Letztes Wochenende hatte ich Zitronenerntenüberschüsse geschenkt bekommen. Schalen abgerubbelt, fleißig ausgepreßt, Teig gerührt, schöne saftige Zitronenkuchen gebacken und mir Sam von gegenüber zu Kaffee und Kuchen eingeladen.
Sam war in Plauderlaune und hat von seiner Arbeit im Großmarkt am Flughafen erzählt und mir sind die Augen übergegangen. Nicht, daß ich nicht glaube, daß das in anderen Ländern nicht genauso ist. Trotzdem ist es was anderes, wenn es direkt vor der eigenen Hautür passiert und außerdem mag ich Sam gerne leiden. Die schiere Selbstverständlichkeit, mit der er es hinnimmt zu frühkapitalistischen Ausbeuterbedingungen zu schuften ist herzzerreißend.
Arbeitsverträge werden mit Handschlag geschlossen, zu meist willkürlichen (und nach Laune und Bedarf des Arbeigebers änderbaren) Bedingungen. Viele der Arbeiter können nicht oder nur wenig und schon gar nicht Englisch lesen und schreiben und akzeptieren das notgedrungen. Durchschnittliche Arbeitszeit: 10-12 Stunden pro Tag in der Mitternachtschicht, von ein Uhr früh bis kurz vor Lunchbreak bzw. halt bis die Arbeit erledigt ist. Fünftagewochen sind die Ausnahme, sechs die Regel, sieben nicht unüblich. Krank werden empfíehlt sich nicht: “Call in sick one day – not good, but can happen. Call in sick one more day – not good. Call in sick three times – you can go.” Als Gutverdiener gilt ein Arbeiter, der 100 Dollar am Tag macht. Kommt das Wochenende hinzu, gibt’s nicht etwa Feiertagszuschlag, sondern einen Abschlag. Wer aufmuckt wird einmal gefragt: “You want job?” Dann nickt er entweder und akzeptiert oder er geht (oft ohne Auszahlung des schon geschuldeten Lohns). Die Bezahlung erfolgt in Bargeld (wovon der Vorabeiter einen Auszahlungsbonus für sich abzieht) oder als Scheck. Weil die meisten keine Sozialsversicherungsnummer haben, können sie kein Bankkonto eröffnen. Damit sie trotzdem zu ihrem Geld kommen, gehen sie mit ihren Schecks zu einem Supermarkt in der Nachbarschaft. Der Ladeninhaber hat sich auf das “Cashen” dieser Schecks “spezialisiert”. Für einen $500-Scheck zahlt er 450 bare Dollars aus.
Die Personalanforderung für eine besonders dreckige oder anstrengende Aufgabe ist ein durch die Halle gebrülltes “I need a Mexican here. Now!” Dabei, empört sich Sam, sind viele aus Hondurras oder El Salvador, aber “The Bossman” differenziere da nicht, für den sei jeder Mann der Spanisch spreche ein Chicano.
Bei gutem Wetter sei die Arbeit anstrengend, aber erträglich, weil es viel Freifläche gibt, bei schlechtem grausam, weil alle Paletten in einer viel zu kleinen Halle vielfach rangiert und von Hand um- und neu aufgeladen werden müssen. (Wie überall in Nordkalifornien ist man nicht auf Niederschlag eingerichtet, obwohl es im Durchschnitt ein Viertel des Jahres regnet. Und wenn, dann richtig heftig!)
Es tut weh zu sehen, wie stolz Sam darauf ist, daß er diesen Job nun schon so viele Jahre macht. “You know why they keep me? Because I never say No to the boss.”
Komisch, daß die Antidiskriminierungsfritzen da noch nie aufgetaucht sind. Gänseleberpastete verbieten hat einfach höhere Priorität. Das muß man doch verstehen. Muß man?
*Woody Guthrie, 1940 (Viel geändert hat sich offensichtlich nicht.)