Sir Alexander Fleming zugeeignet

Mein Immunsystem hatte um einen Kurzurlaub angesucht und, bitte, es ist immer da, übernimmt ungefragt Sonn- und Feiertagsschichten, jede Urlaubsvertretung, ist loyal, fleißig, zuverlässig, einem solchen Mitarbeiter (noch dazu mit einem Resturlaubskonto beginnend in den frühen Sechzigern) genehmigt man das doch gerne. Außerdem hatte es seinen Kollegen (hinter seinem Rücken nennen sie es “das Kalifat”; ein Spitzname, von dem sie glauben, es kennte ihn nicht, der ihm aber, denn natürlich kennt es ihn und ist insgeheim sehr geschmeichelt) genau erklärt, was sie im Falle des Notfalles zu tun hätten, wer genau wofür zuständig ist und welchem Glied (“Hihihi. Glied.”) in der Kette wann welche Aufgabe zufällt. “CHAIN OF COMMAND. IST DAS VERSTANDEN?” hatte es noch einmal mit donnernder Stimme in die Runde gefragt und alle haben bestätigt “Easy peasy, Boss.”, “Nemma problemma, Cheffe”, “A-Okay, Man”, “Voll verstanden, Scheff”, “Lemon squeezy, Bossi.”

Kaum war es mit dicken Sorgenfalten auf der Stirn aus der Tür, ging es los. “Hihihi. Glied. Es hat ‘Glied’ gesagt”, “Jaha, ist gut, du Depp”, “Hoffentlich hat es seinen Aluhut nicht vergessen…”, “Und sein ‘Just because you’re paranoid’-T-Shirt”, “Höhöhö”, “Alle mal zuhören: ‘Kollegen, niemals einen Moment lang unaufmerksam sein, das Böse ist immer und überall’ – und jetzt die Eine-Million-Dollar-Frage: wen habe ich gerade imitiert?”, “Hahaha”, “Wenn der Boss wüßte, wie oft ihm schon mal so ein Keim durch die Lappen… aber nein, es macht ja nix falsch, es ist unfehlb…”, “Bist du irre? Das darfst du nicht mal denken…”, “Hihihi. Glied. Es hat ‘Glied’ gesagt”…

Das muß der Moment gewesen sein, als eine bösartige Bakterienbande (Bande? Gruppe? Bei dem Verhalten? Ganz eindeutig Bande. Saubande, gar), Tür und Tor weit offen vorfand und sich ohne jede Gegenwehr erst einmal in den Bronchien festsetzen konnte und dort ihre Fruchtbarkeit auslebte. Intensiv auslebte. Husten. Blöd, aber auch kein Weltuntergang. So lange, bis er gar nicht mehr aufhören will. Tags nicht und nachts erst recht nicht. Einen Tag lang. Noch einen Tag lang. So lange, bis der ganze Brustkorb schmerzt, egal ob bewegt oder nicht. So lange, bis es selbst der Urlaubsvertretung auffällt.

“Oh verdammt!”, “Oh Gott, Ogottogottogottogott… was machen wir jetzt bloß?”, “Wenn das Kalifat das mitkriegt, sind wir alle unsere Jobs los…” “Und wie nennen sie dich bei dir daheim? Den Blitzmerker?”, “Shit! – Shit! – Shit! Motherfucking! Triple! Shit!”, “Godvernommededom!!”, “Mensch, und wir haben doch jetzt gebaut und das Zweite auf dem Weg, was soll bloß aus uns werden. Hunger, Elend, Obdachlosigkeit. Warum tut denn keiner was?”, “Mannomannomann, bloß, weil man mal eiiine Minute nicht hinguckt…”, “Ich bin sowieso mit der Gesamtsituation unzufrie…”, “Schnauze! Falscher Film! Und jetzt alle mal herhören: Weiß jeder noch, was er zu tun hat? Ja? Sehr gut. Auf “los” geht’s los. Auf die Plätze. Fertig. Loooooos.”

Wer noch nie versucht hat, sich zwischen Albtraum und Morgengrauen ein fieberschweißverklebtes Nachthemd vom glühenden Leib zu reißen, während gleichzeitig Schüttelfrostschauer über dem Gesamtkörper niedergehen und zum Hustenanfall konvulsische Niesanfälle das Gesicht zerreißen, schon wieder eine Packung Tempo aufgebraucht zu sein scheint, während der Schleim-Geysir gerade in seine produktivste Phase tritt, Muskelspasmen (“da kann ich gar keinen Muskel haben – niemand in der Geschichte der Erdevolution hatte an dieser Stelle je einen Muskel”) einen in die allerseltsamsten Posen treiben, und das Hirn so langsam an allem, im speziellen an der eigenen Person, zweifelt (“Das gibts doch gar nicht. Ich werde doch nicht krank und wenn, dann nicht so greislig! Kann mir mal wer einen Tee bringen und eine Wärmflasche? Und einen Eisbeutel?”), der hat noch nicht einmal den leisesten Schimmer einer Vorstellung davon, wie’s mir die nächsten beiden Tage und Nächte lang ging. So ein schönes Leiden kann man in der Literaturgeschichte lang suchen. Sehr lange. Hah!

Beim zweiten Besuch in der Arztpraxis in dieser Woche, dieses Mal in Begleitung meines Immunsystems (“Na, schöne Ferien gehabt?” “Wenn ich mir dieses Elend ansehe? Nein.”), erklärte meine Ärztin (eher der burschikose Typ, “Hmmm, ist jetzt wohl doch schlimmer geworden, hätte ich nicht erwartet”), man werde jetzt, wie vom Kalifat vorgeschlagen, Agent P (s. Titel des blogposts) hinzuziehen. Seit gestern arbeiten Agent P und Freund Kalifat gemeinsam an der Elimination der Bakterienfront und bin verhalten zuversichtlich, dass es jetzt irgendwann mal besser werden muß. Oder?

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