Essen kommen!

Höhepunkt des Tages scheint in diesem auf Körperfunktionen (und beileibe leider nicht nur der eigenen) reduzierten Mikrokosmos die Nahrungsaufnahme zu sein; das Anrollen der Essenswägen drei Mal am Tag ruft Pawlow’sche Reflexe hervor: Totgeglaubte können sich auf einmal rühren, Tiefschläfer erwachen und nesteln ihre tischtuchgroßen Erwachsenenlätze im lustigen Schrebergartenkarodesign um sich herum und hätten sie schon Besteck oder Blechnäpfe: sie würden lautstark damit klappern.

Noch schöner ist zu beobachten, was geschieht, wenn Diätberater Dimitri (fürderhin: DD) auftritt. Der gottgleiche DD weiß nämlich schon heute, was in der nächsten Woche gekocht werden wird und trägt aus seinen Schriften vor, auf dass die Gläubigen daraus wählen. Das tun sie, mit großer Sorgfalt und viel Zeitaufwand (irgendwie muß der Tag ja rumgebracht werden) und trotzdem – oder gerade deshalb – besteht anschließend der größte Spaß bei den Mahlzeiten darin, daran herumzumäkeln “weil’s DD (in diesem Kontext für der “Depperte Depp”) falsch aufgeschrieben hat.” Mich mag DD nicht; ich hab mich nicht mit Einzelbestellungen aufgehalten, sondern einmal durchgehend vegetarisch bestellt und verlasse mich ansonsten auf Snickers-Nachlieferungen. Ich bin eh auf Diät, solange Charybdis noch zeitgleich mit mir Mahlzeiten einnimmt. Sie setzt, weil wir “unter uns Madln” sind, ihre “unbequemen” Zähne nicht ein (aus dem selben Grund trägt sie auch keine Unterwäsche) und schlürft und schlingt, als sei sie zu knapp dran für den einzigen Bus, der im Wochenrhytmus in die große Stadt fährt. Desgleichen praktiziert sie “Trinken ohne Zähne”, dafür aber auch ohne Glas.

Was machts schon, wenn ich dann von Tentakeln mit riesigen Saugnäpfen träume, die langsam und mit einem Geräusch, als sögen 50 alte Damen ohne Zähne die letzten Tropfen aus Plastikflaschen, an der Aquariumswand abrutschen…

Keine Mordpläne, lohnt nicht: ihr Transport kommt morgen.

Passiv turnen

Für Neukniehaber gibt es hier so ein Gerät, das wird ins Bett gestellt und an die Stromversorgung angeschlossen, dann wird das Bein eingespannt und in einem täglich sich steigernden Winkel (Ziel sind mindestens 90°) gebeugt und gestreckt; die sogenannte “Schiene”.

Ich muss dabei immer an eine Zeichentrickserie aus meinen Kindertagen denken, Dr. Dolittle, mit der Heuschreckenrockband im Arztkoffer und dem widerspenstigen Tier mit den beiden Köpfen, dem Stoßmich-Ziehdich (kennt das noch wer?) und beliebe daher das Maschinchen “Dehn-mich-Streck-mich” zu nennen und habe seitdem noch mehr Spaß an meinen Fortschritten…

Und wie, ich plappere Schwachsinn? Das bin nicht ich, ey. Das sind die Oxies…

Mordprävention

…ist ja so einfach:

Beteiligte: Nachtschwester Claudia, gross, kühl, blond, ebenmässige Züge, ganz im weißen “Hello-Nurse”-Dress; man stelle sich einfach den Vornamen wie von Lagerfeld ausgesprochen vor und fertig ist die wandelnde Männerphantasie. Außerdem ich, vom Schlafentzug bereits leicht gebeutelt und zerzaust.

Auf die Frage nach “Irgendwas zum Schlafen, bevor ich mit einem kampfbereiten Kopfkissen Amok laufe?” fragt diese Göttin nur zurück: “Wollen Sie Ohropax?” “Oh ja, Schwester, ich will! Und wie!”  Ich stopfe mir die gelben Würmer in die Ohren und die Welt wird friedlich. Mein eigener Herzschlag macht mir die Walgesänge, ich bin ganz ruhig, irgendwo, stark gedämmt, rauscht und rumpelt es, doch mein Hirn ist schon sehr versöhnlich gestimmt und geneigt, einen Wildbach zu assoziieren oder Nordseewellen, die an den S-trand trecken. Alles ist gut.

So viel an einem Stück geschlafen habe ich hier noch nie und das Gewitter von heute Nacht kenne ich nur vom Hörensagen. Hach!

Und morgen kommt der Transport und holt Skylla. Doppel-Hach!

Zwischen Skylla und Charybdis

Mittelsitz, Sandwichkind, Mittlere Laufbahn; all diesen Begriffen haftet immer etwas seltsam verzweifeltes an – selbst das Mittelalter ist als Epoche gerade mal ein lumpiger Stolperstein auf dem Weg zur Neuzeit.

Ich schlafe ja hier im Mittelbett.

Was heißt “schlafen”? Ich friste meine Nächte, wie es der gebüldete Amerikaner ausdrückt, zwischen “A Rock and a Hard Place” und quäle mich jede Nacht mit der Frage, wann es wohl endlich nicht mehr zu früh ist, um das Licht wieder anzumachen und mich der Morgenlektüre zu widmen?

Schuld sind natürlich meine Zimmergenossinnen, die sich mit einer, zwei, drei “Schlafen-Tabletten” zudröhnen lassen und mich dann auf eine musikalische Weltreise mitnehmen: mehrstimmige Bläsersätze vor Jericho, Schafsstampede in Christchurch, Rotholzwald-Stihlsägensäger-Festival, Klöthen-Quetschen in den Pampas, Preisverleih beim Kröten-Stampfen auf den Florida Keys, Stippvisite bei Tenöre Knödeln für den Frieden während sie auf den Lofoten Ottern würgen und immer wieder mehrstimmige Synchronisation von Billigpornoproduktionen mit viel zu vielen Akteuren.

Am nächsten Morgen klagen beide darüber, dass sie “wieder kein Auge zugetan haben” und mir hat immer noch keiner die Frage beantwortet, wieviele Vögel zwitschern müssen, damit die Nacht als vorbei gildet.

Morgen bringe ich sie um.

Aus der Redaktion

Falls sich wer wundert, dass ich jetzt eine Handvoll blogposts im Minutentakt heraushaue: das liegt daran, dass ich die in langen Wachherumliegenächten mit einem Finger schon fast druckreif in mein elektronisches Notizbuch getippt hatte, und jetzt nur noch ein wenig zu editieren brauche, um sie unter die Menschen zu werfen.

Hab noch so das eine und andere in petto. Und nein, das ist keine Drohung. Oder höchstens eine ganz kleine…

Oxycodon

Wie schon damals bei der Hüfte bekomme ich auch jetzt gegen die allergröbsten Schmerzen wieder Oxies. Allerdings nur eine und nur vor dem Schlafengehen und nur unter Aufsicht einzunehmen (da waren die Amis lockerer). Damit bleiben meinem Umfeld die Laberflashes erspart, dafür träume ich ganz besonders wirr. Mein Favorit aus den letzten Nächten:

Bob Dylan wird die Papstschaft angetragen. “And what’s that exactly”? will er wissen? Antwort: “Sowas wie der Grönemeyer Italiens”.

Schnauze!

Es gibt Themen, die ich nicht öffentlich zu diskutieren wünsche.

Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass das Thema Stuhlgang ziemlich weit oben auf dieser non-discutandum-Liste steht. Und zwar sowohl meiner als auch der anderer Menschen. Der Vollständigkeit halber möchte ich hinzufügen, dass sich diese Abneigung auch auf Subthemen wie Kotqualität, Einläufe und Vor- und Nachteile diverser abführender Substanzen bezieht.

Geht mir doch alle aus den Ohren und am Arsch vorbei, zefix!

Wieder unter den Menschen

Gestern die erste Beschwerde bekommen: “Jetzt bist du schon seit – wie lang? operiert und hast immer noch nix geschrieben,  was tust du eigentlich den ganzen Tag?” und das heute zum Ansporn genommen, wieder Zivil zu tragen (ein “Nachthemd” heißt schließlich nicht Nachthemd, weil man es bei Tage anhat) und mich vorhin durchzufragen, was man denn tun muß, um “das Internet” zu benutzen.

“Das Internet” ist hier in der Klinik in der sogenannten Cafeteria zu finden (ein Snackautomat, ein Getränkeautomat, eine Plastikbecherkaffeemaschine, 2 Mülleimer, ein paar Tische und Stühle) und besteht aus einem Computer von der Qualität und Geschwindigkeit derer, die man vor 20 Jahren auf Reisen durch den wilden Orient in dortigen Internetcafés vorgefunden hat, nur ist dieser Schlauchraum hier von viel weniger Rauchschwaden durchzogen und ohne freundliche Glutaugenmänner, die starken Tee in kleinen Gläschen servieren. Trotzdem alles sehr nostalgisch… Wie man den Buchstaben dabei zusehen kann, wie sie sich langsam auf dem Monitor vor einem aufbauen… und die Ohren einem das “dütdütdüüüüt” eines Modems vorgaukeln. Irgendwie auch süß.

Aber ich hab viel zu erzählen und werde mich jetzt nicht mit “dütdütdüüüüt” aufhalten.

Also zuerst: die OP ist gut verlaufen, ich war keine fünf Stunden später hellwach, redselig und mit neuem Knie wieder auf Station und habe mein Bett mit Zwiebackbröseln vollgekrümelt und seitdem geht die Genesung in großen Schritten voran, was man unter anderem daran merkt, dass mich ständig wer sucht, weil ich nicht mehr brav im Bett herumliege und auf Abwechslung warte. Ich bin bereits beim letzten Buch des Stapels angekommen, der eigentlich schon für die Reha mit vorgesehen war und werde nachfüllen müssen. Zur Literaturkritik dann später.

Danke für die Genesungswünsche und die vielen Blumen und Besuche, die haben, nebst den knatschlila Krücken, eine geradezu unglaubliche Heilwirkung. Meine Halbzeit hier in der Klinik ist schon um, am Donnerstag “kommt der Transport” (und nein, ich werde diese Phrase nie ohne ein ungutes Gefühl hören können) und dann geht es ab an den Chiemsee, Ostereier suchen.

Was sonst noch los war? Stay tuned, es folgen noch ein paar blogposts…

Aus gegebenem Anlass

Wenn alles gegangen ist, wie geplant, dann wache ich gerade mit einem neuen Knie aus der Narkose auf und ihr lest einen vordatierten blogpost:

Das Knie
Ein Knie geht einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts!
Es ist kein Baum! Es ist kein Zelt!
Es ist ein Knie, sonst nichts.

Im Kriege ward einmal ein Mann
erschossen um und um.
Das Knie allein blieb unverletzt –
als wär’s ein Heiligtum.

Seitdem geht’s einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.
Es ist kein Baum, es ist kein Zelt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.

(Aus Christian Morgenstern: Galgendichtung)

Religulous

Und jetzt a mal rein metaphysisch g’seng: wann sind die Chancen für die Heilung einer Erkrankung des Bewegungsapparates höher: am Geburtstag des HErrn oder am Jahrestag seiner Wiederauferstehung? Hmmm?

Eben.