Alle anderen Nachtische haben ein Bildchen von sich machen lassen, nur das ganz oben auf der Dessertkarte stehende “Pijama” nicht. Macht nichts, ich möchte lösen:
Das ist bestimmt ein Andalusier im Schlafrock.
Alle anderen Nachtische haben ein Bildchen von sich machen lassen, nur das ganz oben auf der Dessertkarte stehende “Pijama” nicht. Macht nichts, ich möchte lösen:
Das ist bestimmt ein Andalusier im Schlafrock.
Auf meiner heute unterwegs erworbenen Wasserflasche steht “muy débil”.
Ich glaube, ich nehme vom weiteren Genuß dann doch lieber Abstand. Sicher ist sicher.
Ob wir uns, fragt der Kellner im El Muelle*, nicht lieber rein setzen wollen; kaum serviert, würden nämlich die bösen avispas versuchen, ihren Teil vom Essen abzusäbeln.
Nicht doch, guter Mann. Wir sind aus München und haben den ganzen Sommer über trainiert, wir schaffen das. Und bleiben hier schön im Schatten und warten gemütlich auf unseren Queso Payoyo**. Recht gehabt. Die einzige Wespe, die sich zeigt, wird sofort von Levante verblasen. Wird auch Zeit, dass sich der Lärmhansel mal nützlich macht.
* El Muelle übersetzt Leo mit wahlweise “die Sprungfeder”, aber auch mit “die Kaimauer”. Wir befinden uns jedoch in einem Bahnhofsrestaurant (1 – recht kurzer – Zug über einen halben Siestazeitraum). Ohne Diazepam wären solche Probleme nicht zu lösen. Mit sind sie einem wurscht.
** Payoyo heißen die lokalen kleinen schwarzen Kletterziegen, aus deren Milch vorzüglicher Käse gemacht wird.
4:00 Uhr früh. Levante will mich nicht schlafen lassen. Er heult um die Hausecken, verwirbelt den Bäumen aus allen Richtungen gleichzeitig die Raschelblätter und ist so ganz insgesamt ein lästig-lärmender Gesell. Ein Unfriedenstifter. Wenn es irgendwo Schlummer geben sollte, dann nicht in dieser Nacht und nicht für mich. Mir wird auch immer heißer. Liegen zu bleiben und auf Bruder Schlaf zu warten ist keine Option.
Vielleicht hilft aufstehen? Herumlaufen? Im Haus auf keinen Fall, da schlafen zwei. Draußen, also. Levante zieht und zerrt an meinem Nachthemd, als ich mich ihm Richtung Pool entgegenstemme. Da ist ein Bänkchen, da will ich einsam sitzen, mit dem vollen Mond plaudern, Zahara in ihrem Lichterglanz bewundern und zusehen, wie Levante auf der Stauseebleiplatte immer neue Muster ziseliert.
Einsam und allein? Nicht doch. Chico besinnt sich spontan auf seine Hütehundvorfahren, begleitet mich, heftig schwanzwedelnd, auf dem Pfad zum Pool, springt sofort neben mich auf die Bank und wacht ab dann gefühlvollen Blickes über mich. So gefühlvoll, dass ich ihm eine Stunde lang Liedchen vorsinge und für ihn Gedichte rezitiere. Chico hat Geschmack, er mag Arbeiterlieder und die Marseillaise und Brechts Liebesgedichte. Bei der Seeräuberjenny verlangt er ein daCapo, ich glaube, das liegt daran, dass er die Strophe mit dem “Hoppla” so mag.
Levante schert das alles nicht, Levante lärmt weiter. Aber mein Hütehund und ich sind nach einer Stunde Poesie und Musik soweit abgekühlt, dass wir nochmal ins Bett schlüpfen und so richtig einschlafen könnten, wenn der Haushalt hier aufsteht.
Die Region kennt Sommer nur als niederschlagsfrei, heiß und trocken. Und gelegentlich windig, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte. Levantewindig. Dennoch ist der Boden extrem wasserreich und damit Mensch und Vieh in den heißen Zeiten leichteren Zugang dazu haben, baut man Staumauern zwengs der Anlage von Seen. Eines dieser Wunder menschlicher Ingenieurskunst kann man in einer Schlucht in der Nähe von Montejaque besichtigen. Dort hat man, berichtet unsere Gewährszugereiste, in einer schlecht zugänglichen Gegend lange und viel gebaut und dann die Schlucht geflutet. Wer den neuen See allerdings nicht binnen dreier Tage bestaunte, wurde vom Leben bestraft: am vierten Tage war er nicht mehr da und das ganze viele Wasser wieder in den unterirdischen Höhlensystemen versickert. Die Staumauern sind geblieben und sehen sehr albern aus.
Beim zweiten war man wohl klüger geworden, den gibt es noch. Christoph hatte eine Dirt Road gefunden, die direkt zum Ufer führt und unser geländegängiges Mietfahrzeug den Berg hinabgetrieben. Es ist sehr faszinierend, dass man aus der Anordnung der über die Wasserfläche hinausspitzenden Baumwipfel die ursprüngliche Anordnung menschlicher Anwesen herleiten kann. Rechte Winkel macht halt nur der Mensch. (Bilder gibts, wenn ich sie von der Kamera geladen haben werde. Ganz altmodisch, so wie’s halt früher war. Vor der Zeit, als ich ein Smartphone hatte.)
Sonst? Sonst haben wir einen Hund sehr glücklich gemacht. Chico hat jeden Tümpel, alle Wasserläufe von Sickerwinzbächlein bis Fluß und auch den Stausee mit vollem Körpereinsatz getestet, sie für muy bien befunden und steht für weitere Expeditionen je-der-zeit zur Verfügung. Je-der-zeit. Das einzige, was er gar nicht haben kann, ist, wenn seine Menschen zu weit auseinanderfallen – das heißt, einem Hütehund das Leben unnötig schwer zu machen. Da muß man diesen Lumpenhaufen dann schon auch mal zur Ordnung bellen. Sonst war er aber mit uns zufrieden und wir dürfen auch das nächste Mal mit.
Vorhin was ganz anderes gesucht und dabei auf dieses aparte Rezept gestoßen:
Andrajos – Zutaten für 6 Personen• 1/4 Kilo Mehl• 1 große Tomate• 1 grüne Paprika• 4 Knoblauchzehen• 1 mittelgroße Zwiebel• 1 Hase• Kreuzkümmel, Paprika und ein Zweig Grüner Minze.
Karin muß arbeiten, wo andere Urlaub machen. Wir ja nicht. Und weil wir heute zur Cueva del Gato (Katzenhöhle) wollten, haben wir Chico den Hund mitgenommen.
Das war sehr sehr lustig und morgen erzähle ich von der Guardia Civil, die hier an entlegenen Kreuzungen gerne mal Drogenkontrollen durchführt und wie Chico es geschafft hat, sämtliche Kletten Andalusiens in seinem Fell zu verteilen und wie sehr nett ich es fand, dass man hierzulande erst Eintritt für den Nationalpark verlangt, wenn der Tourist länger als 10-15 Minuten dort verweilt und was wir für einen schönen Spaziergang am Fluß gemacht haben – hoppla, jetzt hab ich doch schon fast alles verraten.
Bis auf den Stausee. Von dem erzähl ich dann morgen. Vom einen und vom anderen.
* Montejaque nach Benaoján
Bei empfänglichen Naturen setzt er innerhalb der ersten 24 Stunden schon ein, der sogenannte “Andalusieneffekt” und führt zu einer verzerrten Wahrnehmung von Zeit (es ist immer schon ein paar Stunden später, als man es für möglich hält), aber auch zu vollkommener Gleichgültigkeit gegenüber diesem Umstand.
Starken Menschen gelingt vielleicht sogar noch die titelgebende Analyse, aber danach brauchen sie auch eine ausgedehnte Siesta.
Andalusien ist das Land der weißen Dörfer und wir machen unseren Sonntagsausflug in das ganz besonders hübsche von Bächlein und Wasserläufen durchzogene Montecorto. Hier blüht und grünt es an jedem Eck und man kann sich gar nicht sattsehen. Muß man auch nicht, weil Abendessen gibts dann in einem ganz wunderbar guten Restaurant in El Gastor – sie lebe hoch, die andalusische Sitte, alles was gut und fein ist, in Kroketten zu verbacken.
Ich fände es ja noch schöner, wenn die es nur irgendwann mal hinbekämen, ihre Ansiedlungen statt auf steilen Bergen in der Ebene anzulegen. Hechel.
Am Samstagabend ist Feria in Villamartín “und da müssen wir hin”.
Jeder andalusische Ort, der auf sich hält, hat ein eigens ausgewiesenes Feriagelände, wo ursprünglich am Namenstag des zuständigen Schutzheiligen ein Pferdemarkt veranstaltet wurde, der nun in der neueren Zeit eher abseits gelegen stattfindet. Dafür gibt es ganz prominent einen Jahrmarkt mit Fahrgeschäften, viele Eß- und Trinkstände, eine Art Dult mit Piratenmarken, Kruscht, Krempel, noch mehr Unnützem, darunter geradezu unglaubliche Mengen an täuschend echt aussehenden Plastikwaffen für den kleinen Hombre (“nicht ohne meine AK 47”) und Irgendwas in Pink mit Einhorn für seine kleine Hermana (Schwesterchen). Zwischen den Festzelten am Eingang des Geländes sind zwei Bahnen mit Sägespänen ausgestreut, für Reiter und Kutschen, eine für hin, eine für zurück, weil Gegenverkehr gegen später gefährlich werden könnte.
Wir sind für andalusische Verhältnisse sehr früh dran, was daran liegt, dass die Pferde um 20:00 Uhr heim in den Stall müssen und man wirklich einmal gesehen haben muss, wie die Caballeros einem stolz gestreckt was vorreiten. Also nehmen wir uns in einem Zelt in Mittellage in der Poolposition Platz, richten die Stühle zur Straße aus, bestellen einen Krug Rebojito (Sherry + Seven Up mit einem Minzstengel), freuen uns, dass unser Zelt noch keine Musik macht, weil die von gegenüber eh so laut ist, dass wir einander anschreien müssen und sehen Karins Aussage bestätigt, dass der andalusische Reiter nur zwei Reitkunststücke zu beherrschen braucht: einmal Schritt (um bis zum Zelt zu kommen) und dann noch die Vorderhandwendung, um zur Bar einzuschlagen. Getrunken wird anschließend hoch zu Roß. Außerdem kennt das Tier nötigenfalls den Heimweg.
Die meisten Reiter sind traditionell gekleidet: hochbündige Hosen, weißes Hemd, Weste, Hut. Manche haben zu Dekorationszwecken hinten im Damensattel eine total aufgebrezelte Frau sitzen. Die Damen müssen da hinaufgehoben worden sein: sie tragen andalusische Tracht mit bis kurz über den Knien hautengem und dann weit schwingendem Rock (bei der einen oder anderen vermute ich stark, dass sie nachmittags extra für die Feria in ihr Gewand eingenäht wurde), was sie auf dem Pferd sehr hübsch und grazil wirken läßt. Die Wirkung verfliegt in dem Moment, wenn die Füßchen in den hochhackigen Schuhen den Erdboden berühren, weil das bißchen Trippelschritt, das dieser Schnitt erlaubt, eher an die eingebundenen Füße asiatischer Schönheiten erinnern, als an eine thsolthze Carrrmen, olé! Trotzdem. Das Aufbrezeln scheint den Señoras und -ritas hierzulande im Blut zu liegen: Mädchen, versichert unsere Gewährszugereiste, werden bereits mit Blumen im Haar und kokett einen Fächer haltend geboren. Bei Knaben reichen O-Beine.
Ich bin ja nicht direkt eine Aufbrezelkönigin, aber vielleicht wird aus mir doch noch mal ein Dame. Wie wäre es, wenn ich klein anfinge und mir einen Fächer kaufte? Und wo besser auf einer andalusischen Feria, hmmm? Die Antwort auf diese schwer naive Frage: Überall. Überall besser. Irgendwo zwischen dem Bunt- und Unnützplastikdreck führen insgesamt drei von umpfzig Ständen überhaupt Fächer und die sind abartig häßlich und samt und sonders made in China. Madre de Dios, wer will den sowas?
Ja. Nee. Die haben am Eingang welche aus Pappe verschenkt – ich glaub, der reicht mir auf meinem Trippelschrittweg zur Damenwerdung erst mal. Wir fahren hier wieder weg und machen irgendjemanden aus dem Stau, der sich nun nach Anbruch der Dunkelheit nach Villamartín hineinsteht, mit unserem Parkplatz sehr glücklich.