Aus dem Vokabelheft

Mein Vater pflegt Menschen von geringen Fertig- und Fähigkeiten gerne mit der abfälligen Bezeichnung “Schiffschaukelbremser” zu belegen. Hierzulande unterstellt man Absolventen des Studienzweigs “Underwater Basket Weaving”* ähnlich erfolgreiche Berufaussichten.

* Unterwasserkorbknüpferei. So ein schönes Kompositum, hach.

Ante Portas

Wenn hier einer demnächst niederkommt, dann steht nicht ein Säugling ins Haus, sondern ein Schnupfen. Babies werden “delivered”. “Delivery” bedeutet gleichermaßen “Lieferung” wie “Geburt”, “Labor” steht für “Arbeit” oder “Wehen”. Wenn man da nicht aufpaßt wie ein Haftlmacher, wird aus der Ankündigung eines freudigen Ereignisses die lapidare Mitteilung: “Das Kind wurde am Feierabend (=nach der Arbeit) geliefert.” Aber ich schweife ab.

Eigentlich wollte ich von einem seltsamen amerikanischen Phänomen erzählen, bei dem jede Fehlreaktion des Immunsystems hoffähiger ist als eine Erkältung. Ein Niesanfall? Bestimmt Allergien, gell? (Auch an einem regnerischen (!) wolkenverhangenen Tag im November.) Juckende Haut? Tränende Augen? Schluckbeschwerden? Schlecht geschlafen? Alles Allergien. Auch wenn diese Symptome, noch dazu gebündelt, den gemeinen Europäer eher auf eine Erkältung schließen lassen und es im allgemeinen meist auch eine ist. Ich frage mich, ob es sich dabei um eine typisch kalifornische Reaktion handelt? Oder ist das eine allamerikanische Manie und darauf zurückzuführen, daß eine Niederlage gegen Winzlinge wie Bakterien oder Viren einfach peiiinlich ist?  Oder ist man mit Allergien einfach schicker “sick” als mit einem grippalen Infekt? Eins ist sicher: bei Allergie ist der Proband nicht ansteckend. Ich glaube, das isses. Wenn man zwischenmenschlichen Kontakt vermeiden will, gibt es nämlich keine bessere Methode als den Satz: “I’m coming down with something”. Das läßt die Menschen hier sofort ein paar Schritte zurückspringen und nach der Kneifzange rufen. Weg mit dem Keimträger!

Keiner will ein Paria sein. Nicht in dem Land, daß uns so tolle Dinge wie Teamwork und Großraumbüros gebracht hat. Und darum, liebe Kinder, sitzen hier manchmal Kollegen mit den wildesten Erkältungen so lange im Büro herum (“it’s just allergies, don’t worry”), bis sie erfolgreich zwei, drei andere infiziert haben. Dann gehen sie heim. Zum Auskurieren. Dabei haben wir doch alle gelernt: “NOT sharing is caring!”

Haaapptttschieehhh!

Augenmaß

Das Unternehmen, das für meine Firma die Gehaltsabrechnung macht, hat heute darauf hingewiesen, daß es an der Zeit sei, meine Personalunterlagen für die verpflichtenden Jahresendmeldungen an die Behörden vorzubereiten. Steuern, klar. Arbeitslosenversicherung, auch klar. Adreßänderungen zum Abgleich mit dem Department of Motorvehicles – nicht so ganz klar: schafft euch endlich ein zentrales Meldewesen an und macht nicht die Arbeitgeber zum Büttel! Dammit! Aber eigentlich alles halb so wild und eigentlich alles Routine.

Doch dann kommt der Hammer! Wir werden hier mit Antidiskriminierungsvorschriften geradezu erschlagen und alle sehen vor, daß kein Mitarbeiter Aussagen zu seiner Ethnie machen muß; selbst Angaben zum Geschlecht sind nicht mehr überall zwingend vorgeschrieben. Das schert aber die auskunftsheischende Behörde kein bißchen. Sollte ein Mitarbeiter von seinem Recht, diese Angaben zu verweigern, Gebrauch gemacht haben, dann wird von mir als Personaler erwartet, daß ich “override” und nach Augenschein eintrage.

Ethnicity – For each employee whose ethnicity is listed as “Decline to Specify,” please click on “Decline to Specify,” select an ethnicity based on visual observation or employment records, and click “Done” to save. You cannot edit ethnicity for employees who have already specified their ethnicity.

Ich stecke in einem Dilemma. Ich könnte es mir leicht machen und den Job an meine amerikanisch-obrigkeitshörige Kollegin delegieren. Die fragt nicht, die macht. Vorschrift ist Vorschrift. Ich könnte das Ansuchen einfach ignorieren und darauf hoffen, daß die Behörde das nicht merkt bzw. jeden weiteren Aufwand für die paar Daten unserer kleinen Klitsche scheut. Und im Bedarfsfall mahnt und mich erst dann dem Konflikt stellen. Oder Unfug eintragen.

Da rege ich mich vor fünf Minuten noch wegen dem DMV auf. Und jetzt das. Ich weiß es nicht. Ich glaube, darüber muß ich erst mal schlafen.

3000 and counting

Mir wars erst gar nicht aufgefallen, aber letzte Woche haben meine blogposts die Dreitausenderhürde genommen. Da schau her. Wer hätte gedacht, daß es auch nach über sechs Jahren immer noch was zu erzählen gibt.

(Habs eben nachgesehen: den ersten habe ich am 11. August 2008 veröffentlicht; damit schreibe ich seit 2.290 Tagen je einen Dreiviertelpost pro Tag.)

Danke fürs Lesen! Und vorlesen lassen.

Nimmer ganz neu im Kino: Guardians of the Galaxy

Ich bin im Sommer nicht reingegangen, weil der Kritiker meines Vertrauens den Film böse verrissen hatte. “Nicht Fisch,” schrieb er sinngemäß, “Nicht Fleisch. Noch nicht mal Gemüse.”

Nun habe ich mich neulich seit langem einmal wieder mit einem Freund getroffen und beim gegenseitigen Abfragen über Gesehenes und Gelesenes äußerte er sich überraschend positiv, doch, doch, Guardians sei als Comic-Verfilmung recht gut geglückt.

Ist es nicht! Die wissen überhaupt nicht, was sie wollen. Klamotte? Space Opera? Großes Drama? Kleines Drama? Parodie? Polit-Parabel? Catastroflic? Tierfilm? Baumfilm? Avatar in Grün? So wie’s aussieht, haben sie einfach von jeder Gattung ein paar Szenen gedreht und dann ungelenk zusammengenagelt. Meine Herren! So ein ausgewachsener Müll! Nicht gut und schon gar nicht geglückt!

Der Freund ist sonst ein zuverlässiger und wir haben uns gegenseitig schon oft Gutes empfohlen. Aber das? Er sei, bringt er zu seiner Verteidigung vor, mit drei halbwüchsigen Neffen im Kino gewesen. Das kann ich gerade mal noch so gelten lassen, in dem Alter ist wahrscheinlich sogar ein sprücheklopfender Waschbär komisch.

Falls jemand seine Zeit besser nutzen will, empfehle ich die britische Produktion “Castles in the Sky” über den Radar-Pionier Robert Watson Watt. Die kommt zwar manchmal ein bißchen lehrfilmbetulich daher, das wird aber durch die stimmige Besetzung und vor allem Eddie Izzard in der Hauptrolle aufgewogen. Außerdem ist man hinterher klüger. Und der Film ist waschbärenfrei.

Zur Lage der Nation

 AMERICA

America is...

Dank für Bild und Bildtext gehen an ein deutsches Unternehmen in der Nähe von Heidelberg, das sich dem Zweck verschrieben hat, Komplexität in Simplizität zu verwandeln, was ihnen ungefähr genauso gut gelingt, wie der Bauerstochter, Stroh zu Gold zu spinnen. Daß ihnen nebenher die bisher beste Beschreibung für den IST-Zustand Amerikas gelungen ist, wissen sie wahrscheinlich noch nicht mal. Das muß man aber auch erkennen können und dafür bin ich ja da.

Gern geschehen.

Backe backe Kuchen

And the winner is: Lara Clarke.

sollensiekuchenessen1sollensiekuchenessen2Sagt keinem was? Macht nichts, denn Frau Clarke hat nichts wirklich Herausragendes in Kunst, Kultur und Wissenschaft geleistet. Frau Clarke bäckt Kuchen. Und gewinnt Preise bei Backwettbewerben. Dieses Jahr Gold für Katnip Hungergame, Silber für Tyrion Lannister und im Vorjahr Gold für Jack Sparrow. Tschuldigung: Captain Jack Sparrow.

Die Information für diesen Beitrag hat eine Kollegin begesteuert, treue Leserin von Fachblättern der “Yellow Press”*, “weil du doch so gern bäckst, Sabine”. Was soll ich denn jetzt davon halten?

Nur, daß du’s weißt, Kollegin: Ich habe das “Backe-den-idealen-Mann”-Projekt schon vor Jahren wg. Aussichtlosigkeit eingestellt. Äpfel sind ergiebiger.

 

* Die Regenbogenpresse hat auf ihrem Weg über den Atlantik alle Farben bis auf Gelb verloren. Im allgemeinen heißen diese Blättchen in Amerika “Tabloids”.

Christmas all over again

“Experience the Realism!” brüllt mich ein Billboard an der Autobahn an. Das ist seltsam, erleben wir nicht alle tagein, tagaus die Wirklichkeit? Meinen die Herrschaften von Balsam Hill vielleicht irgendeine spezielle unter den vielen Wirklichkeiten?

Aber hallo! Aber wie! Die Balsamicos wollen, daß ich zu ihnen in den Laden komme und ihre “better than real” Weihnachtsbäume besichtige.

Ich hatte gestern nach dem Wassertritscheln (Sonnenschein, 20°C, windstill, beheiztes Schwimmbecken, Anreise in Sandalen und T-Shirt – Hach, Kalifornien!) nichts besseres vor und der “Show Room” liegt auf meinen Heimweg und es somit nahe, daß ich mir deren “Stunning Realism” vor Ort besichtige – frau weiß schließlich, was sie ihrer Chronistinnenpflicht schuldig ist.

balsam hillJa hoierhoierho! Ich fahre auf einen Parkplatz, der bequem für ein Weltmeisterschaftsfußballstadion reichen würde. Vor mir mehrere fensterlose Gebäude in den Ausmaßen von Siebziger-Jahre Mehrzweckturnhallen. Aus riesigen Außen- und noch größeren Innenlautsprechern dröhnt Dolly Parton mit angeschlossenem Kinderchor von der “Most Beautiful Time of the Year”. Grüne Pfeile weisen den Weg zu einem überdachten Monsterwald aus künstlichen Tannenbäumen (http://bit.ly/1uuSuxE), in grün und weiß (wg. schneebedeckt), in allen Formen, mit und ohne Lichtlein, letztere in einer Auswahl zwischen uni- oder vielfarben und in blink oder nichtblink. Jeder Baum mit Frischegarantiezertifikat. Große, kleine, dicke, dünne Bäume, mit großen, kleinen, dicken, dünnen Nadeln – und nicht mal als Auswärtiger muß man den Baum im Sack kaufen. Nein, man kann sich gegen kleines Geld Zweigerlmuster schicken lassen (http://bit.ly/1sZvD83).

Das ist alles schon sehr grausig. Wird aber noch lässig gesteigert, wenn man die Hallen für Baum- sowie Heimdekoration erreicht. Dolly und die sieben Zwerge johlen verzückt, daß der NSA-Santa* demnächst auch in ihre Stadt kommt; ich stehe fassungslos vor Baumdekorationsornamenten. Alle Comic-Welten sind vertreten. Man kann sich zum Beispiel sämtliche Disney-Prinzessinnen an den Baum hängen. Oder grüne Hulks, mit wahlweise grün oder rot blinkenden Augen. Oder soviele Captain America-Schilder, wie der Baum ertragen kann (Halbkugeln). Oder Batmans Fledermauswurfsterne mit Bat-Signal für die Baumkrone (“extra long battery life”). Oder alle Präsidenten oder nur die demokratischen oder nur die republikanischen. Halls of Fame für Dichter & Denker & Sportler & Schauspieler; Butcher, Baker, Candlestick-Maker; Sportvereinswimpel, -Bälle, -Schläger; Backförmchen; Photo-Kugeln mit den Bildern der “Loved Ones”; Gay Pride-Gebamsel in Regenbogen; Miniaturwerkzeug; fürchterlich viel Tim Burton (“The Nightmare before Christmas” strikes back) – die Auswahl der Geschmacklosigkeiten scheint endlos. Ganz hinten ist die “Adult-Section”, da gibts dann Mini-Plüschhandschellen, Mini-Ledermasken, Mini-Peitschen und anderen Kink-Bedarf. Mir dröhnt inzwischen der Schädel vor lauter Dolly und ihren Fliewatüüt-Quietschern und dem ganzen Geblinkere – wo bitte geht’s zum Ausgang? Ah hier, ein “Exit”-Schild. Prima. Von wegen, bis jetzt sind nur der Verstand, der Geschmackssinn sowie Augen und Ohren in Mitleidenschaft gezogen worden. Jetzt ist die Nase dran, denn vor die Frischluft haben die Balsam Hill Billies die Spraydosen gesetzt. Ein Wäldchen, in dem jeder Baum eine andere Duftmarke trägt. “Fresh Fallen Snow”, “Cookies – right out of the Oven”, “Apple-Cider”, “Pumpkin-Pie” und alle von einem Schwesterunternehmen der Stinkschutzwestenfabrik hergestellt.

Ich habe noch lange nicht alles gesehen, aber ich kann nicht mehr. Nichts wie raus! Raus! Raus! Zum Glück bin ich Floor Warden und kann evakuieren. Auch mich selbst. Wenn ich das Blöckchen dabeigehabt hätte, hätte ich mir auf dem Parkplatz sofort einen “Evacuated”-Sticker angeheftet.

Lieber Herr Alighieri, mir scheint, Sie haben im Inferno eine Hölle vergessen. Die für Weihnachtshasser.

 

* Man muß sich wirklich nicht wundern, daß hier immer gleich mit drakonischen Strafen gedroht und nie die Vernunft des Individuums auch nur in Erwägung gezogen wird. Diese Angst vor der Staatsgewalt wird bereits dem Kleinkind eingehämmert, zB mit diesem reizenden Kinderlied: “Oh! You better watch out,  You better not cry,  You better not pout, I’m telling you why:  Santa Claus is coming to town! / He’s making a list, he’s checking it twice.  Gonna find out who’s naughty or nice. Santa Claus is coming to town! / He sees you when you’re sleeping.  He knows when you’re awake. He knows if you’ve been bad or good. So be good for goodness sake!” Und ja, liebes Kind, jetzt wo du fragst: natürlich wohnen Monster unter deinem Bett. Und im Wandschrank auch.

En vogue

Die neueste kulinarische Modeerscheinung in Amerika sind schwarze Trüffel. Man findet sie aktuell auf Fladenbrot, in Butter, Öl, Salami, Käse; alles Lebensmittel, die in der Kombination noch besser schmecken, wenn man wie ich Trüffel mag. Höret auf meine Worte: Lange wird das nicht mehr so bleiben.

Duck dich, Trüffel! Ich müßte mich sehr täuschen, wenn die hiesigen Päppenhoimer nicht schon für die nächste Saudurchsdorfjagd in den Startlöchern stünden.  Paß auf, daß es dir nicht so ergeht wie dem letzten Food-Hype-Opfer. Der Bacon war früher auch nur harmloser Knusperfrühstücksspeck. Und heute aromatisiert er Duschgels, Kerzen und Kondome. Wehret den Anfängen!

Dammit! Zu spät. Die Macher von http://www.ecotruffles.com/ waren schneller und vor ihnen ist keiner sicher. Kein Kraut, kein Pilz, kein Obst.

Behavioral Targeting

christian health insurancejoin nraDaß die NRA mich nach meiner jüngsten Active Shooter Recherche (und den vielen vielen blogposts, die ich ihr über die Zeit gewidmet habe) Messer nach mir wirft, ist nachvollziehbar.

Daß eine christliche Krankenversicherung mich und meine Familie (!) mit Angeboten belästigt, läßt sich möglicherweise aus dem Umstand herleiten, daß ich mich häufig sowohl über den Affordable Health Care Act als auch über die Auswüchse des hiesigen Fundamentalistenchristentums ausgelassen habe.

Warum sie mich jeweils mit Banner-Werbung erschlagen?

Schlußfolgerung 1: Kontext ist denen wurscht.

Schlußfolgerung 2: Mein Ad-Blocker hat versagt.