Kannitverstan
In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass in manchen roten BĂŒcherschrĂ€nken* sehr viele gut erhaltene BĂŒcher am Buchschnitt unten oder oben bekritzelt sind. Warum macht jemand das? Warum ein Buch, das man selbst nicht mehr behalten möchte und netterweise anderen ĂŒberlĂ€Ăt, “entwerten”?
Ja, ich weiĂ schon, inhaltlich nimmt es dem Werk nichts, Ă€sthetisch aber schon. Muss das denn sein? Ich fĂŒhlte mich angesichts dessen gestern sehr an eine Szene auf dem Flohmarkt erinnert, an einen VerkĂ€ufer, der zum Ende des Tages nicht verkaufte KleidungsstĂŒcke zerschnitt und dann in einen Altkleidercontainer stopfte. Wenn ich die Sachen eh nicht mehr haben will, warum muss ich sie dann so kaputtmachen, dass kein anderer was davon hat?
Da gibt einem der SEV kurz den Glauben an die Menschheit zurĂŒck und dann sowas. Ach. Mensch.
* Falls jemand mit dem Prinzip trotz vieler blogposts noch nicht vertraut sein sollte, mehr hier: https://www.awm-muenchen.de/vermeiden/buecherschraenke
Zur Soziologie des Ăffentlichen Nahverkehrs
Wer wissen will, wie eine Zweiklassengesellschaft entsteht, der benutze Schienenersatzverkehr. Hier scheidet sich die Spreu vom Weizen, der Profi vom Amateur.
Wobei sich ein erfreuliches PhĂ€nomen zeigt. Die Wissenden, also die Frequent Traveller unter den SEV-Nutzern, nutzen ihre Weisheit, um die Unwissenden zu bilden. Die Standardfrage an den verzweifelten Nichtauskenner lautet im Allgemeinen: “Wo mĂŒssen’S denn hi?” und dann entwickelt sich meist eine hilfsbereite Ratgeberrunde, die dem Suchenden Optionen anbietet. Nach dem Motto: Viele Wege fĂŒhren zur MĂŒnchner Freiheit.
Es mag stimmen, dass das ursprĂŒngliche Ziel der MVG nur war, Renovierungsarbeiten an der Strecke vorzunehmen. Der sehr positive Nebeneffekt ist aber auch, dass Menschen miteinander reden, SchwĂ€cheren in den eher barrierereichen Bussen die zugĂ€nglicheren PlĂ€tze ĂŒberlassen und das alles sehr unaufgeregt und selbstverstĂ€ndlich ablĂ€uft. Dem einen oder der anderen entweicht manchmal sogar ein Lob ĂŒber Logistik und Organisation.
Ich fĂŒr meinen Teil habe inzwischen Zeit und kann sie vergeuden und finde es gar nicht mehr so schlimm, dass ich die Fahrtzeit in diesen Bussen nicht verlesen kann, weil mir gleich schlecht wird. Stattdessen schaue ich rum und sehe ich, wie allerorten der FrĂŒhling mit aller Macht hervorbricht, BĂ€ume, die noch vor zwei Wochen kahl und schwarz waren jetzt im BlĂŒtenrausch schwelgen, GrĂŒn in allen Schattierungen mein VerstĂ€ndnis der Pantone-Palette erweitert. Und ich sehe Rot. Rot, wie in “rote BĂŒcherschrĂ€nke”. Allein an meiner Aushilfsstrecke habe ich zwei entdeckt. Und weil (s. o., zum Thema Lob) diese Busse recht zuverlĂ€ssig eh alle fĂŒnf Minuten fahren, steige ich zwischendrin auch mal aus, bringe ein paar BĂŒcher hin, bevor sie sich wieder in meine Regale schmuggeln, schaue die SchrĂ€nke nebenher auf Findenswertes durch und steige dann halt in den nĂ€chsten oder ĂŒbernĂ€chsten oder ĂŒberĂŒbernĂ€chsten wieder ein.
Es könnte alles viel schlimmer sein.
Renterinnen-Report
Ich lese ja gern, was kluge Menschen zu sagen haben und irgendwie bin ich neulich auf Nils Minkmars Beitrag zum Thema Ruhestand gestoĂen (hier: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/leben-und-gesellschaft/rente-ruhestand-erfuellung-glueck-arbeitsleben-93852) und gleich der erste Satz, eine Bildunterschrift, hat mir groĂen Erkenntnisgewinn gebracht.
Da nĂ€mlich wird Herr Tausche zitiert, bis vor kurzem Stadtarchivar: “Im Ruhestand, dachte Tausche, brauche er Struktur, einen Stundenplan. “Aber ich bin klĂ€glich gescheitert”, sagt er. Er habe gemerkt: Er lebt lieber in den Tag hinein. “Es kommt, wie es halt kommt.”
Was habe ich mich verstanden gefĂŒhlt!
Wenn ich doch irgendwann nochmal Struktur brauchen sollte, schaffe ich sie mir halt dann.
Manno!
Da sind wir sooo kurz vor dem Beginn der Freibadsaison und dann machen mir die Stadtwerke mein StĂ€blibad dicht. Mit noch nicht mal einem Monat Vorlauf. Dabei ist das StĂ€bli eins der wenigen BĂ€der in MĂŒnchen ohne SpaĂ. Nur Schwimmhalle und fĂŒr die, die mehr brauchen, noch ein Saunerl und eine schöne Liegewiese mit altem Baumbestand.
Echt jetzt, nett ist das nicht.
Kunsthalle MĂŒnchen – Ausstellung: “Civilization: Wie wir heute leben.”
Soweit ich das nach Betrachtung der vielen groĂformatigen Fotografien sagen kann, ist das AnthropzĂ€n in der Hauptsache pickepackevoll und plastikquietschebunt.
Ein Wimmelbild.
Man sollte nicht zuviel erwarten, kann die Ausstellung aber dann gut ansehen.
Renterinnen-Report
Schon wieder so ein geschenkter Tag, wie er noch vor drei Monaten nicht möglich gewesen wÀre.
Die Freundin auf Durchreise fragt Samstagnacht an, ob ich denn wohl gerne montags einen Paarstundenstopover in MĂŒnchen mit ihr verbringen wolle. Und ich sage binnen Minuten und sehr erfreut zu.
Das Wetter soll nichts besonderes werden, aber kaum treffen wir uns zum vereinbarten Zeitpunkt bricht die Sonne durch und wir nehmen den Kaffee zur StĂ€rkung vor dem Ausstellungsbesuch drauĂen, ohne Jacken. Dann Ausstellung (â nĂ€chster blogpost), anschlieĂend Nachbesprechungslunch im Innenhof der Residenz im allerschönsten Sonnenschein.
Nun ist sie auf dem Weg zurĂŒck nach Hamburg (Gute Fahrt, ma chĂšre!) und ich kann erzĂ€hlen, wie schön das ist, wenn man nix muss und alles kann. Hach!
Gelesen: T. C. Boyle â âThe Terranautsâ
Es ist jetzt schon wieder fast 10 Jahre her, dass der schon immer sehr hellsichtige Herr Boyle diese Geschichte vom “Menschenexperiment” veröffentlicht hat.
Worum geht’s? In kurz: ein sehr sehr reicher etwas eigenartiger Mann lĂ€Ăt irgendwo weit hinten in Arizona die Erde im Kleinformat unter einer Glaskuppel nachbauen, mit ein paar Klimazonen vom Regenwalddschungel ĂŒber Ozean bis zur WĂŒste und bevölkert sie nach einem langen anstrengenden Auswahlverfahren mit acht Terranauten, die dort fĂŒr zwei Jahre leben und arbeiten sollten.
Boyle ist gerne gemein und darum findet das Experiment unter den Augen der neugierigen Ăffentlichkeit, statt – im Buch kann die Reise zum Habitat “E2” als Package mit Ăbernachtung und Halbpension gebucht werden. “Wissenschaftliches” Ziel ist es, das Experiment fĂŒr die nĂ€chsten 50 Jahre alle zwei Jahre mit einer neuen Terranauten-Besetzung zu wiederholen, bis endlich das ideale Habitat fĂŒr die zukĂŒnftige Besiedlung des Mars entwickelt ist. Wie gesagt, 2016 veröffentlicht.
Boyle erzĂ€hlt die Geschichte quasi dreistimmig, aus den jeweiligen Blickwinkeln dreier Protagonisten und alle haben sie ihre ganz eigene Agenda und ganz besonders ihre ureigenen Macken, Fehler und SchwĂ€chen. Es macht groĂen SpaĂ zu lesen, wenn der SchĂŒrzenjĂ€ger erklĂ€rt, warum die Frauen (selbst) schuld sind. Immer. Oder wie sich zwei beste Freundinnen langsam zerfleischen. Sehr gelungen. Der Sapiens ist schon eine sehr eigenartige Spezies.
Das Buch ist dick und man sollte dranbleiben. Es empfiehlt sich also fĂŒr die Sommerreise und passt gut an Strand, Bergsee oder Pool.
Lesen!
Mei Ruah wui i ham! Zefix!
Es mag ein Quentchen (ich weiĂ schon, in neudeutsch ist die Schreibweise QuĂ€ntchen vorgesehen – aber wie sieht das denn aus, Mann?), ich betone also: es mag ein Quentchen Eigennutz dabei sein, wenn ich mir um die Einhaltung des Arbeitszeitsgesetzes bei den MĂ€nnern auf dem Dach gegenĂŒber Sorgen mache, die am hellerlichten Samstag schon wieder seit heute frĂŒh um sieben mit sehr lautem GerĂ€t da oben herumwerkeln. Ein Quentchen. Höchstens.