Eine arbeitslose junge Frau bekommt in den frühen Vierzigern des letzten Jahrhunderts eine Stelle “beim Amt” angeboten. Zwar in Polen, aber als Ausgleich Ost-Zuschläge. Ein junger Mann aus Zagreb sieht sehr gut aus, ist jedoch nur Kandidat in der “Wertungsgruppe”, doch wenn er sich anstellig und gehorsam zeigt, kann er zum Deutschen aufsteigen. Er zeigt sich anstellig und gehorsam. Zusammenarbeit, nützlich sein für die mit dem Eichenlaub am hohen Kragen, Kind, Hochzeit, Kriegsgefangenschaft, Flüchtlingskredit, viel Arbeit, bescheidener gesellschaftlicher Aufstieg in der Nachkriegszeit. Einfache hart arbeitende strebsame Menschen, die vor allem ihren Anteil am Wirtschaftswunder wollen (weil ihnen das nach den schrecklichen Kriegs- und Nachkriegsjahren ja wohl auch zusteht) und dass ihr Kind es einmal besser hat.
Sechziger Jahre. Auch die Mode ist freier geworden, Koschmieder zeigt sehr raffiniert, wie. Die viele Arbeit hat sich gelohnt, das Paar ist eben in den neu gebauten Hoesch-Bungalow** eingezogen, die Grube für den nierenförmigen Swimming-Pool bereits ausgehoben. Es kann eigentlich nur noch weiter aufwärts gehen. Dann holt die Geschichte sie ein. Wie genau, möge eine jede und ein jeder selbst lesen. Es lohnt. Die dumpfe Atmosphäre der Sechziger Jahre, eine Bevölkerung, die nichts mehr wissen will von der “dunklen Zeit”. Ein Volk, das im hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den Begriff “Auschwitz” überhaupt erst in den Nachkriegs-Wortschatz einfügt, einen Nestbeschmutzer sieht – Koschmieder navigiert mit großer Meisterschaft durch dieses Jahre. Sie hält ihre Leserschaft nah bei ihren Figuren, die sie bei allem Fehlverhalten nie verrät. Einfache Leute, die sich selbst am nächsten sind. Es steht keinem zu, den ersten Stein zu werfen.
Das Buch ist, nach ein paar wenigen Druckschlampereien auf den ersten Seiten, sehr sehr hübsch besorgt, sogar der Umschlag ist in mini. Sowas kriegt selbst der beste E-Reader nicht hin. Leider ist kein Index dabei. Ich habe Zeit, ich kann Begriffe wie “131er”, “Panzer-Meyer”, HIAG usw. nachschlagen und habe es auch getan. Anderen würde eine Handreichung sicher helfen.
Lesen! Lesen! Lesen! (Mein Exemplar kann ausgeliehen werden.)
* Ich weiß es noch: Auf einer längeren Autofahrt übertrug der Deutschlandfunk die Lesungen für den Bachmann-Preis 2024, der gelesene Ausschnitt war extrem spannend und deshalb habe ich mir das Buch vorgemerkt.
** Hoesch-Bungalow, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Hoesch-Bungalow