Kunst und Kultur

Und was hast du am Samstag vor, Sabine?

Nun, das Dicke-Damen-Spratzeln fällt aus, denn erstens wäre die Anfahrt ein bißchen weit und zweitens treffe ich mich mit Freunden zum Frühstück. Weil Sommerferien sind und es den Herrschaften S-Bahn gefällt, ihre Schienen zu reparieren und zur Zeit Busse für den Schienenersatzverkehr zuständig sind (ist das nicht ein sehr herrliches sehr deutsches Wort?), komme ich ‘rum. Mit S-Bahn und Schienenersatzverkehrsbus und einer, zwei, drei U-Bahn-Linien, bis ich endlich am Harras aufschlage. Und bin doch nur 10 Minuten zu spät, Hut ab, werte Schienenersatzverkehrsplaner. (So ein schönes deutsches Wort.)

Am Harras frühstücken wir, drei Menschen und mit uns ca. 30 Wespen; als homo sapiens ist man dann doch fast dankbar, daß der Merkantilismus erfunden wurde und man einfach so gegen Geld zu essen bekommt. Als Wespe hat man’s da mit dem Wursterwerb schon schwerer: Riesenstück mühselig heraussäbel, stromlinienförmig einfalt, mit diesem Monstergewicht zwischen ein Beinpaar geklemmt schwer schwankend abheb, erst nach mehreren Fehlversuchen (verdammte Fenster!) in korrekte Flugbahn einschwenk und dann endlich heim zur Hungerbrut. Und sofort wieder zurück zu den Frühstückern, immer in der Panik, daß da jemand womöglich die Resterl abräumt.

Gut gefrühstückt, mit Abschiedsmarmelade beschenkt (das Café macht erst in ein paar Wochen unter neuer Leitung wieder auf) und die Wespen an den Nebentisch verwiesen habend, machen wir uns auf unsere getrennten Wege. Ich tauche ein in den “Summer in the City”, schaue mir in der Sendlinger Straße kauf- und kulturwütige Touristen an (“This church is made by the Asam brothers, honey!”) und finde schließlich im Hof des Stadtcafés ein schattiges Platzerl. Ein Windelkind juchzt sich durch die aufsteigenden Fontänen des Springbrunnens am Jakobsplatz, Studenten besprechen über Hollerschorle ihre un-mög-li-chen Professoren, Ausstudierte beim nächsten Spritz ihre nächsten wa-hn-sin-nig wichtigen Projekte, Touristen studieren mit angespanntem Gesichtsausdruck Stadtpläne, Reiseführer, Smartphones, Tabletts und justieren Selfie-Sticks – sie sind ja schließlich nicht zum Spaß hier. Dazwischen balancieren Kellner volle Getränketabletts (es gibt ihn noch, den Milchkaffee in den weißen Schalen), Kleinkinder sortieren Kippen und Kiesel unter den Tischen, jeder läßt leben und dann kommt Gabi, zum gemeinsam Sepp Werkmeister Ausstellung im Stadtmuseum anschauen (http://bit.ly/1V3TrYO).

Ein Münchner in New York in den Sechziger Jahren. Seine Bilder zeigen weniger “Swinging Sixties” als eine Stadt, geprägt von Rassentrennung (ganz häufig ist der einzige Weiße auf einem Bild, das Schwarze in Harlem zeigt, ein uniformierter Vertreter der Ordnungsmacht) und einer überraschend hohen Anzahl alter Menschen auf den Straßen (ich frage mich, wo man die heutzutage wegsperrt). Die Frauen muten mit ihren haarsprayzementierten Frisuren an wie Drag Queens, der Coca Cola Schriftzug ist original verschnörkelt und die Dentalindustrie hat ihre große Zeit noch vor sich. Ganz tolle Fotos! Nebenher hat Werkmeister auch die Jazz-Größen dieser Zeit porträtiert und Miles und Charlie und Duke und Ella und Louis spielen zur Ausstellung auf. Paßt.

Und weil der Mensch auf einem Kulturbein nicht stehen kann, gemma weiter, ins Lustspielhaus, Gabis Inszenierung vom “Nackten Wahnsinn” anschauen. Dorten hinter der Münchner Freiheit hat sich München überhaupt nicht verändert. Gut, die Kneipen und der Drink der Saison heißen vielleicht anders, aber es sind immer noch die gleichen Typen mit den 24-Stunden-Sonnenbrillen unterwegs, die Straßencafés sind bumsvoll und irgendwo bricht immer irgendwer in den Gemeinplatz von der “Nördlichsten Stadt Italiens” aus; ois easy, ois bella, und weil mir gar so tolerant mir sind, aa ois leiwand.

Der Wahnsinn ist sehr schön geworden. Ich habe ganz arg viel lachen müssen und ich danke noch einmal recht herzlich für die Einladung. Es bleibt mir grad mal noch Zeit, alle sehr zu loben, aber leider kann ich danach nimmer lang bleiben, weil heimzus ist ja auch wieder Schienenersatzverkehr und der dauert qua Naturgesetz im Dunkeln immer etwas länger als tagsüber.

Stellenmarkt

Ich suche einen Job oder, wie’s auf neudeutsch-euphemistisch heißt, bin bereit, mich einer neuen Herausforderung zu stellen. Sollte ich vielleicht Geldwäschebeauftragter werden? Das mache mich, so die stellenausschreibende Bank, zum internen und externen Ansprechpartner für Geldwäsche und sonstige strafbare Handlungen. Das kann ich doch mit links, höret her: Menschen totschlagen? Böse, nicht tun. Des Nächsten Hab, Gut, Weib, Kind, Magd oder Knecht begehren oder ihm gar wegnehmen? Auch falsch. Geld waschen? Münzgeld in der Maschine bis maximal 60° C, Scheine nur ganz behutsam mit der Hand, sofort aufhängen und nicht zu heiß bügeln. Mir scheint, diese Stelle hab ich quasi sicher. Was wird denn sonst noch gesucht?

Ah, da, ein Director of Complaints Management. Kann ich, ich hör mir eh schon mein Leben lang die Beschwerden anderer Leute an. Ich bräuchte dafür nur ein commanding networker zu sein (kein Problem, muß nur noch rausfinden, was das ist), analytisch denken, strukturiert arbeiten, Übersicht über meine Projekte behalten und Englisch demonstrieren (who demonstrates excellent communication in fluent English). Hmmm, weiß nicht. Was gäbs denn außerdem?

Belohnungsexperte mit Sitz in München. Und was macht so jemand? Neu- und Weiterentwicklung von Gutschein- und Incentive-Produkten. Kann ich – und jeder, der jemals zum Muttertag ein Heftchen mit Gutscheinen für 2x Spülen, 3x Müll Rausbringen und 1x Ohne Widerspruch Instrument Üben verschenkt hat. Ich glaube, ich suche noch ein wenig weiter.

Im Landkreis Vorpommern-Greifswald rekrutieren sie per Zeitungsannonce jemanden, der sich für die Position des Beigeordneten der Landrätin zur Wahl (!) stellen möchte (Details: http://bit.ly/1Lqvmqy.) Ich möchte nicht.

Es reicht so langsam, für heute schließe ich die Stellensuche ab, hole mir ein Buch und genieße einen trägen Spätsommernachmittag auf dem Land, wo auf der Wiese gegenüber im Sonnenschein ein Schimmel wiehert, reife Äpfel vom Baum plumpsen, Vögel zwitschern, allerlei Insekten summen und brummen und die S-Bahn drüben am Bahnhof in Halbstundenabständen leicht unmelodisch quietschend bremst.

Aus dem Vokabelheft

Ein Kollege launcht ein neues Stück Software und beschreibt die Auswirkungen:

“If everything goes to plan, none.
If it all goes pear shaped, dann bricht alles zusammen.”

“Pear shaped” bedeutet wörtlich birnenförmig und übertragen, daß sich der ganze Mist unten sammelt und oben nur ein zartes Spitzele herauslugt. Deutschen meiner Generation muß man das gar nicht erklären, die haben knapp 20 Jahre Birnenkanzler erlebt.

New World Banking

Weil ja nichts schwieriger ist, als Post ins Ausland nachzusenden, brauchte ich nach meinem Umzug eine amerikanische Zustelladresse für “falls noch was ist” und – wupps – ward Postmeister Toni geboren. Seitdem kommen in San Carlos laufend Schlußabrechnungen an, vom gräßlichsten aller Internetprovider (San Bruno Cable – und beschwert euch nicht, den Titel habt ihr euch verdient), vom Energie-mit-Schwankungen-Versorger PG&E (Maul halten, ihr habt das auch verdient und da bin ich noch nett!), von der City of San Bruno für Müllabfuhr und Abwasser, von Hinz für dies und Kunz für das – und aus vollkommen unerfindlichen Gründen will keiner mehr die Zahlung automatisch einziehen (d. h. meine Kreditkarte belasten). Irgendwie scheint in diesen Köpfen der Aberglaube zu herrschen, daß, wer ihren Versorgungsbereich freiwillig verläßt, fortan sein Dasein mit einem klapprigen Einkaufswagen in einer kreditkartenunwürdigen Obdachlosigkeit fristet und drum hätten sie jetzt gerne Schecks. Damit hatte ich nicht gerechnet, ich remigriere schließlich zum ersten Mal in meinem Leben aus den USA.

Was tun? Mein Scheckheft, wenn ich es denn überhaupt aufgehoben haben sollte, schippert gerade in einem Karton mit seinen Kartonfreunden im Container über die Weltmeere. Die Herrschaften Versorger schert das nicht. Sie wollen ihre Kohle und haben, wahrscheinlich weil es das letzte Mal ist, zur Strafe die Zahlungsziele krass verkürzt. Was also tun? Toni auch noch zum Bankwart ernennen, zuständig für das Ausstellen und Versenden von Schecks? Ganz schlecht, da kommt dann ein Scheck von jemandem mit einem anderen Namen und das verwirrt, trotz Kunden- und Kontonummer. (Hatten wir schon, müssen wir nicht wieder haben.) Von der Bank ein Scheckheft schicken lassen? Schwer – ist doch wieder Ausland und viel zu kompliziert. Einfach ignorieren? Nah, das kann ich nicht.

Zum Glück ist Toni gerade noch rechtzeitg eingefallen, daß unsere Bank eine “payee”-Funktion hat, die man online anstoßen kann. Wenn man sich komplett durch dieses eher benutzerunfreundliche Menü arbeitet, schickt die Bank zur Belohnung anschließend Schecks an alle, die Schecks wollen.

Geht doch. Kaum eine Stunde später ist das Menü unter Flüchen navigiert, die Providerzahlungen eingegeben und alles wieder gut. (Es sei denn, die Schecks gingen in der Post verloren. Aber wer wird denn gleich so schwarz sehen.)

Brave new world. Ganz brave.

Aus dem Vokabelheft (deutsch)

Seit vorvorgestern kenne ich die neudeutsche Wortschöpfung “Nachverdichtung” und seitdem ist sie mir jeden Tag wenigstens einmal über den Weg gelaufen. Ich bin jetzt mal ganz egoistisch: baut ihr nur alle. Vorverdichtend, nachverdichtend, wie’s beliebt.

Vielleicht finde ich dann leichter eine Wohnung.

Dampfplauderer

Ich wurde heute gebeten, beim Übersetzen eines Stellenangebots aus dem Amerikanischen (genauer gesagt: amerikanischem Marketingsprech) ins Deutsche behilflich zu sein. War auch alles gar nicht sooo schwer, aber zu der Dumpfschwurbelformulierung “Come share the vision” wollte mir partout gar nichts einfallen (außer meiner Vision, daß da einer zum gemeinsamen Verzehr von LSD einlädt) und da dachte ich mir, frag ich doch einmal mal meinen Kumpel, den Internetz, der weiß ja sonst auch immer alles.

Dem ist aber auch nur Blödsinn eingefallen: http://sharethevision.ellenwhite.org/downloads/BegleitschreibenDE.pdf

Mann beißt Hund

Ach was, für so eine Schlagezeile ist sich selbst “BILD” inzwischen zu schade. Die gehen auch mit der Zeit und dem Bevölkerungswandel und machen heute die Münchner Lokalausgabe so auf:

Dieser Rentner legt Betrüger rein

Und dann darf Opa Schmaus mit dem Schmausb… – Tschulligung – dem Schnauzbart natürlich, erzählen, wie er Enkeltrickbetrügern trickreich Gruben gräbt. Qualifiziert isser nämlich, sagt er: „Ich stand vor Jahren schon mit Marianne Sägebrecht auf der Bühne!“

Aus dem Vokabelheft

Der andere Kandidat, schimpft der Parteifreund, sei ein “Rino”. Hätte man sich im Mutterland aller Abkürzungen denken können, daß damit der Kollege nicht als Nashorn geziehen wird, sondern als Etikettenschwindler. Ein “Republican in name only”, halt.

Oh Hoimatland!

Ach, Deutschland, du Land, wo

  • man sich nicht fragen muß, ob es Brezen gibt, sondern nur, wer die wirklich guten bäckt
  • im Supermarkt flaschenweise Essigessenz zu haben ist und man beim Einkauf nicht gleich unter Generalverdacht wg. Vorbereitung eines Säureattentats gerät
  • Waschmaschinen anbieten, die Wäsche auch mal zu kochen, statt sie in den Temperaturbereichen Kalt, Kalt/Warm und Ein-bißchen-wärmer-als-handwarm lustlos zu quirlen
  • der Weinhändler stolz auf seine große Auswahl an deutschen, österreichischen, spanischen, italienischen und französischen Weinen verweist, jedoch Winzereiprodukten aus der “Neuen Welt” zunächst einmal doch eher abwartend gegenübersteht (in zwei-, dreihundert Jahren vielleicht)
  • es Quark, Quark und Quark gibt. Mit Früchten, mit ohne, fett und mager. Quark – im Gegensatz zu “What is that supposed to be… Quark?”
  • die Nachbarn ganz ganz selten mal erzählen “It’s been VERY hot here, and also had a 4.0 earthquake yeasterday!” (Zitat Carmen in ihrer gestrigen e-mail)
  • Putz- und Waschmittel nicht die halbe Welt kosten (ich habe bis heute nicht verstanden, warum dieses hochverdünnte US-Zeugs im Schnitt immer mindestens drei Mal teurer ist) und außerdem Abflußreiniger sowie frische Hefe (US-amerikanisch synonym für “Teufelszeug”) frei und ohne Kindersicherung zum Verkauf angeboten werden

Darüber hinaus hat irgendwer Jetlag gesteckt, daß ich wieder zuziehe; dieses Mal hat er den Spaß am “Sabine zwischen Traum und Tag wachzuhalten und ihr dafür nachmittags einen Dampfhammer auf den Kopf zu hauen” ganz schnell verloren. Guter Jetlag. Brav. Kriegst ein Zuckerl.

Mißverständnis?

Wer immer dafür zuständig gewesen sein mag, die schöne deutsche Sommerhitzewelle gleich nach meinem Eintreffen abzuschalten – fahalsch! Ich bins. Die, die bei über 30°C aufblüht. Ich hätte das auch gerne wieder!