Alles eine Frage der Definition

Physiotherapeuten, sagt meine Physiotherapeutin, seien nicht per se Sadisten, sondern vielmehr Menschen, die ihre Neigung, die Schmerzgrenzen anderer auszuloten und sie dann zu überschreiten, zum Beruf gemacht haben.

Ja, das ist natürlich ganz was anderes. Klar.

Lauthals durch die Nacht

Warum, oh Anstaltsinnenhofvögel, schmettert ihr eure Wurmozidlieder noch vor Tagesanbruch in den Resonanzraum und weckt friedliche Schläfer (mich!) weit vor der Zeit? Wollt ihr gelobt und gepriesen werden?

Okay, dann ein für alle Mal. Prima! Super Wurm gefangen, ole! So, und jetzt runterschlucken, Schnäbel zu und wieder ab ins Nest, weiterschlafen. Und schlafen lassen.

Nimmer ganz neu im Kino: “The Post”

Vorrede: Hollywood hat ein Faible für Minderheiten, ganz egal, ob sich die Zugehörigkeit zur besagten Randgruppe nun am Geschlecht, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, religiösen oder politischen (nnnjjjaaaa…) Anschauungen, körperlicher und/oder geistiger Behinderung, der sexuellen Orientierung oder einer Kombination aus mehreren Elementen festmachen läßt. Darüber hinaus verfilmt man zunehmend häufiger “True Stories” (muß sich schon keiner mehr Gedanken machen, wie man eine Geschichte zu einem ordentlichen Schluß bringt) und zu den Topthemen gehört immer wieder gerne die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, namentlich das 1., 2., 3. Amendment* bis hin zum zehnten. Außerdem Vietnamkrieg. Oder WW2.

Genug vorgeredet. Jetzt phantasieren wir: ich sehe vor meinem geistigen Auge ein Mansion in den Hollywood Hills, auf dessen Terasse die Zelluloidveteranen Tom, Steven und Meryl sich bei ein, zwei, drei Gläsern guten Single Malts ihren gemeinsamen Lieblingsfilm zusammenspinnen; irgendwas, das nahe genug am ungeliebten Präsidenten der Gegenwart und seinen Fake News ist, um den zu thematisieren – ist man sich als linksliberal verschriene Traumfabrik irgendwie schuldig – aber auch weit genug weg von 45, um nicht etwa die Einspielergebnisse zu verderben, und das in einer Zeit spielt, in der die amerikanischen Printmedien Newsrooms vorhielten, in denen rauchende Männer in Anzug, Krawatte, Burberry und Fedora mit Presseausweis im Hutband investigativen Journalismus betrieben. Weil Watergate schon verfilmt war und “All the President’s Men”** nicht zu toppen ist, wählen sie das nächstbeste Thema, die “Pentagon Papers”. Zudem bietet die Verlegerin der Washington Post, Kay Graham, eine Frauenrolle, die Meryl Streep wie auf den Leib geschrieben ist und sie spielt sie gewohnt göttlich. Ich  wiederhole meine Frage aus einem früheren blogpost: Kann man eigentlich einen Film, dessen Drehbuch auf einer wahren Geschichte basiert, eigentlich noch spoilern? Hmmm.

Wenn ja, dann nachfolgend Spoiler.

 

Getreu dem Motto “Was zeigt die Sinnlosigkeit und Grausamkeit eines Krieges besser als die plakative Darstellung der Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Krieges?” zeigt Spielberg als allererstes eine sinnlose und grausame Kampfszene aus dem Vietnamkrieg, unterlegt mit fetziger Musik von CCR. Dann sind “our boys” tot, verstümmelt, blutig und der embedded Journalist traumatisiert genug, um dem Wahnsinn ein Ende bereiten zu wollen. Das tut er, indem er über einen über einen längeren Zeitraum immer wieder einzelne Volumina der vom damaligen Verteidigungsminister Robert McNamarra in Auftrag gegebenen Studie zum Vietnamkrieg kopiert (sehr hübsch, wie ein mitkopierender Friedensaktivist von jedem Blatt die “Classified Information”-Fußzeile händisch abschneidet und diese Streifen mehr und mehr werden). Anschließend spielt er die Kopien der Presse zu und die New York Times veröffentlicht erste Ausschnitte aus den “Pentagon Papers”. Das münzen “die Mächtigen”, allen voran Nixon und sein Justizminister John Mitchell (die den Krieg nur weiterbetreiben, weil der schmachvolle Schluß nicht in ihre Amtszeit fallen soll), zum Vaterlandsverrat um und zum ersten Mal in der Geschichte der USA wird die Berichterstattung einer Zeitung per Gerichtsbeschluss aus „Gründen der nationalen Sicherheit“ unterbunden.

Daraufhin kontaktieren die Whistleblower die Washington Post, auf dass diese die brisante Veröffentlichung fortsetze. Deren Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) erkennt die einmalige Gelegenheit und ruft sein Spitzenteam zusammen, das dann bei ihm zu Hause, quer verteilt durchs Wohnzimmer mit Kamin, Sofa und flauschigem Teppichboden, Papiere zusammenpuzzelt und Artikel tippt. Dazwischen streut Spielberg immer wieder entzückende Miniaturen aus einem Großbürgerhaushalt, allen voran Episoden vom Kleintöchterlein und ihrem Limonadenstand und die sehr nette Szene, wo die als Künsterlin in der Emanzipation bereits fortgeschrittene Dame des Hauses (Sarah Paulson) ihrem Chefredakteurgatten die Welt und das Verhältnis der Geschlechter (ihr da oben, wir da unten) am Beispiel seiner Verlegerin (Meryl Streep) erklärt, die noch nicht mal kurz vor dem Börsengang von ihrer eigenen zigarrenqualmenden Vorstandsetage für voll genommen wird. Hey, sie ist nett und gebildet, aber hey, sie ist eine Frau. Frauhau! Und das Anfang der Siebziger. Und wir alle (Chefredakteur, Chefredakteursgattin, Mentor, Streep und Zuschauer) finden es wunderbar, dass sie als einzige, nachdem alle den Schwanz einziehen und ihr gegen die Veröffentlichung raten, Zivilcourage zeigt, sich ermannt und dann sehr lakonisch mitteilt: “My decision stands, and I’m going to bed”. Wie sie das spielt, die Frau Streep, diesen Übergang vom Mauserl zur Entscheiderin, mit einem ungeheuer sprechenden Antlitz und einer Körpersprache zum Niederknien, das kann sonst wirklich keine.

In der Druckerei sind die Seiten längst gesetzt (ja, Kinder, da kommen die furchtbaren Setzkästen für den Kruscht her), dann kommt er, der Anruf, und jetzt stampfen und rattern sie los, die Off-Set-Druckmaschinen und die druckfeuchten Zeitungen werden in Bündel verschnürt, in die Ausfahrlastwagen verladen und vor den Verkaufsständen und Zeitungsjungen abgeworfen. Ach, gute alte Zeit. Geht gar nicht, befinden die Regierenden, nun soll das Gericht eben auch der Post das Veröffentlichen verbieten, aber da ist die Lawine schon losgetreten und unzählige Blätter im ganzen Land drucken die Pentagon Papers nach. Und dann entscheidet der Oberste Gerichtshof mit einer klaren Mehrheitsentscheidung (6:3), dass das Veröffentlichungsverbot nicht verfassungsgerecht ist und umgehend aufgehoben wird und Spielberg suhlt im Pathos, dass alles zu spät ist. Aber es ist für eine gute Sache, und drum sehen wir es ihm nach und schauen uns “The Post” bei Gelegenheit an.

post plakat

Hier links das Plakat. Selten so schönes Understatement gesehen, und bis ins letzte Detail durchkomponiert.

Die Hauptdarsteller wenden uns den Rücken zu, Madame ist ein paar Schritte voraus, beide gehen nach oben und der Weg ist noch lang. Die Doppeldeutigkeit des englischen Titels “The Post”, was sowohl für den Namen der Zeitung “Washington Post” wie auch für den Posten / die Aufgabe steht, die diese Frau in der Männerwelt erkämpft und behauptet ist leider bei der Übersetzung ins Deutsche auf der Strecke geblieben.

 

* Jetzt ernsthaft: kennt irgendwer den 3. Zusatzartikel? Habe ihn nachgeschlagen: Er besagt, dass es in Friedenszeiten verboten ist, Soldaten ohne die Zustimmung des Besitzers in einem Privatgebäude einzuquartieren und dies in Kriegszeiten nur in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen möglich ist. (No Soldier shall, in time of peace be quartered in any house, without the consent of the Owner, nor in time of war, but in a manner to be prescribed by law.)

** Ausgesprochen hübsche Verbeugung vor dem Woodward/Bernstein-Film: in der letzten Szene von “The Post” entdeckt ein Wachmann eine aufgebrochene Tür und man hört seine Meldung an die Zentrale, dass im Watergate Hotel wohl gerade ein Einbruch stattfinde.

 

Nachtrag: Der aktuelle Besitzer der Washington Post, Onlinehändler Jeff Bezos, hat ihr neulich diesen neuen Claim geben lassen: “Democracy Dies in Darkness”.

Des Fängers Fluch

Dunkelmorgen. Waahh? Noch orientierungslos und offensichtlich aus dem Schlaf gerissen, weil sämtliche Vögel im Innenhof der Wohnanstalt mir ihr frühmorgendliches Fangglück in die Ohren brüllen müssen. Wurmseitig herrscht Totenstille.

Herrschaften: es ist Viertel nach vier. Um diese Zeit liegen meine Sympathien ausschließlich bei beim Stummwurm.

Doch gut

“Guten Abend, die Fahrscheine bitte”. Echt jetzt? Ich bin in meinen nunmehr zweieinhalb Neumünchnerjahren so gut wie nie kontrolliert worden und jetzt stehen um fast elfe nachts aufamal gleich vier Kontrolettis im Waggon?

Ausnahmslos jede/r im für diese Tageszeit gutgefüllten Wagen hat einen Fahrschein vorzuweisen und die Herr- und Damenschaften Kontrolleure verlassen den Zug an der nächsten Station, ohne einen einzigen Schwarzfahrer gefunden zu haben. Und irgendwie freu ich mich wie narrisch, dass dieses Prinzip, das doch sehr stark auf der Ehrlichkeit der Fahrgäste basiert, funktioniert.

Isser doch gar nicht so schlecht, der Mensch an sich.

Jungmenschenlogik

Vorhin an der Supermarktkasse

Ein Frühteeniemädchen (sie würde mich allein schon für das “Mädchen” hassen) zu ihrem ungefähr gleichaltrigen, schwer an seiner Akne und der Welt leidenden prämännlichen Begleiter: “Weissu, Alter. Ich hasse sie nicht, weil sie mich haßt. Ich hasse sie mehr so… [sucht nach einem Begriff:] … so allgemein, so. Weissu?”

Gedanken zum Reifenwechsel

An die hiesigen Annehmlichkeiten habe ich mich nach meiner Rückkehr aus God’s Own Country ganz schnell wieder gewöhnen können und sie nach der langen Abwesenheit erst so richtig zu schätzen gelernt. Wie er eben so ist, der Mensch.

Feine Dinge, wie friends and family quasi in Rufweite und nicht mehr 10.000 km weit weg. Oder, auch sehr wichtig, gute und wohlschmeckende Lebensmittel zu unglaublich günstigen Preisen in fußläufig erreichbaren Supermärkten (wobei mir die verkaufsoffenen Sonntage durchaus manchmal fehlen). Oder, ganz toll, Öffentliche Verkehrsmittel, die mich zu fast jeder Tages- und Nachtzeit überall hin kutschieren und bei denen ein 20-Minuten-Takt als gerade noch an der Grenze des Zumutbaren gildet (Hallo, Cal-Train, aufgemerkt!). Und Trinkwasser aus dem Wasserhahn und Waschmaschinen, die Wäsche sauber waschen, statt sie widerwillig ein bißchen in lauwarmer Brühe unter Zusatz von viel zu viel Bleiche zu quirlen. Und Kultur. Und Kunscht. Und einfach mal schnell in ein Ausland zu fahren (!), wo die Menschen eine andere Sprache sprechen, aber mit derselben Währung bezahlen. Oder nach einem Knappvierstundenflug auf einem anderen Kontinent zu landen. Hach! Es gibt hier schon sehr viel Schönes!

Der einzige Wermutstropfen, ach woher, Wermutshektoliter ist dieser mistverdammte Winter. Kälte, die einem in die Knochen kriecht und dafür sorgt, dass man vor lauter Schmerzen schief gehen muß, wo doch der sommerlich sonst so aufrechte Gang eh schon gefährdet ist durch mangelnde Trittsicherheit bei Schnee, Eis, Graupelschauer (man gebe mir Zeit, und mir fallen mehr Worte für Schnee ein als dem gemeinen Isländer* und jedes davon ist eklig). Heizungsluft. Trockene Haut und Augen. Oder noch schlimmer: Vermieter geizig, Heizung kaputt, bei zweistelligen Minusgraden. Hustenschnupfenheiserkeit, bähäää! Trotz Mützeschalhandschuh. Dicke Jacken und Mäntel. Stiefel. Mit Profilsohlen gleich gar. Und das ganze Zeug stopft, bloß weil es eine Saison gibt, die sich mit Minustemperaturen spielt, für nix und wieder nix die Schränke voll. Und was man an Zeit vergeudet, nur um zwischen diesen Jahreszeiten zu pendeln, Zeug von hier nach da zu schaffen und dann noch zwei Mal im Jahr in die Werkstatt, auf dass das Auto die passenden Reifen bekomme (s. o.).

Nein. Nein. Nein. Es reicht! Genug davon. Ich habe mir das jetzt schon wieder drei viel zu lange Winter lang angesehen und leiden müssen und plädiere dafür, diesen Dreck jetzt endlich abzuschaffen und sich auf die Jahreszeiten Spätfrühling, Langsommer sowie Herbst zu beschränken. Mit sofortiger Gültigkeit. Und für die, die glauben, Winter brauchen zu müssen, verweise ich auf mein Uraltmodell: die Schneefallgrenze beginnt/endet ab Garmisch.

 

* Es handelt sich um einen weitverbreiteten Irrtum, dass Eskimos die meisten Worte für Schnee haben, es ist vielmehr die isländische Sprache, die 16 verschiedene schneebezogene Wortstämme umfaßt. Es gibt zum Beispiel einen für simplen Feld-Wald-Wiesen-Schneefall: „fannkoma“, einen anderen für schweren Schneefall mit großen Flocken bei ruhigem Wetter „hundslappadrífa“, für Pulverschnee „lausamjöll“ und schon wieder einen anderen für Schneefall bei Wind „ofanbylur“.