Rudolf ist in Rente

Santa Choppa

Prompt bringt der alte Bartmann die Termine nicht mehr auf die Reihe. Wäre es da nicht langsam auch Zeit für den Ruhestand, hmmm?

1000 x Nebel

Plötzlich und unerwartet verschwindet die Sicht. Ist das… Nebel? Um diese Jahreszeit und nicht im Sommer, wie sonst immer? Nein. Ist es nicht. So schnell, wie der Schemenspuk erschienen ist, so schnell ist er schon wieder vorbei. Was war los? Eineinhalb Spuren des Highway 101 waren auf einer Länge von ca. 20 Metern mit feinem weißen Staub bedeckt und jeder hatte beim Durchfahren einmal Verwirbeln gut.

Da hat scheints der Müller das Mehl nicht halten können.

Neu im Kino: Interstellar

Die Gebrüder Nolan haben ein Märchen über die raum- und zeitüberdauernde Macht der Liebe geschrieben und es ist sehr schön geworden. (Ich will nicht spoilern, aber Surfer, Asimov-Fans und bibliophile Menschen kommen ganz besonders auf ihre Kosten.)

Mehr erzähle ich nicht, so wie die die Werbetrommel rühren, weiß eh jeder schon alles.

Anschauen! Anschauen! Anschauen!

 

PS: Ich hoffe sehr, daß jemand ganz bald Pippi Langstrumpf neu verfilmt: Mackenzie Foy ist die Idealbesetzung fürs 21. Jahrhundert.

We’re the Dance Band on the Titanic

Ich bin von Beruf “Mädchen für Alles” und man beschreibt das hierzulande gerne damit, daß ich viele verschiedene Hüte aufhabe. Für mich waren diese Hüte immer spitz zulaufend, wie die von Hexen oder Feen im Märchenbuch; manche sogar mit Glitter und Schleierchen. Als ein Amerikaner neulich sein vergleichbares Aufgabengebiet beschrieb und dabei gestisch seine imaginären Kopfbedeckung wechselte, waren das Mützen (heißen hier auch “hat”) und sie hatten alle Schirme. Da sieht man mal wieder, welche Folgen unterschiedliche Sozialisation hat.

Worauf wollte ich gleich noch mal hinaus? Genau! Ich habe schon wieder einen neuen Titel, seit heute nachmittag bin ich “Floor Warden”. Das ist hierarchisch ganz knapp unterhalb von Tafelwart* angesiedelt und circa drei Stufen über Erbsenzähler. Ein Warden ist ein Aufseher oder Wärter, zum Beispiel im Knast; Aufgabe eines Stockwerkswärters ist jedoch nicht, wie man annehmen könnte, darauf aufzupassen, daß keines wegkommt – man stelle sich das nur mal in den alten Aufzügen in Kaufhäusern vor: “1. Stock – Herrenoberbekleidung, 2. Stock – Damenoberbekleidung, 3. Stock – Spielwaren, 4. Stock – Alles für… nein, Moment, der 4. Stock ist uns abhanden gekommen, da hat der Floor Warden nicht aufgepaßt, 5. Stock – Damenwäsche und -schuhe”… Wo war ich?

Ich sollte besser keine Negation mehr verwenden, das lenkt wieder nur ab. Also, brauchen tut man einen Stockwerkswärter nur im Notfall. Im äußersten Notfall, dann wenn ein Gebäude evakuiert werden muß. Dann ist der Floor Warden Teil der “Incident Command Structure” und dafür zuständig, daß alle Anwesenden das Stockwerk geordnet verlassen, bzw. auf seinem Klemmbrett (!) zu notieren, wer’s nicht geschafft hat, und das den Profis von Katastrophenschutz und Feuerwehr wg. “search & rescue” zu melden.

Weil man ja alleine nicht wissen kann, wie das geht (Alarm klingelt – “Alle raus! Jetzt! Sofort! Go! Go! Go!”), bestellte die Gebäudeverwaltung unseres Bürokomplexes jeweils mindestens zwei Repräsentanten jedes Mieterunternehmens zur verpflichtenden Schulung ein. Und weil die von der Verwaltung auch nicht wissen, wie’s geht (Alarm klingelt – “Alle raus! Jetzt! Sofort! Go! Go! Go!”), unterrichtet ein “Emergency Expert”. An wen erinnert mich diese Frau bloß? Dieser Typ? Dürr, drahtig, diszipliniert, Modell Skinny Latte und Fat Free Yogurt? Ich komme einfach nicht drauf und grüble immer noch, als sie, Notfall vorgebend, Richtung Tür rennen antäuscht und dann wg. nicht böse gemeint ein paar Aufwärmspäßle macht. An wen bloß? Ca. 30 Mietermitarbeiter sind anwesend und sollen nun Kennenlernspiele machen. “Frage jemanden, den du nie zuvor gesehen hast, nach seinem Namen und seinem Lieblingsessen” und dann verzweifelt die Trainerin an ihrer Katastrophenklasse, weil keiner öffentlich “sharen” will. “Ihr seid alle so ruhig. Heißt das, daß ihr nachdenkt? Oder was verarbeitet?” Sind wir hier bei den Anonymen Alkoholikern oder was? Wo habe ich das schon einmal gesehen? Diese Hilflosigkeit angesichts der grausamen Welt? Jetzad! Ich weiß es: die sieht aus wie Sissy Spacek.

Nun kann ich mich auch wieder auf Inhalte konzentrieren. Worum gehts? Was sollen wir hier? Erst mal lernen, daß der Feueralarm nicht mehr Feueralarm heißt, sondern ganz allgemein “emergency alert”. Warum das, wollen wir wissen? (Wollen wir nicht, aber das ist Sissy wurscht.) Weil manche Menschen ein Gebäude nicht verlassen, bloß weil der Alarm klingelt. Wenn es nicht nach Rauch riecht, bleiben die seelenruhig sitzen und zünden sich eine Zigarette an. Also doppelte Schurken! Habe sie selbst gesehen. Ich bezweifle den Wahrheitsgehalt dieser Aussage. Auch wenn Sissy schon 19 Jahre im “Emergency Business” ist – Innenraumraucher gab es schon damals keine mehr. Außer in Vegas vielleicht; das wiederum würde doch so einiges erklären.

Was also ist ein “emergency”? Oh, sagt Sissy, alles! Und beginnt genüßlich aufzuzählen: Unfall in der chemischen Industrie, Bombenwarnung, Feuer, Erdbeben, “suspicious package”, Amokschütze, “unattended luggage”, Gasexplosion… ich kann gar nicht so schnell mitschreiben, wie der Frau die “disasters” von den Lippen perlen. Was tun, wenn was passiert? Kreise malen sollen wir. Einen kleinen, einen größeren drumherum. Der innere steht für einen 100-Meilen-Radius, der außen für 300 Meilen. Da solle man jeweils eine vertrauenswürdige Kontaktperson benennen, vorzugsweise “out of state” die im Not-/Bedarfsfall als Nachrichtenzentrale dient. Die einzige, die ihre Kreise “shared”, hat ihren Onkel in Ohio ausgesucht. Das macht Sissy nicht glücklich – hat niemand wen in einem “exciting place like Los Angeles or New York”? Nein, aber Washington. “Washington is cool.” Himmelherrgottnochmal, wo bin ich hier? Aber Sissy plappert vorne schon weiter. “My husband is trained.” (Mein Mann ist abgerichtet.) und wieviel Spaß es ihr das mache, diesen Satz zu sagen. Auch die Kinder seien “trained”, selbst die Katzen. Übrigens, wenn sie mal in ein Flugzeug einsteige, dann immer nur Notausgangplatz und wer immer neben ihr sitze, werde noch vor dem Abflug gründlich examiniert. Die hätte mir auf einem Langstreckenflug gerade noch gefehlt.

Ich habe mir inzwischen einen Kaffee und einen Keks (10 cm Durchmesser) besorgt und hole mein Mittagessen nach, vorne plappert es munter weiter, da rischelt und raschelt es um mich herum. Offensichtlich hat Sissy unsere Spannung nicht mehr länger ausgehalten und die Gaben auf unseren Plätzen zum Auspacken freigegeben. Aber genau der Größe nach, erst die große Tüte, dann die mittlere und dann die kleine Schachtel. Solchen Anweisungen folge ich höchstens, wenn ich weiß, daß sich Freunde mit einem Geschenk große Mühe gegeben haben. Sissy kann mich mal.

PfeifeWas haben wir denn da? Eine orangefarbene Sicherheitsweste mit Reflektorstreifen. Und wie die stinkt! Gleich anziehen, bettelt sie, “pretty please with sugar on top.”** Als nächstes bekommen wir eine Krönung amerikanischen Ingenieursschaffens (links) geschenkt: einen Karabiner mit integrierter Trillerpfeife – oh mein Gott, jetzt kriege ich den Michi Mittermaier und seinen Flugzeugabsturzsketch nicht mehr aus dem Hirn – und, jawohl, Damenundherren, es geht noch besser, kaum zu glauben aber wahr, mit ebenfalls integrierter Taschenlampe und made in China. Wow! Bei mir wurmt sich NDW-Markus ins Ohr und so langsam bahnt sich eine Migräne an. Letzte Übung: die Batterie einsetzen, drei Mal an die Decke blinken, einmal blasen. Weil das so schön klappt, bekommt jeder ein Tombola-Los zur Belohnung. Vorne jubiliert es weiter, da sähen wir mal, ohne die richtige Ausrüstung sei doch die schönste Katastrophe nichts. Sie habe ja unter jedem Tisch bei sich zu Hause ein solch unentbehrliches Utensil geklebt, denn wenn sich wg. der alten Erdbebenregel “Duck-Cover-And Hold On” jemand unter einen Tisch verkrochen habe, sei doch nichts leichter, als anschließend die Rettungskräfte herbeizupfeifen. Wie hilfreich wäre sowas etwa damals für ihre Freunde “in the Towers” gewesen? Oder für die beim Boston Marathon? Oder bei jedem fucking*** Erdbeben seit 1989? Keine Katastophe, wo sie nicht irgendwen mitten im Geschehen kannte. Außerdem müsse man als weiblicher Floor Warden möglicherweise auch in der Herrentoilette nach zu Evakuierenden suchen. Und da sei es doch angeraten, vorher zu trillern. Nicht, daß man in eine peinliche Situation gerate. Wo bin ich hier? Langsam beschleicht mich der Verdacht, daß ich zur Mithilfe bei der Therapie zur Bewältigung eines schlimmen Falles von Paranoia shanghait worden bin.

Ich glaube, ich habe recht, denn jetzt üben wir Evakuieren. In echt. Dazu müssen wir alle den Pfeifenkarabiner an den Westen befestigen únd anschließend hektisch durcheinander rennen, bis ans Ende des Ganges und sich dann nach Schuhgrößen geordnet in eine Reihe aufstellen. Jetzt, wo die Westen wegen Körperwärme und viel Flatterbewegung ihre volle olfaktorische Wirkung entfalten, sinkt die Luftqualität auf einen Wert im zweistelligen Minusbereich. Das wird definitv eine ausgewachsene Migräne. Und dann schimpft Sissy auch noch mit uns. Wir waren viel zu langsam. Woran das wohl gelegen haben könnte? “An der Organisation der Reihe?” schlägt eine enthusiastische Teilnehmerin vor. Die war mir eh schon unangenehm aufgefallen, wegen ständigen Pfeifens und Blinkerns beim Durcheinanderlaufen. Frau, ey, ich hab Migrähäne! Geh weg, sei leise, und spiel mit was Giftigem! Das bin aber nur ich. Sissy ist total begeistert und verschenkt schon wieder ein Tombola-Los. Und sie glaubt an uns, und daß wir das besser können – nochmal, und dieses Mal nach Geburtsmonat sortiert aufstellen. Das kann ich. Ich spare mir das Rennen, Pfeifen, Leuchten und stelle mich ganz hinten an die Wand, was mir zwar einen bösen Sissy-Blick einträgt, mir aber die Zeit gibt, Kopfwehtabletten einzuwerfen.

Wir dürfen uns wieder setzen. Sissy erzählt Schnurren aus ihrem Katastrophenhelferleben. Wie sie mal zu einem evakuierungsunwilligen Boß gesagt habe “My job is to save your ass – not to kiss it”**** und nicht gefeuert wurde. Diesen Satz schenke sie uns übrigens zur Weiterverwendung. Yay! Danke, Sissy. Hiermit geschehen. Bei gleichrangigen oder gar untergebenen Kollegen empfehle es sich, damit zu drohen, daß man sie wegen Evakuierungsverweigerung bei der Polizei anzeigen werde. Das wirke immer. Ich muß schon sagen, interessante Straftatbestände haben die hierzulande. Warum wollen eigentlich diese Tabletten einfach nicht wirken?

Wenn es dem Floor Warden durch Drohungen und Beschimpfungen gelungen ist, alle Kollegen aus dem Gebäude zu bewegen, ist seine nächste Aufgabe, sie zu den vorgesehenen Sammelstellen zu führen. Das sind auf unserem “Campus” Parkplätze, “so you gotta park your people”. Durch meinen Brummschädel dröhnt Carlton Heston “Let my People go!”. Ich glaube ja nicht, daß Moses sein Volk erst durchgezählt hat, nachdem er sie in der Wüste geparkt hatte; wir hingegen sollen das so machen, weil ja immer unterwegs noch was passieren könne und dann sei am Ende der “Roll call” verkehrt. Außerdem sei unbedingt darauf zu achten, Verletzte nicht mit den Heilgebliebenen zu vermischen.***** What?

Nun wieder Bewegung. Wir üben in nach Geschlecht getrennten Paaren mit verbundenen Augen (“mehr sieht man nicht, wenn’s qualmt”) uns an der Wand lang aus dem Gebäude zu tasten und wer jetzt glaubt, wir hätten die geplanten zweieinhalb Stunden schon durchgestanden, der hat sich getäuscht. Jetzt kommt nämlich eine der wichtigsten Lektionen: Was tun, wenn’s ein Amokschütze ist? Der Fachbegriff ist “active shooter” und mein armer Schmerzenkopf hat nichts besseres zu tun, als zu überlegen, wie man sich denn wohl einen passiven Schießer vorzustellen habe. Läßt der zum Beispiel eine geladene entsicherte Waffe fallen und kann dann nichts dafür, wenn die jemanden trifft? Oder anders? Und wenn ja, wie? Fragen über Fragen.

Strengere Waffengesetze sind keine Option. Das Second Amendment ist sakrosant. Das wäre ja noch schöner! Da könnte ja jeder kommen und vor allem, wo kämen wir denn da hin?

Erst einmal ein Video zum Thema, “Es ist ein bißchen furchteinflößend. Am besten tief durchatmen und lächeln.” Hier ist das Scary Movie von der Homeland Security. “Active Shooter – Run – Hide – Fight”: http://bit.ly/1pXP4mN. Sissy empfiehlt, durch den Hintereingang auszubrechen, denn der gemeine Amokschütze komme immer durch die Vordertür; “Keiner weiß, warum sie den Haupteingang bevorzugen, it’s just the way it is”. Ah ja. Das ist mal ein guter Tip. Ich glaube, das mache ich jetzt. Jetzt sofort. Im Büro ist bestimmt noch Schmerztablettennachschub. (Zum besseren Verständis: ich habe vor, durch die Hintertür zu retirieren. Nicht herumzuballern. Obwohl ich mich bei diesen Kopfschmerzen bestimmt auf mildernde Umstände herausreden könnte.)

Nohohoh! Immer noch nicht vorbei. Sissy verlost. Der Tombola-Gewinn ist ein “Emergency Kit”, der Gewinner war jedoch klüger als ich und ist bereits gegangen. Jetzt aber! Jetzt ist doch bitte Schluß, oder? Nope. Sissy verschenkt noch was. Grellgrüne Post-it-Blöckchen, mit dem Aufdruck “Evacuated”.  Die sind offiziell dafür vorgesehen, sie nach erfolgter Evakuierung an der Bürotür anzubringen, damit die Feuerwehr weiß, daß keiner mehr drin ist. Ich habe mir allerdings vorgenommen, nächste Woche beim “Emergency Drill” die einzelnen Kollegen damit zu verzieren. Nachdem ich sie geparkt habe.

Das wars. Da mußten wir durch: Disaster Preparedness Training in Echtzeit. (Ich weiß nicht, ob ich je zuvor so einen langen blogpost geschrieben habe.)

Nachtrag (aus Sissys Backup-Folien): Was tun, wenn’s brennt bzw. ich in Flammen stehe? “Stop – Drop – And Roll” lernen hier schon die Kleinsten. Als hätte ich nicht schon genug Kopfschmerzen, rollert bei mir sofort die Blechbüchsenarmee aus der Augsburger Puppenkiste durchs Hirn. Schepper, schepper, roll. Jawoll, jawoll!

stopdroproll

 

Immerhin habe ich eine wichtige Lektion gelernt: ich trage schon mehr als genug Hüte und brauche keine neuen mehr!

 

* Für die die’s gemerkt haben. Stimmt, das ist bei Pratchett abgeguckt.

** “Pretty Please” ist das hiesige Äquivalent zum “schön bitte bitte sagen” und schon bei einem dreijährigen Kind kaum zu ertragen. Bei einer erwachsenen Frau, die dazu ein Schnütchen zieht und in die Hände patscht, ist es unmöglich. Und wo die sich ihren Zucker hinpfeifen kann, muß ich wohl nicht erklären.

*** Das Adjektiv habe ich eingefügt.

**** Ich muß Ihren Arsch retten, nicht küssen!

***** Wörtlich: “We don’t want injured people mixed among the healthy people.”

Ich schau in den Spiegel und seh meine Mutter*

Ich glaube, es gibt keine Frau, die nicht erschrickt, wenn jemand anderer konstatiert: “… wie deine Mutter” und so nicht sein will. Ja, wir lieben unsere Mütter, ja sie war das erste weibliche Rollenvorbild, keine Frage – aber doch auch Vorbild dafür, wie man einmal ganz bestimmt nicht werden will, wenn man sich von ihren Rockzipfeln gelöst hat.

Ich hatte meine Schrecksekunde, als neulich ein Freund bemerkte, bei mir sehe es aus wie in meinem Elternhaus. Was? Wie jetzt? Unverschämt! Geht’s noch? Diese mit Kruscht vollgestopfte Bude kann man doch nicht annähernd mit meinem Häuschen und den darin liebevoll arrangierten Fund- und Sammlerstücken vergleichen. Doch. Kann man. Wenn man dieses Sammelsurium einmal mit anderen Augen betrachtet, dann ist es bei mir zu voll mit zu viel. Sicher, alles ausgefallen und originell und manchmal einfach zweckfrei hübsch, aber zweifellos zu viel. Daß ich mich die letzten beiden Jahre kaum rühren konnte und alles stehenließ, was nicht umfiel, ist zwar eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Bloß weil ich weiß, wie man sich zu bewegen hat, damit dies nicht wackelt und das nicht purzelt, bedeutet noch lange nicht, daß ich das von einem Gast erwarten kann. Oder will.

Zu viel. Von allem.

Ahaber: im Gegensatz zu meiner Mutter kann ICH mich von Dingen trennen. Heute geht die erste Fuhre zu meinen Freunden von der Heilsarmee, in den nächsten Wochen werden einige folgen. Das lasse ich mir nicht noch mal sagen!

* Ich kann mich noch gut erinnern, wie vor 20 Jahren Barbara Francks Buch mit dem gleichnamigen Titel eine ähnliche Reaktion auslöste. Manchmal braucht man diese Aufwecker.

Gelesen: “The Doubt Factory” von Paolo Bacigalupi

and now for something completely different

Ich werde nicht müde, Paolo Bacigalupi zu empfehlen und bin immer wieder überrascht, was als nächstes kommt. Dieses Mal ein Buch über die PR-Industrie. Nicht die täglich sichtbare mit den großen Kampagnen und Hochglanzganzseitenanzeigen, sondern die zweite Ebene, die eher im Schatten agiert. Dann, wenn ein Produkt schlechte Presse bekommt, weil ein Öltanker auf Grund läuft und eine Küste verseucht oder ein Pharma-Produkt üble Nebenwirkungen hat. (Erinnert sich noch jemand an Contergan?) Hier setzt sein neuer Roman, die “The Doubt Factory” (Zweifelfabrik) an. Erst mal die Fakten in Frage stellen. Und die Glaubhaftigkeit der Studien und Betroffenen. Neue Gutachten bei linientreuen Experten in Auftrag geben, Benutzerportale impfen. Auf Zeit spielen. So lange ein Produkt noch untersucht wird, bleibt es auf dem Markt und bringt Gewinn. Jeder Tag zählt.

So spannend und mitreißend erzählt, daß ich das Buch gestern auf einen Sitz ausgelesen habe und weder Staubsauger noch Waschmaschine mit ihren “Benutze uns doch”-Appellen durchgekommen sind. Von wegen! “Pscht! Aus! Ab in die Ecke!” habe ich gerufen. Sie können es ja heute nochmal probieren.

Lesen! Lesen! Lesen! (Und einfach ignorieren, daß die Zielgruppe eigentlich “Young Adults” ist. Wer sagt, daß wir das nicht sind?)

Nimmer ganz neu: Monty Python Live (Mostly)

Monty Python tritt zum letzten Mal in deren und meinem Leben live auf? Ich hatte die weltweite Ausstrahlung der letzen Show diesen Sommer verpaßt und mich gefreut, jetzt auf eine Konserve zugreifen zu können. Hmmm. Ja. Hmmm. IMDB beschreibt das Event mit den Worten: “The Pythons redo their old sketches in their last show ever.” Das ist teilweise richtig. Ein paar originale Einspieler von damals (wobei ich wirklich nicht verstanden habe, warum sie ausgerechnet welche von der Olympiade 1972 aussuchen mußten), ein paar der alten Sitz-Sketche von Nichtmehrkomikern mit bösen Hängern nachgestellt. Zwischendrin vermeinte ich sogar Herzblut und Inspiration zu spüren, bedauerlicherweise überwogen Altherrenwitze, dazu knackiges Fernsehballett. So sieht es aus, wenn Legenden sich selbst demontieren.

Ich habe die zweieinhalb Stunden durchgestanden. Um der alten Zeiten willen. War auch kurz ergriffen beim Abgesang, als sich die fünf verbliebenen Pythons (“One down – five to go”) durch “The bright sight of death” schunkelten. Aber schön war das nicht, sondern eine bombastisch traurige Veranstaltung zur Aufstockung der Rente.

Nun habe ich zum zweiten Mal innerhalb zweier Tage alten Männern beim Späßle machen zugesehen und würde mir eher die Expendables noch mal antun, die beim besten Willen keine guten Schauspieler sind, als die Pythons, die nicht mehr komisch sind und mich nur noch dauern.

Nimmer ganz neu im Kino: The Expendables 3

Mikes Autofriedhof steht vor dem Ruin. Oh nein! Verzage nicht, Mike! Du hast Freunde. Freunde wie die Expendables – die produzieren innerhalb weniger Minuten soviel Schrott, daß Mike demnächst als Ritchie-Rich-Rentner in ein Condo in Boca* übersiedeln kann.

[Spoiler Alert.]

Dann haben auch schon sie ihren alten Kumpel Doc aus dem Knast rausgehauen (Kollateralschäden: 1 Zug, 1 Hochsicherheitsgefängnisanlage, alle Schurken) und der Film geht los. Doc macht sich im Flieger rasch frisch (= rasiert sich den Gefängnisbart mit einer Machete ab – ohne Spiegel!) und turnt ohne sichtbare Folgen seiner achtjährigen Isolationshaft im Sindbad-der-Seefahrer-Kostüm im Hafen von Modadischu auf Kränen umeinander wie ehedem, schubst Container um, schießt und schmeißt mit Messern, brüllt wie alle anderen und trotzdem geht der Einsatz schief.

Das kann Sly nicht auf sich sitzen lassen. Natürlich nicht! Selbst, wenn sich die Gespräche inzwischen auch um Blutdruck- und Cholesterinwerte drehen, das Testosteronlevel hat nicht gelitten. Natürlich nicht! Was tun? Die Alten rausschmeißen. Naürlich! Ein neues Team muß her! Wer kann helfen? Sein alter Kumpel Bonaparte, der Talent-Scout und wuppdich haben die beiden ein Team von Youngstern beieinander, mit Qualifikation als Freeclimber (sehr nützlich in Aufzugsschächten), Computernerd mit Muskeln (“over-write bomb countdown”), Kneipenrausschmeißer (weiblich, Highest Heels, knappest Red Dress und letal), Navy-Seal-Waffenexperte (wer Bin Laden wegputzt kann alles) und schon gehts zum Einsatz gegen den Waffenhändler und Kriegsverbrecherschurken Mel Gibson in Bukarest. Geht schief. Nur Barney (Silvester Stallone) kommt raus, die anderen nimmt Stonebanks als Geiseln.

Und nun? Mit der alten Crew hat er sichs verdorben, die neue ist gerade indisponiert. Was bleibt? Arnie, Jet Li (der arbeitet jetzt exklusiv für Arnie, denn der zahlt mehr) und Antonio, der Mann, dem sein Kriegstrauma eine böse Logorrhoe beschert hat. Und was geschieht, als sie gerade mit dieser Minibesetzung losfliegen wollen? Es wird ihnen die Startbahn blockiert. Von wem? Überraschung! Keiner hats kommen sehen. Ausgerechnet von den alten loyalen Freunden. In voller schwarzer Kampfmontur und mit einem Arsenal an Reservewaffen. Jetzt aber! Auf nach Azmenistan! Die Kinder befreien, Teambuilding betreiben, gemeinsam Schurkenarmee 1 sowie 2 (mit alles, Luftunterstützug und Panzer!) auslöschen, alle aufs Dach, zum “Rendezvous” mit Harrison im Chopper, “evac in 5”. Nebenher, in einem letzten Mann-gegen-Mann-Kampf (mit Fäusten, obwohl hinreichend Schußwaffen verfügbar wären) macht Sly Mel den Garaus (von wegen lebend vors Kriegsverbrechertribunal in Den Haag bringen – “I am The Hague”) und dann fliegt das Gebäude doch in die Luft, weil Dolph vergessen hat, den Taschencomputer aufzuladen. Dammit! Und obwohl Sly durch explodierende Treppenhäuser aufs Dach gehetzt ist, ist er zu spät. Or is he? Ach was. Wie Phönix am Bande steigt er aus den Qualmwolken auf. Alles gut. Mission accomplished. Alle Helden. Testosteronlevel erfolgreich gehalten. Und für Mike vom Autofriedhof ist eine ganze Eigentumswohnanlage rausgesprungen.

Was ist anders als in den ersten beiden Expendables? (s. https://flockblog.de/?p=15490) Mickey und Chuck waren nicht dabei, dafür sind Wesley und Antonio eingesprungen, statt Bruce rettet Harrison im “Choppa” die Welt mit, Arnold kann immer noch nicht akzentfrei englisch sprechen, trägt aber sehr überzeugend einen Sechstagebart und im Juniorteam prügelt sogar eine Quotenfrau mit. Außerdem muß nicht mehr jedes computergesicherte Schloß mit Gewalt aufgebrochen werden, Hacken gildet jetzt auch. Sonst war es wie immer. Kein Mensch braucht so viel Bummschepperklirr, trotzdem macht es immer noch Spaß, älteren Herren dabei zuzusehen, wie sie sich beim Weltretten zwar nicht mehr ganz so tierisch ernst nehmen wie in jungen Jahren, aber dabei launig vorführen, daß sie’s immer noch draufhaben. Und wie! Das bisserl Dialog, das nicht aus “Go! Go! Go!”, “Fire! Now!”, “Watch your six!”, “Nuschel. Nuschel. Nuschel!” (Silvesters Beitrag) oder einem abfälligen “Männer!” (Lara-Croft-Ersatz-Heldin) bestand, und vor der Pyromanengeräuschkulisse noch hörbar war, war ganz witzig.

Wie immer: meine Kritik lesen und ein bißchen Vorstellungsvermögen haben sollte reichen. Es sei denn, es ist einem nach Krach, Zerstörung, Feuer, echtem Männer-Show-down und Keuschheit. In Amerika dürfen Kinder ab 13 Jahren rein, weil Sex noch nicht einmal eine Nebenrolle spielt.

 

* “A Condo in Boca” ist der Ruhestandstraum jedes Mittelklasseamerikaners. Boca Raton in Florida besticht durch die Lage am Meer, ein warmes mildes Klima, überbreite abgeflachte rollstuhltaugliche Gehwege, Supermärkte mit überbreiten Gängen und auch für sechs Dioptrien und aufwärts lesbare Preisschilder und Lieferung frei Haus; ein Service, den auch Apotheken, Ärzte, Friseure, Fuß-, Hand-, Hund- und sonstige Bedürfnispfleger anbieten. Außerdem kommt das Pflegepersonal aus Kuba und die wissen noch, daß man mit alten Menschen freundlich und respektvoll umzugehen hat.

Fucking Racoons

In den letzten Nächten ging es ums Häuschen herum recht laut zu. Aber man ist ja keine Amerikanerin* und neigt auch nicht zur Panik; sonst wäre ich bestimmt mit einer Schußwaffe “nachsehen” gegangen. Zugereist wie ich bin, habe ich mich nach dem Motto “So lange mir keiner den Lärm ins Haus trägt, sollen sie doch alle machen, was sie wollen” einfach umgedreht und weitergeschlafen.

Selber Schuld. Was muß ich heute sehen? Hinten im Garten sind die Vandalen eingefallen! Der Aschenbecher vom Tisch gekickt, Kippen überall hin vertragen, faulige Matschäpfel auf der Terasse verschmiert und mein rotes dickes Stuhlkissen liegt auf der Wiese, mit Bißwunden und schwarz-weißen Haaren übersät. Als ich das Sam erzähle, ist er ganz verwundert, daß ich verwundert bin. Bei ihm ginge es genauso zu. Die Waschbären hätten wegen des anhaltend schönen Wetters irgendwie Probleme mit dem Kalender, und ihre “mating season” vorverlegt. Sauviecher!

Verweichlichtes Pack! Ihr werdet schon sehen! Das Kissen ist abgebürstet und -gewaschen, und kommt heute Abend sonnengetrocknet in den Schuppen und die Zigarette danach können ihr euch in Zukunft selber an der Tankstelle besorgen. Ha!

 

* Als amerikanischer Citizen hätte ich, weil weiblich und alleinstehend in einem Haus** lebend, kein Problem, sofort eine Feuerwaffenlizenz zu bekommen und Schießtraining bei NRA für umsonst. Als Legal Alien bin ich weniger schutzwürdig. Oder -bedürftig. Das ist dann wieder Auslegungssache.

** Noch dazu in einer Mexican Neighborhood. Pfui, Sabine! Das war jetzt aber böse. Als gäbe es in Amerika Rassismus.