Vorspiel

“Was ist geschehen, o holde Bäckersfrau? Ist die Beulenpest in euer Backwerk eingefahren?” So oder so ähnlich habe ich heute die Fachkraft in der Bäckerei befragt, als mir auffiel, dass jede einzelne Semmel in der Auslage seltsame Ausbuchtungen zeigte.

Die sichtbar genervte Frau wedelt mir langen Verkaufslistenfahnen. “Die da in der Zentrale” hätten alle Brötchen umbenannt – allerdings seien offensichtlich unterschiedliche Abteilungen am Werk gewesen, denn ungefähr die Hälfte heißen bis auf weiteres “Fußballsemmeln”, also Fußballkornspitz oder Fußballkürbiskern etc. pp. Für die Umbenennung der anderen zeichne wohl ein wahrer Fan verantwortlich. “Die von dem heißen mit Vornamen alle Weltmeister“.

Wir verständigen uns darauf, dass uns die Form egal ist, Hauptsache, es schmeckt und dass man in nächster Zeit Biergärten mit großen Leinwänden besser meiden sollte.

Nicht in Versuchung

Meistens schaffe ich es, mein bißchen Zeug fürs Wochenende schon am Freitagabend zu besorgen, flitze Samstagfrüh nur noch schnell zu Bäcker und Zeitungshändler und habe fertig.

Heute war ich mit Semmeltüte und SZ unterm Arm (extra keine Einkaufstasche mitgenommen) schon wieder zurück an der Haustür, als Innerer* zu lamentieren anfing: “Nur mal rübergehen und ganz kurz gucken, wahrscheinlich finden wir eh nix und wenn doch, dann ist es für einen guten Zweck…”. Aber ich bin stark geblieben und habe Innerer und dem Ignaz** von gegenüber widerstanden. Mir kaufet nix. Schon allein, weil mein eigener Bestand an analogem Lesestoff trotz aller guten Vorsätze in den letzten zweidreiviertel Jahren schon wieder ganz ansehnlich gewachsen und der Platz in meiner Wohnung endlich ist.

 

* “Innerer” heißt mein Schweinehund, der immer einen Grund findet, warum heute kein guter Tag für Sport, aber immer ein guter Tag für noch ein Stück Schokolade ist.

** “Ignaz” heißt auch nur Ignaz, wenn er sich anbiedert und “goes Pop” oder “veranstaltet Bücherflohmarkt”. Sonst bestehen die Herrschaften durchaus auf der Anrede “Katholische Pfarrgemeinde St. Ignatius”.

Gastfundstück

So, wie vor ein paar Jahren das Internet Meme vom blauen, nein goldenen Kleid (nachfolgend nochmal zur Auffrischung des Gedächtnisses)

dress

ein optisches Phänomen war, ist jetzt (mindestens) die Welt (mindestens) ebenso gespalten über ein akustisches, nämlich Sagt-der-Yanny-oder-Laurel? Hier: https://bit.ly/2GnETAV.

Die New York Times ist nun angetreten, Frieden zu stiften und hat ein lustiges Tool entwickelt, wo man sich’s aussuchen kann: https://nyti.ms/2GrzGbl. Christoph hat das gefunden und sei dafür bedankt.

Unterfahrt: Laura Jurd/Dinosaur

Kurz vor Konzertbeginn erklimmt ein zartes Persönchen die Bühne und hantiert mit einem Notenständer, der sich recht widerporstig gibt, bis er endlich steht, wie sie das gerne will (sowas sieht, egal bei wem, immer ebenso liebenswert unbeholfen aus wie der Versuch, einen dieser alten Liegestühle aufzustellen). Ein paar Minuten später zieht Laura Jurd an der Spitze ihrer Formation Dinosaur ein  – Elliot Galvin (synths), Conor Chaplin (el-b), Silvan Strauß (dr) – und ich nehme hiermit das “Persönchen” zurück. Von wegen.

Diese noch sehr junge Frau bläst eine derart schmutzige Trompete, Hut ab! Und weil das alleine nicht reicht, spielt sie ganz häufig mit der anderen Hand dazu noch Synthesizer. Außerdem singt dieses Multitalent und selbstverständlich hat sie sämtliche Stücke selbst komponiert und arrangiert. Und ist noch keine dreißig.

Es ist schon etwas sehr Besonderes, wenn man so eine Ausnahmebegabung in echt erleben darf. (Für nicht Dabeigewesene besser als nix: https://laurajurd.com/media/)

Ganz neu im Kino: The Bookshop

Wenn es jemand darauf angelegt hätte, das perfekte Gegenstück zu dem gräßlichen neuen Fahrenheit 451 Movie zu drehen, dann wäre dieser Film herausgekommen.

Die Kameraführung sehr ruhig und gelassen, die Farben gedämpft, lange unaufgeregte Einstellungen auf nichts als Meer und Landschaft. Die Geschichte vollkommen unspektakulär, eigentlich fast ein wenig langweilig: eine noch junge Kriegerwitwe (Emily Mortimer) erfüllt sich ihren Traum und eröffnet im Jahre 1959 in einem langweiligen verregneten Kaff an der englischen Küste eine Buchhandlung. Noch während sie die ersten Kartons auspackt, drängt sich ihr eine sehr junge Ladenhilfe auf (die unglaublich entzückende Honor Kneafsey) und schon bald wird ein schrulliger älterer very British gentleman (Bill Nighy, wer sonst?) ihr bester Kunde. Sie stellt ihm Bradbury vor (Fahrenheit 451, what a lovely coincidence) und sie reden sich die Köpfe heiß über “Lolita” – es ist herrlich anzusehen und, obwohl lang und getragen, nicht fade. Eine winzige, sehr keusche Liebesszene, die ich nur in Ermangelung eines besseren Begriffs so nenne, gestattet die Regisseurin Isabel Coixet den Beiden und die ist so herzerwärmend und liebevoll, dass sich mir selbst jetzt beim Schreiben in der Erinnerung ein Lächeln ins Gesicht stiehlt.

So, Romantik wieder aus. Die Welt ist nämlich nicht gut. Gute Menschen sterben, dafür intrigieren höchst lebendige zähe böse britische Society Ladies (Patricia Clarkson) und ihre willigen Helfer (James Lance) meisterhaft und schamlos. Ihre Borniertheit, ihre Beziehungen und ihr Geld führen schließlich auch zum Ziel, aber an unserer bücherhandelnden integren Heldin prallt die mit Gift getränkte Höflichkeit ab. Wenn man in England je wieder ein Modell für die “stiffest upper lip” suchen sollte, dann setze ich mein Geld auf Florence Green. Die Figur bleibt bis zum Schluß geradlinig, klar, determiniert und nicht korrumpierbar.

Der Film schert sich keinen Deut um die aktuellen Sehgewohnheiten (schnelle Schnitte, Bummklirrpeng), die Menschen sind nicht besonders schön und die Gegend auch nicht. Selbst die überraschende Schlußszene nimmt ihm kaum etwas von seiner Ruhe. Man muß sich darauf einlassen wollen. Ich wollte und kann ihn guten Gewissens weiterempfehlen, wenn sich wer die Zeit nehmen mag.

Yes we spam

Ich weiß schon, keiner mag Spam. Ich ja eigentlich auch nicht, es sei denn, es schriebe mir ein Herr mit einem Beruf von einem anderen Stern

Bargeldablagerungen

der sich von einer größeren Menge an riesigen Bargeldablagerungen zu trennen wünscht. Dann bin ich doch kurz amüsiert, bevor ich lösche.

Neu auf HBO: Fahrenheit 451 (2018)

So ein schlechter Film. So ein entsetzlich schlechter Film. Grauselig. Ramin Bahrani hat sich Ray Bradburys Geschichte für seine 3. Millennium-Adaption zurechtgeschrieben und in einem Aufwasch den Film gleich inszeniert und mitproduziert – und damit erfolgreich verhindert, dass ihm irgendwer in diesen Stuß hineinredet.

Spoiler – Spoiler – Spoiler

Ich will ja nicht so sein – der Anfang ist gar nicht so übel. Neuzeitliche Bücherverbrennungen in lodernden Farben werden mit denen der Nazis in Schwarz/Weiß gegengeschnitten und es brennt nicht nur der westliche Kanon, sondern Literatur, Malerei, Filme, Noten und Datenträger aller Art aus der ganzen Welt. Soweit über den Tellerrand, so gut. Warum Black-Panther-Darsteller Michael B. Jordan den bücherverbrennenden Feuerwehrmann Montag darstellt? Man weiß es nicht, gut macht er es nicht. Er kann/darf nur rehäugig betroffen oder brüllend in Rage, Zwischentöne Fehlanzeige. Seinen Chef und Ziehvater Captain Beatty (in einer Uniform, die als einzige von allen im Konförderiertenstil geknöpft war – WTF?) gibt Michael Shannon wieder als autoritären und machtbesessen Widerling wie schon seine Figur in “The Shape of Water”; wenn der nicht aufpaßt, ist er für den Rest seines Lebens auf diese Typen festgelegt. Alexa heißt hier “Yuxie” und gibt zu allem ihren Senf dazu; das ganze Menschenleben ist von Socialmedia getrieben, erste Bürgerpflicht ist, “happy” zu sein, Projektionsflächen für ununterbrochen laufendes Fernsehen sind die Wolkenkratzer der Städte und jeder ist eines jeden Denunziant. Die Aufforderungen “Stay Vivid” und “See something – Say something”* blinken ununterbrochen von den Monitoren.

Und in dieser schönen neuen Welt nun verbrennt Montag Bücher und gelegentlich Menschen, warum, wird nicht erklärt, es könnte sein, dass es daran liegt, dass Lesen Menschen verwirrt oder vom Glücklichsein abhält, man weiß es nicht so genau, aber dann trifft er eine lesende Außenseiterin (Sofia Boutella) (Merke: Außenseiterinnen erkennt man an den strähnigen Haaren) und dann mag er auf einmal Bücher gern und die Frau auch und verbrennen möchte er eh schon nichts mehr und dann trifft er die Leute vom Widerstand, die Bücher auswendig lernen, aber, weil, wir sind ja in der Neuen Zeit, auch schon eine DNA-verändernde Substanz erfunden haben, und alles, was je an Kunst produziert wurde, ist jetzt im Erbgut eines kleinen Vögeleins, das nach Kanada (!) gebracht werden soll und dann wird unser Held von einem bösen Kollegen, der eigentlich nur auf seinen Job neidisch ist, verraten und die Feuerwehrleute zünden Haus und Bibliothek der “Eels” an (“Eel” bedeutet Aal und warum lesende Menschen nach einem länglichen schleimigen Fisch genannt werden, der noch nicht mal ein Buch festhalten könnte, geschweige denn lesen, erklärt einem auch keiner), ahaber er schafft es in letzter Minute, den Vogel freizulassen und der fliegt dann selbständig über das weite Meer (WTF?) und Felder und Wälder und muß nicht mehr mit dem Auto gefahren werden – sollte wahrscheinlich eine “Gedanken sind frei”-Metapher sein – und wenn nicht, ist auch wurscht. Was ein Schwachsinn!

Sehr faszinierend fand ich, dass bei all dem Feuer und Qualm niemals auch nur ein Mensch hustet oder tränende Augen hat – ich kann mir das nur damit erklären, dass es sich um eine Nebenwirkung der gesundheitsfördernden Drogen der Neuen Zeit handelt. Nicht etwa um einen Continuity-Fehler.

Ein Gutes hat diese abgrundtief schlechte Produktion aber doch: ich habe ich richtig Lust auf die alte Truffaut-Verfilmung mit Oscar Werner bekommen. Vor allem auf die letzte Szene im Birkenwäldchen, in der alle Bücher memorieren. (Ich bin gespannt, ob die wirklich so ist, wie meine Hirn glaubt, sich zu erinnern.)

Ach ja, nicht anschauen. Bloß nicht.

 

* Das ist ein Zitat. Den Slogan gibts in den USA des Jahres 2018 schon, genau wie den Klassiker “Report drunk Drivers”.

On the Road again

Am ersten freien Tag des langen Wochenendes schon viel zu früh Richtung Eltern unterwegs, aber auch gleich mit dem Umstand versöhnt, denn die netten Menschen von Bayern 2 bringen ein Samstagmorgenfeature über Gisela von Erkelenz, die in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren wöchentlich per Anhalter zuerst von Berlin, später von Baden Baden nach München zu ihrem Liebsten trampte und deren Erlebnisse und Erfahrungen mit den Mitnehmern sowie die Eindrücke ihrer Tochter, die die Strecken eine Generation später abfährt und mit den Geschichten ihrer Mutter abgleicht und Land und Leute sehr verändert findet.

Wenn ich es mir recht überlege, geht mir das nach nur 10 Jahren so… Ich fahre ja kaum lange Strecken mit dem Auto, aber wenn, dann durch mir noch sehr neue Landschaften voller Windräder, Sonnenkollektoren, froschgrüner Flixbusse und Sanifair-Bedürfnisanlagen. Letzere, erklärt mir meine Schwägerin, seien eine ganz feine Sache: sie nämlich sammele immer die Belege* und wenn sie ein knappes Dutzend beieinander habe, tausche sie die an der Raststätte gegen eine “Pipi-Zeitung”** ein. Ich mache das anders: ich lasse mich für die Nutzung bezahlen – mir hat man auf einen Euro 1,30 EUR zurückgegeben. Find ich besser.

Außerdem neu auf den hiesigen Straßen: www.pinke-limo.de. Ist mir sowohl auf dem Hin- wie auf dem Rückweg meiner Pfingstreise begegnet, scheint also der allerletzte Schrei zu sein.

 

* Falls jemandem außer mir das Prinzip nicht vertraut ist: die Nutzung der Toilette auf einer Autobahnraststätte kostet 70 Cent (der Automat kann auch Scheine, kann wechseln und sämtliche gängigen Kreditkarten), dafür ist die Anlage blitzsauber und man bekommt einen Gutschein über 50 Cent, der auf Einkäufe in der überteuerten Raststätte angerechnet wird.

** Ich gehe davon aus, dass sich der Titel des Magazins auf die Mittel zu seinem Erwerb bezieht und nicht etwa auf die sexuellen Vorlieben meines Bruders. Wenn doch, TMI, Madame, TMI!

Duett

Meine Persönliche Amsel bringt seit gestern Abend eine Zweite Stimme mit und die beiden schmettern auf meinem Balkongeländer die wildesten Koloraturen – ich kann mich gar nicht satt hören.

s. https://flockblog.de/?p=35609