Zur Lage der Nation

Barack Obama ist ein glückloser Präsident.

Muß noch über zwei Jahre im Amt bleiben, hat aber schon jetzt so wenig Macht und Ansehen (Fachbegriff “lame duck”), daß einige seiner Parteifreunde ihn für Wählergift halten und bei den Wahlveranstaltungen für die “Primaries” im Spätherbst lieber nicht dabei haben wollen. Ist Friedensnobelpreisträger und dabei Oberkommandierender einer Armee, die überall auf der Welt in irgendwelchen Krisenherden irgendwas macht. Von Raushalten bis Air Strikes oder beides oder keines oder irgendwie irgendwas Halbherziges mit Drohnen – eine deutliche Strategie ist nicht erkennbar und Erfolge schon gar nicht.

Sein Lebenswerk, eine bezahlbare verpflichtende Krankenversicherung für alle, hatte einen miesen Start und wird seitdem zunehmend wieder verwässert. Erst diesen Sommer, als die Bundesrichter zugunsten von Hobby Lobby entschieden haben. Es ist nun höchstrichterlich erlaubt, Mitarbeiterinnen den Zugang zu Verhütungsmitteln unter dem “Affordable Health Care Act” zu verweigern. Wohlgemerkt: es handelt sich nicht um eine Kirche oder eine Non Profit Organization, sondern um ein ganz normales und amerikaweit Filialen betreibendes profitorientiertes Unternehmen, dessen Besitzer halt zufällig stramme Christen sind. Und ich Naivling hatte angenommen, Sprüche wie “Lieber zehn auf dem Kissen als eines auf dem Gewissen” gehörten in eine graue Vorzeit! Von wegen. Mein Bauch gehört nicht etwa mir, sondern meinem Boß. Diese Art von christlichem Fundamentalismus ist so dermaßen auf dem Vormarsch, daß eigentlich schon alles zu spät ist.*

Immerhin ist es ihm als erstem schwarzen Präsidenten gelungen, den Rassismus zu besiegen. Halt, Moment, ich höre gerade: das hat nicht geklappt. In seiner jüngsten Amtszeit sind neben vielen anderen zwei junge schwarze Männer unter großer Medienabdeckung über den Haufen geschossen worden, 2012 in Florida Trayvon Martin von einem weißen Nachbarschaftswächter (Freispruch mangels Beweisen) und vor ein paar Tagen in Ferguson, Missouri, Michael Brown von einem weißen Polizisten. Im Wahljahr 2012 meldete sich der Präsident mit der vielzitierten Aussage zu Wort: “If I had a son, he would look like Trayvon”; aktuell war zu hören: “I won’t do stupid things.” Da ist doch schon viel Schönes dran.

Wenigstens hat er es geschafft, nach den vielen Amokläufen der letzten Jahre die Waffengesetze zu verschärfen (s. https://flockblog.de/?p=18862). Ach, auch nicht? Na, immerhin hat er nach dem Sandy Hook Massaker die Flaggen im ganzen Land für fünf Tage auf Halbmast setzen lassen. Das ist doch schon was. Die Waffenlobby ist allerdings schon ein ganzes Stück weiter. Nicht nur, daß sie jedes Gesetz, das auch nur die Kontrolle über die geistige Gesundheit eines Waffenkäufers vorsieht, abschmettern hat lassen, nein, es gibt seit diesem Frühjahr auch allerliebste Bilderbücher wie zum Beispiel “My Parents Open Carry” (Meine Eltern tragen ihre Waffen offen zur Schau). Ich hatte eine sehr vergnügliche Zeit damit, die Kommentare** zu diesem Werk zu lesen http://amzn.to/1ts6Tav, ebenso wie “Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch jenes genommen” wie zum Beispiel die Aufrüstungsfibel für Lehrer “Sandy Hook Massacre: When Seconds Count – Police Are Minutes Away” (Wenn’s um Sekunden geht, braucht die Polizei noch ein paar Minuten) http://amzn.to/1pMxM9I oder den Erziehungsratgeber zur Aufzucht eines echten Kerls, so wie die Feministin ihn haßt http://amzn.to/1ts81uE.

Genug der Abschweifung und zurück zum Präsidenten. Schaun wir mal, wie es mit den weniger weltbewegenden Versprechen aussieht: “One of the things I think I can bring to the presidency is to make government cool again.” Ah – no. No you didn’t.

Eine deutsche Freundin hat neulich gefragt, ob ich von Barack Obama enttäuscht sei. Hmmm. Was meint die geneigte Leserschaft?

 

* Sehr lesenswerter Artikel hierzu aus der Huffington Post: http://huff.to/YBWKyw

** Kleine Auswahl:

– Can’t wait for the sequel,. “My Black Parents Open Carried Until the Police Shot Them 146 Times”.
– If only the title was “My Two Mom’s Open carry” . The Pulitzer would be already decided.
– Not quite as compelling as the first book, “What Would Jesus Carry?”
– I laughed, I cried …I accidentally shot my mailman in the face
– I got really excited when I found out there was a sequel coming out for the really little ones: “Goldilocks and the Three Open Carry Bears”
– I understand that this book is the first in a Trilogy. The second and third book, “There’s Fluoride in my Water!” and Where’s the President’s Birth Certificate” are due out before Thanksgiving.
– My son just came in from the pool, heard me laughing uproariously and said, “Are you STILL reading those comments?” I assured him that I did other things today… I bet he wouldn’t have opened his mouth if I had had a pistol on my hip. Sigh.
– I much preferred the version entitled “My Parents Open Carrie,” a scintillating coming of age story of a 13 year old girl who watches her parents introduce the 19 year old British au pair to the exciting world of polyamory and double penetration…..
– long live the US Canada border
– Because the family that shoots together, obviously finds Monopoly boring.
– I like how the name of the entirely fictional father is ‘Dick Strong.’ I guess Reagan McThundercock was a little too on the nose. Can’t wait for the follow-up, “My Dad Shot an Un-Armed Black Teenager Repeatedly, but its OK Because his Music was Too Loud.”
– Not nearly as much fun to read as the Indian version, “My Parents Open Curry.”

Heil!

HeilMan hat ja als Deutsche/r einen eher verkrampften Zugang zum Wort “Heil” und wenn man dann bei der Recherche auf Heils Website noch auf Überschriften stößt wie “Give ‘Em Heil” oder “Search Heil…” drängen sich seltsame Assoziationen ins Hirn. Amerikaner haben mit dem Begriff kein Problem und verbinden ihn allenfalls mit dem 1901 von Julius P. Heil in Milwaukee, Wisconsin gegründeten Unternehmen, das inzwischen ausschließlich “Mobile Refuse Trucks and Collection Solutions” (= Müllautos) produziert. “For over 100 years, the Heil name has stood for excellence, innovation, and customer satisfaction.” In den Anfangsjahren umfaßte die Produktpalette auch Panzer, aber darüber ist man bei Heil inzwischen hinweg.

Warum nur sind bei mir die unguten Assoziatonen nicht weniger geworden?

Winter is coming

Keine zwei Wochen mehr und die weißen Schuhe müssen eingemottet werden – hab ich nicht gemacht die Regel, ist aber so. Die lieben Kleinen gehen schon wieder “back to school”, beileibe nicht alle an einem Tag und um so eher, je privater und teurer die Lehranstalt* ist, und ihre Herren und Damen Chauffeur-Eltern verstopfen einem zu den Stoßzeiten noch extra den Highway. Alles halb so schlimm, dann trage ich halt andere Schuhe und der Heimweg dauert ein paar Minuten länger – aber daß ich seit ungefähr zwei Wochen Blindflug nur mit Sonnenblende im Seitenfenster vermeiden kann, das ist böse. Sonne steht schräg, Sonne ist abends bald weg und um acht ist schon wieder stockdunkle Nacht. Zefix! Dafür ist es doch noch viel zu früh!

*Es sei denn, man ist wie Kollegin Wei die “Founding Mother” einer ganz neuen Privatschule, dann hat der Große überraschend zwei Wochen länger Ferien, weil das Schulgebäude noch nicht fertig gebaut ist.

Aus dem Vokabelheft

Über einen Geschäftskontakt, der aufgrund diverser strategischer Neuausrichtungen und Aufstieg in eine höhere Hierarchiebene* ein wenig sehr die Bodenhaftung verloren hat: “She seems to have descended** to the kingdom”. Sehr frei übertragen: nun ist sie vollends übergeschnappt.

* “The good guys left and they had to promote what was left over”. (Die Guten haben gekündigt und vom Rest wurde befördert, was nicht bei drei auf dem Baum war.)

** Wörtlich: “Sie scheint ins Königreich abgestiegen zu sein.” Das ist extra böse, weil es nach untern nur ins Reich des Bösen gehen kann. Wäre es netter gemeint, würde man “to ascend” (aufsteigen) verwenden.

Cal Shakes: Pygmalion

Wenn mir eines diesen Sommer noch zu meinem Sommerglück gefehlt hat, dann ein Besuch im California Shakespeare Theater in Orinda. Nun nicht mehr. Gestern haben wir Pygmalion gesehen. Sehr hübsch.

Regisseur Jonathan Moscone hat stark gekürzt, dem Shaw die längsten Giftzähne gezogen, Ironie – nicht zu viel, der Großteil des Publikums sind langjährige Abonnenten – und Lacher dringelassen und das so gut gemacht, daß nicht “My Fair Lady” rausgekommen ist. Hut ab! Unfreiwillige Komik ist dem Umstand geschuldet, daß der aus Indien hochdekoriert heimkehrende Colonel Pickering mit einem schwarzen Schauspieler besetzt wurde – ich wußte bis gestern nicht, wie tolerant die kolonialen Streitkräfte Ihrer Majestät schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren. Sehr schön auch, daß er, trotz Abopublikum, kein Happy End aufpfropfte: Moscones Eliza wirft dem dummen klugen Mann nicht nur die Pantoffeln ins Gesicht, sondern auch irgendwann den Bettel hin. Die Darstellerin Irene Lucio war mehrfach gefordert; nicht nur, daß sie Elizas Wandel vom Blumenmädchen zur Dame in Mimik und Körpersprache (Der Gang! Hach! Der Gang!) glaubhaft gespielt hat, nein, auch den Aufstieg von breitem über schmaleres Cockney bis hin zum Queen’s English hat sie sehr gut hinbekommen. Schon witzig, wenn eine Amerikanerin britisches Englisch spricht – ich bin jetzt schon so lange hier, daß ich das hören kann und das hat nun wieder mir viel Spaß gemacht. Was meine These angeht, der Nerd sei der Held des 3. Milleniums – I stand corrected. Professor Henry Higgins ist im Nerd-Stammbaum ein sehr würdiger Ahne!

Wie immer: sehr gutes Ensemble, gute Musikauswahl, phantasievolles und dabei praktisches Bühnenbild, was ich sehr mag, und die Kostümbildner haben schon vorausgedacht, falls das Haus irgendwann einmal Oliver Twist auf den Spielplan nehmen sollte. Auf jeden Fall den Dreck für die Arme-Leute-Schmutzgesichter aufheben!

Auch wie immer: zum Abschluß haben Toni und ich uns noch Schnitzel im “Gaumenkitzel” gegeben. Einziger Malus: die – selbstverständlich – amerikanische studentische Bedienung hat auch nach der 3. Wiederholung Tonis akzentfreie “Köstritzer”-Bestellung nicht verstanden. Aber ich kenne mich ja aus und habe dann mit “the dark beer, you know?” und dem Anspielen einer Köstritzer-Tulpe aushelfen können. Da hat das Mädele dann nach langem Zapfen das richtige gebracht – mit vorschriftsmäßiger Braunschaumkrone.

Ich hadere nun wieder damit, daß es hier schon so viele Routinen gibt. Nicht, daß die nicht schön wären, aber es fühlt sich an, als wäre jetzt auch langsam mal wieder höchste Zeit für was Neues.

Sonntags nie

Der Kundendienst von San Bruno Cable verfolgt eine sehr einheitliche Strategie: jeden Abend zwischen 21:00 und 22:00 Uhr das Internet für ein paar Minuten abschalten und ab Freitagabend die Geschwindigkeit schwerst reduzieren, im Laufe des Samstag die Verbindung ein paar mal randomly unterbrechen und sonntags auf keinen Fall länger als 30 Minuten bestehen lassen. In deren Welt will keiner länger als eine halbe Stunde am Stück über skype telefonieren und Streaming ist des Teufels. Aaarrrgghhhh!

Ist mir heute wurscht. Ich gehe jetzt ins Theater. Analog.

Aus dem Vokabelheft

Trendsetter aufgepaßt!

dumbass-smartassWer hier auf sich hält, geht mit der Mode und franglisiert. Aus dem “Dumbass” (Dummbatz, Blödmann, Hirni) mit Betonung auf der zweiten Silbe wird ein “Dúmas”* und wer wissen will, warum sich ein anderer gar so saublöd verhalten hat, erkundigt sich (meist lautstark): “Dafuq?”.

* Für meine alteuropagebildete Frage “père ou fils?” reicht ihr “Froggish”** aber nicht. Dafür ernte ich allenfalls verwirrte Blicke.

** In Amerika lautet die politisch nicht korrekte Bezeichnung für Franzosen “frogs” und leitet sich her von deren Vorliebe für anderes Fleisch als nur kiloschwere Steaks.

Aus dem Vokabelheft

Gestern beim Mittagessen nehme ich mit einem Späßle einen Kollegen auf den Arm. Weil er Angelsachse ist, fühlt er sich am Bein gezogen und bietet im Gegenzug an: “Pull the other one, it’s got bells on.” (Zieh am anderen Bein, da sind Glöckchen dran.) Was in dem seltsamen Bereich meines Gehirns, der für das unfreiwillige Memorieren von Liedtexten zuständig ist, sofort den Schlager vom “Flower Power Kleid mit Blumen drauf und Glöckchen dran” (http://bit.ly/1rAO5o6) ausgräbt und woanders die Assoziation zu einem Narrenkostüm. Erstere ist mir doch zu peinlich, also erwähne ich das “jester’s costume” und er wehrt ab, nein, nein, das müsse er als Muttersprachler doch wissen, er sei doch nicht auf Suppe. Wieso Suppe? Wo kommt die jetzt her? Nun ist der Kollege verwundert. “Auf Suppe sein” sei doch ein deutsches Idiom? Ausdrücken wolle er, daß er sehr wohl “the sharpest knife in the drawer”* sei. Und weil i ned auf der Brennsuppn dahergschwumma bin, komme ich drauf, was er meint.

Anschließend füllen wir die restlichen Lücken. Die Glöckchen und Schellen am Bein haben ihren Ursprung tatsächlich im Narrengewand (Toldyaso!) und wer “in the Olden Days” von Brennsuppe leben mußte, war arm, hatte wenig Zugang zu Bildung und wurde darum *”nicht das schärfste Messer in der Schublade”, sondern blieb auf gut bayerisch ein Depp.

Wieder was gelernt

you hit meWenn man von 1 Stunde und 58 Minuten im Stau über eine halbe Stunde auf das “GDFATHR”-Kennzeichen eines schwarzen Dodge Ram mit diesem Rahmen (links) starrt, dann stellt man fest, daß Witzischkeit eine erstaunlich geringe Halbwertszeit hat.

Finito

Der Highway 101 hat ja schon an seinen besten Tagen wenig mit einer Autobahn zu tun, aber heute überzeugt er ganz besonders mit seiner Darstellung des langsamsten Gemischtautofließbandes der Welt. 1 Stunde und 58 Minuten vom Büro bis daheim. Und warum? Weil die Beatles anno 1966 im Candlestick Park ihr allerletztes Live-Konzert gegeben haben und weil es drum irgendwem wg. “historisch” gefallen hat, Sir Paul McCartney und seine aktuelle Kapelle das allerletzte Konzert überhaupt in diesem Stadion zu spielen lassen. Heute. Danach wird es abgerissen.

Ich bin, im Gegensatz zu den meisten San Franziskanern, die sehr dagegen sind, daß “ihre” 49ers (Football) nun im Santa Clara County im funkelniegelnagelneuen Levis-Stadion* ihre Balleier werfen, dem Umzug gegenüber sehr sehr positiv eingestellt: fürderhin werden die Fans nämlich den 101 Richtung Süden vollstellen, wenn ich in der Gegenrichtung einfach an ihnen vorbeibrause. Hah!

 

* Sehr schöne Geschichte, übrigens: Wer mich kennt, weiß, daß ich manchmal felsenfest davon überzeugt bin, an einem bestimmten Ort “noch nie” gewesen zu sein, obwohl das nicht stimmen kann. Meistens liegt es daran, daß man mir eine Landmarke genommen hat oder daß meine sehr defizitäte “spatial intelligence” wieder Spielchen mit mir treibt. Als ich denn am Sonntag auf dem Weg nach Monterey Toni darauf aufmerksam mache, daß ich den Wegweiser zum Levis Stadium noch nie gesehen habe, glaubt er mir nicht. So ein Stadion kann schließlich nicht einfach aus dem Nichts auftauchen. Als Beifahrerin mit Smartphone google ich das selbstverständlich sofort und mein Triumphgeheul “Das Stadion ist ein Neubau und erst letzte Woche eröffnet worden! Hah! Doppel-Hah!” bringt die Scheiben im Auto zum Klirren.

Ab sofort bin ich nur noch Teilzeit-ODP!