen, mindestens ein Stadion, Kantinen, Verwaltungsgebäude und und und. Und überall auf dem Gelände ist zukünftig in Texas nicht mehr auszuschließen, daß das Gegenüber eine oder mehrere Feuerwaffen irgendwo versteckt am Mann oder an der Frau trägt. So wie das im übrigen schon seit längerem in Colorado, Idaho, Kansas, Mississippi, Oregon, Utah und Wisconsin der Brauch ist.

Der Kanzler der University of Texas, William McRaven, obwohl (oder weil?) Ex-Special Forces und einer von den Osama-bin-Laden-Ergreifern* hält das Gesetz zwar für schwachsinnig, sich aber auch an die alte Militärregel, daß nur so lange diskutiert wird, bis einer eine Entscheidung fällt. Dann wird umgesetzt. Einige Bedenken hat er aber immer noch:

  • Er fürchtet, daß die Anzahl von “self-inflicted injuries” stark ansteigen wird. Von mir aus. Soll sich doch jeder Verdecktträger ins Knie oder sonstwohin schießen – und selbst für die Kosten seiner Heilbehandlung aufkommen müssen. Zum Schutz vor der ebenfalls von Mr. McRaven erwarteten Zunahme von “accidental shootings” (wörtlich: versehentliche Schießereien) bleibt wahrscheinlich nur ganz kurz vorher ganz schnell wegrennen bzw. die gute alte “duck and cover”-Methode. Möglicherweise auch ein Stoßgebet.
  • Das Gesetz ist durchgekommen, weil es, im Gegensatz zu früheren ähnlichen Entwürfen, den Universitäten Spielraum in der Einrichtung sogenannter “gun-free zones” gibt. Mr. McRaven gibt der Hoffnung Ausdruck  daß alle texanischen Universitäten dieses Gebot für ihre Sportstätten aussprechen. Ich sehe vor meinem geistigen Auge allerdings schon die Schlagzeilen, wenn es unter den Zuschauern mehr Verletzte und wahrscheinlich Tote gegeben haben wird, als auf dem Spielfeld, wo die Gastmannschaft gerade die Heimmannschaft zu Hause vernichtend geschlagen hat. Aber hey, be a sport**.
  • Besonders fürchtet er schlechte Publicity und damit einen abschreckender Effekt auf potentielle Studienanfänger, die möglicherweise einen waffenfreien Campus vorziehen. Dann steigen die Studiengebühren und das schadet der Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen.
  • Ach ja, Studiengebühren. Die steigen wegen des Gesetzes ohnehin, weil Versicherungsmathematiker das erhöhte Risiko gerade in immens steigende Versicherungsprämien umrechnen.

Die NRA ist im übrigen nicht ganz zufrieden. Einmal, weil an den Unis Waffen nicht stolz und offen getragen werden dürfen und zum anderen wegen der waffenfreien Zonen auf dem Gelände. Alles unter Vollabdeckung ist in deren Augen eine Niederlage.

Nur so am Rande: ausgerechnet am 1. August 2016 jährt sich der erste große amerikanische College-Massenmord zum 50. Mal. Und der wurde wo verübt? Ja, genau. An der University of Texas, von Charles Whitman, der von einem Turm herunter knapp 20 Menschen erschoß und über 30 verwundete. Aus der Geschichte zu lernen ist aber offensichtlich keine Option.

* Ich glaube, das Narrativ, bei diesem Einsatz dabeigewesen zu sein, hat inzwischen die Qualität von jeder Deutsche war im Widerstand und ganz Frankreich in der Résistance.

** “Be a sport” bedeutet übertragen “Sei kein Spielverderber” – sehr hübsch illustriert von Tom Paxton in diesem schon etwas älteren Lied: http://bit.ly/1G11lv5.