Halbhirn

“Aberaberaber… das ist nicht fair…” –  immer, wenn eines ihrer Enkelkinder vor ohnmächtiger Wut mit den Füßen stampfend sich bei Oma über die Ungerechtigkeit des Universums beklagte, pflegte meine weise rheinische Großmutter zu uns herabzublicken (so lang ist das schon her) und in einer wohlabgewogenen Mischung zwischen Mitleid und Habdichnichtso zu sprechen: “Isch weiß, Kind. Schön is dat nit. Aber der Jerechte muß viel leiden” und uns auf diese Weise wieder zu erden. Die Lektion sitzt tief und ich mußte diese Woche sehr oft an meine Oma denken.

Ich meine, wann wird man schon mal zu Bettruhe verdonnert? Viel liegen, schlafen, sich schonen. Nicht arbeiten, nicht für Geld und nicht für keins. Nur ruhen. Und das, wo der Ungelesenstapel, ach was, Plural, mehrere Stapel Bücher schon viel zu lange darauf warten, endlich von mir weggelesen zu werden. Den 3. Band der Cicero-Trilogie zur Hand genommen und… was ist das? Die Buchstaben schwimmen und der Sinn des ersten Satzes erschließt sich auch beim dritten Mal Treibgutbuchstabenaneinanderreihen nicht wirklich. Himmelkruzitürken! Liegt’s an Cicero? Ist vielleicht heute nicht der Tag für Weltherrschaft? Nicht schlimm. Dann was Lustiges. Die Eddie-Izzard-Biographie, ist gewiß leichterer Stoff und so fit bin ich doch allemal… Rien ne va. Was will mir der Dichter sagen? Keine Ahnung.

Hmmm. Dann ein Comic, vielleicht? Viel zu durcheinander und bunt und… ah, neee. Geht auch nicht. Ich muß mich wohl der Realität stellen: es fehlt mindestens eine Hirnhälfte und die zurückgebliebene schwabbert herum wie eine faulige Qualle. Leseunfähig. Habe ich womöglich im Unverstand noch einen Urlaubsantrag genehmigt? Mann, Universum. Spinnst du? Ich soll liegen und dazu gehört lesen. Was soll ich denn sonst machen? Durch die hohlen Löcher, wo sonst mein Gehirn sitzt, hallt es “Der Jerechte muß viel leiden… leiden… leiden.” Sogar mit Echo. Lesen geht aber immer noch nicht.

Dann schau ich halt was an. Man muß sich das in dem gleichen resignierten Ton gesagt vorstellen, wie seinerzeit die Einzahlungserklärung beim Ba-Ba-Banküberfall der Ersten Allgemeinen Verunsicherung. Was ist eigentlich aus denen geworden? Hallo, Internet… Boaaahhh, wieso wird mir denn aufamal schwindelig? Medien weg. Rumliegen, warmhalten, husten, langweilen, husten. Herr im Himmel, wie furchtbar fad! Aufstehen. Noch einen Tee kochen, noch eine Wärmflasche machen. Verschwitztes T-Shirt gegen ein trockenes austauschen. Dazwischen husten, auch mal Niesanfälle haben. Gern gleichzeitig. Wo sind denn bloß noch mehr Tempos – ich hatte neulich erst einen Riesenvorratspack gekauft, der kann doch nicht schon leer sein? Och Mann, ich tu mir leid. Und das zu Recht.

Eine geschlagene Woche lang dauert dieser Scheiß jetzt schon und meine intellektuelle Höchstleistung in diesem Zeitraum war La-La-Land, ein Film, in dem Ryan Gosling seine Befindlichkeiten tanzend und singend darstellt (Ryan Gosling sollte das nicht tun), Los Angeles eine wunderschöne Stadt ist und die Menschen ausschließlich Kleidung in Primärfarben tragen. Ja, ich weiß, Oscars ohne Ende. Aber auch ohne Grund. Was für ein seichter Dummkitsch – und so ungnädig bin ich nicht nur, weil ich immer noch krank bin und das nicht sein mag.

Außerdem im Kulturprogramm für hirnmäßig Herausgeforderte: “Das Wirthaus von Dartmoor” mit Heinz Drache als Australier sowie einer losen Frau und einer heiratsfähigen (unterscheidbar an der Tiefe des Ausschnitts). Darüber hinaus Shrek, Teile 1 und 2 und Monsters Inc. Edgar Wallace ist doch schon arg aus der Zeit gefallen, aber Pixar ist gut für die Genesung.

Sir Alexander Fleming zugeeignet

Mein Immunsystem hatte um einen Kurzurlaub angesucht und, bitte, es ist immer da, übernimmt ungefragt Sonn- und Feiertagsschichten, jede Urlaubsvertretung, ist loyal, fleißig, zuverlässig, einem solchen Mitarbeiter (noch dazu mit einem Resturlaubskonto beginnend in den frühen Sechzigern) genehmigt man das doch gerne. Außerdem hatte es seinen Kollegen (hinter seinem Rücken nennen sie es “das Kalifat”; ein Spitzname, von dem sie glauben, es kennte ihn nicht, der ihm aber, denn natürlich kennt es ihn und ist insgeheim sehr geschmeichelt) genau erklärt, was sie im Falle des Notfalles zu tun hätten, wer genau wofür zuständig ist und welchem Glied (“Hihihi. Glied.”) in der Kette wann welche Aufgabe zufällt. “CHAIN OF COMMAND. IST DAS VERSTANDEN?” hatte es noch einmal mit donnernder Stimme in die Runde gefragt und alle haben bestätigt “Easy peasy, Boss.”, “Nemma problemma, Cheffe”, “A-Okay, Man”, “Voll verstanden, Scheff”, “Lemon squeezy, Bossi.”

Kaum war es mit dicken Sorgenfalten auf der Stirn aus der Tür, ging es los. “Hihihi. Glied. Es hat ‘Glied’ gesagt”, “Jaha, ist gut, du Depp”, “Hoffentlich hat es seinen Aluhut nicht vergessen…”, “Und sein ‘Just because you’re paranoid’-T-Shirt”, “Höhöhö”, “Alle mal zuhören: ‘Kollegen, niemals einen Moment lang unaufmerksam sein, das Böse ist immer und überall’ – und jetzt die Eine-Million-Dollar-Frage: wen habe ich gerade imitiert?”, “Hahaha”, “Wenn der Boss wüßte, wie oft ihm schon mal so ein Keim durch die Lappen… aber nein, es macht ja nix falsch, es ist unfehlb…”, “Bist du irre? Das darfst du nicht mal denken…”, “Hihihi. Glied. Es hat ‘Glied’ gesagt”…

Das muß der Moment gewesen sein, als eine bösartige Bakterienbande (Bande? Gruppe? Bei dem Verhalten? Ganz eindeutig Bande. Saubande, gar), Tür und Tor weit offen vorfand und sich ohne jede Gegenwehr erst einmal in den Bronchien festsetzen konnte und dort ihre Fruchtbarkeit auslebte. Intensiv auslebte. Husten. Blöd, aber auch kein Weltuntergang. So lange, bis er gar nicht mehr aufhören will. Tags nicht und nachts erst recht nicht. Einen Tag lang. Noch einen Tag lang. So lange, bis der ganze Brustkorb schmerzt, egal ob bewegt oder nicht. So lange, bis es selbst der Urlaubsvertretung auffällt.

“Oh verdammt!”, “Oh Gott, Ogottogottogottogott… was machen wir jetzt bloß?”, “Wenn das Kalifat das mitkriegt, sind wir alle unsere Jobs los…” “Und wie nennen sie dich bei dir daheim? Den Blitzmerker?”, “Shit! – Shit! – Shit! Motherfucking! Triple! Shit!”, “Godvernommededom!!”, “Mensch, und wir haben doch jetzt gebaut und das Zweite auf dem Weg, was soll bloß aus uns werden. Hunger, Elend, Obdachlosigkeit. Warum tut denn keiner was?”, “Mannomannomann, bloß, weil man mal eiiine Minute nicht hinguckt…”, “Ich bin sowieso mit der Gesamtsituation unzufrie…”, “Schnauze! Falscher Film! Und jetzt alle mal herhören: Weiß jeder noch, was er zu tun hat? Ja? Sehr gut. Auf “los” geht’s los. Auf die Plätze. Fertig. Loooooos.”

Wer noch nie versucht hat, sich zwischen Albtraum und Morgengrauen ein fieberschweißverklebtes Nachthemd vom glühenden Leib zu reißen, während gleichzeitig Schüttelfrostschauer über dem Gesamtkörper niedergehen und zum Hustenanfall konvulsische Niesanfälle das Gesicht zerreißen, schon wieder eine Packung Tempo aufgebraucht zu sein scheint, während der Schleim-Geysir gerade in seine produktivste Phase tritt, Muskelspasmen (“da kann ich gar keinen Muskel haben – niemand in der Geschichte der Erdevolution hatte an dieser Stelle je einen Muskel”) einen in die allerseltsamsten Posen treiben, und das Hirn so langsam an allem, im speziellen an der eigenen Person, zweifelt (“Das gibts doch gar nicht. Ich werde doch nicht krank und wenn, dann nicht so greislig! Kann mir mal wer einen Tee bringen und eine Wärmflasche? Und einen Eisbeutel?”), der hat noch nicht einmal den leisesten Schimmer einer Vorstellung davon, wie’s mir die nächsten beiden Tage und Nächte lang ging. So ein schönes Leiden kann man in der Literaturgeschichte lang suchen. Sehr lange. Hah!

Beim zweiten Besuch in der Arztpraxis in dieser Woche, dieses Mal in Begleitung meines Immunsystems (“Na, schöne Ferien gehabt?” “Wenn ich mir dieses Elend ansehe? Nein.”), erklärte meine Ärztin (eher der burschikose Typ, “Hmmm, ist jetzt wohl doch schlimmer geworden, hätte ich nicht erwartet”), man werde jetzt, wie vom Kalifat vorgeschlagen, Agent P (s. Titel des blogposts) hinzuziehen. Seit gestern arbeiten Agent P und Freund Kalifat gemeinsam an der Elimination der Bakterienfront und bin verhalten zuversichtlich, dass es jetzt irgendwann mal besser werden muß. Oder?

Neu im Kino: The Shape of Water

Kurzkritik: Arielle, inverse.

Etwaslängerkritik: Sehr schöne Bilder, wie immer bei Guillermo del Toro; ob’s denn tatsächlich der Oscar für den besten Film hätte sein müssen? Hmmmm, nnjjjaa, nein.

Er zeigt diese DamalswardieWeltnochinOrdnung-Amerikakulisse der 50er Jahre, mit immer noch breiteren glänzenderen Straßenkreuzern, Betonfrisurenvorstadtfrauen in Rüschenschürzen, vor deren Fernseher All American Kids mit All American Names (Timmy und Tammy) liegend ihre Mahlzeiten zu sich nehmen und die sich einen Ast freuen, wenn der gutverdienende Karrieregatte heimkommt. Geheime Regierungseinrichtungen vollkommen unhinterfragt geheim und begnadete Wissenschaftler russische Spione mit Namen Dimitri sind, Putzfrauen vorwiegend schwarz und wenn weiß, dann stumm und damit Freiwild, weil der gute Gatte nämlich Sadist ist. So, wie’s halt war, in der guten alten Zeit, als Senator McCarthy (Zitat: „McCarthyismus ist Amerikanismus mit hochgekrempelten Ärmeln.“) dem “Komitee für unamerikanische Umtriebe” vorsaß und alles Fremde erst mal verdächtig und von Natur aus böse war. In God we trust und sonst in nix.

Spoiler: Es zieht sich ziemlich, bis der Amphibiengott (übererklärt) endlich in die feuchte Freiheit flieht.

Muß nicht sein.

Robert Harris: Lustrum (Band 2 von 3 der Cicero-Trilogie)

Ich hätte ja eigentlich gedacht, dass es mindestens Ostern wird, bis ich wieder so viel Zeit zum Lesen habe, aber irgendwie habe ich geschafft, das Buch häppchenweise zu verschlingen und jetzt ist Cicero gedemütigt auf dem Weg ins Exil und Cäsar, der Sauhund der elendige, kurz vor der Machtergreifung.

Und meine Empfehlung lautet immer noch: Lesen! Lesen! Lesen!

Industriegebietsgeschichten

Vor meinem Bürofenster im Erdgeschoß im Vorderhaus eines Zweckbaus im Industriegebiet rangieren täglich von früh bis spät Last- und Lieferwagen. Das ist an sich nichts besonderes, außer, dass es ein ununterbrochenes Memento dafür ist, seinen für die Berufswahl zuständigen Göttern auf Knien dafür zu danken, dass einem eine andere Karriere beschieden war, als LKW-Fahrer zu werden. Nachdem wir das nun etabliert haben, möchte ich folgende Episode aus der letzten Woche erzählen:

Beladen mit schweren Glasplatten und noch dazu mit einem Anhänger hintendran setzt ein LKW-Fahrer zwischen dem überstandardhohen Bordstein auf der einen und mehr oder minder gut geparkten PKW auf der anderen Seite rückwärts zum hinteren Gebäude und muß den Prozeß mittendrin noch einmal unterbrechen und dann wiederholen, damit der UPS-Fahrer mit seinem Laster raus- und unser Mann mit der ganzen Breite seines Fahrzeugs wirklich an die Laderampe des Rückgebäudes ‘ran kann. Während des Abladevorgangs hat er Pause, klettert in das Führerhaus seines LKW und kommt mit einer Fasthandvoll Kleinsthund in der Linken wieder heraus. Das zitternde Winzgeschöpf setzt dieser Mann, der klischeegerecht mit Stiernacken, Kahlkopf, riesigen Körperteilen bedeckt von Karo-Hemd, Jeans und Stiefeln sowie einem “Hellmutt”*-Schild im Führerhaus daherkommt, ganz behutsam und mit den Worten “So, Rambo, des dauert. Jetzad kannst a amoi aussteign und dir d’Fiaß vertreten” ab. Fünf vierfüßige Hoppler seines Rambo machen übrigens knapp eine Fahrerschrittlänge aus.

Ich sollte weiterarbeiten. Wo war ich grad?

 

* “Mutt” ist übrigens im Englischen eine Promenadenmischung; ein Hellmutt also ein höllischer Bastard – möglicherweise ist Fahrer Helmut neben Hündchenhalter auch ein Wortspieler…

Semantik

“Spätwinter” nennen Meteorologen das Phänomen, wenn man mitten im März statt von Vogelzwitschern von Schneepfluggebrumm geweckt wird.

@Winter: ich habe gestern sehr viele Vorsilben sehr gründlich geprüft und bin zu dem Schluß gekommen, dass zu dir nur eine einzige wirklich paßt. Fürderhin sollst du “Keinwinter” heißen.

Da nich für. Und tschüß!

“Demut und Respekt”

Bin ich eigentlich die einzige, der es eiskalt über den Rücken läuft, wenn ausgerechnet der Maggus vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten dieses Wortpaar zu Munde führt und die dann mit Grausen seine Triumph-Geste nach dem Ergebnis (99 von 99 möglichen CSU-Stimmen) zur Verwendung für einen irgendwann zu drehenden Diktatorenfilm vormerkt?

Premiere in Bad Tölz: M*U*L*L – Mord und Langes Leben, ein Stück von der Schönheit

Es ist nicht alles eitel Freude und Skalpell in der Schönen Klinik, da, wo das “Sie” als allererstes wegoperieren und sich alle zwangsduzen müssen, da, wo Schwester Tilda (Petra Stadlmayer) die allerderbsten Witze reißt, die emeritierte Schwester “Schneewittchen” (Ludwig Retzer) ihre Zwerge sowie ein düsteres Geheimnis hütet, der “Lassen-Sie-mich-durch-ich-bin-Arzt”-Doktor Jakob (Hagen Dessau) in einer äußerst perfiden Version von Kreativität operiert, der täglich Tanztee-Terror herrscht (alle), Oberärztin Dorothea (Ulrike Liegl-Kempter) mit ihrer studentischen Vergangenheit und ihrer Glasdeckengegenwart hadert, Hilfsschwester Manuela (Dörthe Merz) den Stuhlkreis zweisprachig moderiert, Ehefrau (Christine Hermann) und Geliebte (Heike Kiesmüller) aufeinandertreffen, weil sie glauben, “den Mann” (Adrian Graß) nur mit verjüngenden Implantaten halten zu können, die Pflegedienstleitung (Nicole Fahrner) am Rande des Wahnsinns balanciert, da, wo die bösen Autoren (Rothmüller/Liegl) dem Publikum einen schlimmen Silikon-Ohrwurm einpflanzen, wo Morde geschehen und die mit allen Auszeichnungen dekorierte Hauptkommissarin Eberle (aka amtierende “Miss Dienstwaffe”) trotz der Mithilfe ihres “Hol-schon-mal-den-Wagen”-Oberinspektors Hannibal (Alexander Liegl) so lange ermittelt, bis der nächste Tote daliegt.

Ein hübsches Schelmenstück ist es geworden, dieses Mörderspiel in der Klinik, mit allerlei Anspielungen und Zitaten, von denen ich hoffe, die meisten mitbekommen zu haben und von der Truppe mit der gewohnten Spielfreude und teilweise atemberaubenden Gesangs- (Gloria Gaynor packt dem Vernehmen nach schon ein) und Tanzeinlagen präsentiert. Und weil das insgesamt eine ganz tolle Ensembleleistung geworden ist, hatte ich erst Bedenken, einzelne Schauspieler noch einmal gesondert zu erwähnen, tu’s aber trotzdem (in alphabetischer Reihenfolge): Alex, Dörthe (die mit der Doppelrolle), Hagen und Petra, weil ihr mir gar so viel Freude gemacht habt.

Unter mindestens zwei Mal anschauen werde ich euch das nicht spielen lassen. Wer mag zur Derniere am 5. Mai mitkommen?

Frühling! Frühüüling!

Gestern haben wir dich noch für die ersten Schneeglöckchen gelobt. Schneeglöckchen, wohlgemerkt. Von wegen frühmorgens aufwachen und alles liegt schon wieder voll weißem Dreck. Ganz verkehrt!

Echt jetzt! Blaues Band und so? Süße, unbekannte Düfte? Ferner Harfenton? Frühling, gehe in dich. So ist das nichts. Gar nichts.

Letzte Woche bei John Oliver (Last Week tonight)

Neues von NRA-TV (ein Fernsehsender der National Rifle Association, von dem man nicht sicher ist, ob man ihm viele Zuschauer wünschen soll, damit die alle sehen, welchen Schwachsinn dieser Verein propagiert oder keinen, damit ganz bestimmt nie jemand sieht, welchen Schwachsinn dieser Verein propagiert).