Mir gegenüber in der S-Bahn sitzt ein Mann, Trachtenhemd, lederne Kniebundhosen, die Wollstrümpfe sorgfältig auf Halbmast gesetzt, gut eingetragene Haferlschuh. Um den Hals bindet er sich ein hübsch gefaltetes rotes Tüacherl, die Art, die wir früher “Nickituch” nannten und die man heute vorwiegend an großen zottigen Hunden sieht.
Dann setzt er ein Söderlächeln auf und knipst, den Daumen der anderen Hand steif nach oben gereckt, Selfies. Willkommen in Bayern!
Also, wenn ich was so richtig haben kann, dann sind das Rückreisen.
Hilft aber nix, die Signale sind eindeutig: heute war ich schon schwer melancholisch und hab ich den ganzen Tag Dinge getan, bei denen ich wusste, dass ich sie für diese Ferien das letzte Mal tue, der Lufthans hat mich ungefragt schon für morgen eingecheckt und zum krönenden Abschluss kam vorhin der Vermieter und hat den Pool für den Winterschlaf zugedeckt.
La piscina está cerrada.
Ja, ich weiß, Ferien dauern nicht ewig. Aber a bissele noch? Ich hätte noch eine Notration frischer Wäsche…
Verglichen mit den Kenntnissen, die mir meine App inzwischen beigebracht hat (1748 Wörter. Dass ich nicht lache. Da ist jede Konjugation eines jeden Verbs, das ich inzwischen schon wieder vergessen habe, mindestens doppelt mit gezählt) war Rafas Unterricht höhersemestrige Hochschule zu Kindergarten.
Aber ich habe mich einigermaßen wacker geschlagen und sehe mit mehr Zuversicht als vorher einige Vergangenheiten und den subjuntivo auf mich zukommen. Algún día será…
Wasser? Klar, Wasser kommt aus den Wasserhähnen, der Dusche, dem Klo. Stimmt. Und zwar dann, wenn jeden Tag, jeden Morgen und jeden Abend der benzinbetriebene Generator angestellt wird und jeweils mindestens eine Viertelstunde lang laut durch die ansonsten sehr stille andalusische Landschaft lärmt. Der Generator nämlich betreibt eine Pumpe, die das tiefliegende Grundwasser nach oben pumpt und die Zisterne wieder auffüllt. Das ist aber nur das Nutzwasser. Damit Trinkwasser ins Haus kommt, lädt Karin den Kofferraum voll mit 5-Liter-Kanistern, fährt in den Ort und befüllt sie an einer der vielen dortigen Trinkwasserquellen mit dem guten Algodonaler Wasser. Am liebsten in der Fuente Alta (hat dem Vernehmen nach das wohlschmeckendste, beste und reinste Wasser), aber zur Not geht auch eine der anderen. (Fuente Baja, Fuente Cristobal Gómez, Manantial de los Dornajos, Fuente Cabera, Fuente Orihuela und Fuente de las Víboras.} Super Wasser. Aber auch super kalkhaltig. Vor dem Genuß empfiehlt sich gründliches Filtern, damit man nicht mit dem Algodonaler Wasser auch die typisch Algodonaler Nierensteine bekommt. Ein Dutzend 5-Liter-Kanister Wasser reicht bei drei Menschen, einem Hund sowie einem großen Container voller einzulegender Oliven, die täglich zwei Mal gewaschen werden wollen (wofür jeweils ein Kanister draufgeht), für ungefähr zwei bis höchstens drei Tage.
Strom kommt aus der Steckdose. Aber nur, wenn die Sonne scheint und die Sonnenkollektoren auf dem Dach ihr Ding getan haben. Was dann in den Batterien ist, reicht für ca. drei Tage. Wer allerdings an einem bewölkten Tag Brot toastet oder einen Wasserkocher verwendet, der hat sein Gastrecht ganz schnell verwirkt. Ist der Himmel nämlich bewölkt, was zwar im Sommer so gut wie nie, im Herbst gegebenenfalls manchmal, im Winter (der hier offiziell spätestens am 1. September beginnt, wenn die Andalusier ihre dicken Wollpullis entmotten) jedoch durchaus mal vorkommt, dann ist das Haus ohne Strom und die Romantik hält sich am 3. Tag bei Kerzenlicht doch in Grenzen. Darüber hinaus gibt es noch ein Windrädchen, das sich im Rahmen seiner bescheidenen Kapazitäten durchaus bemüht – für eine Scheibe Toast die Woche würde es vielleicht reichen. Wenn der Toaster nicht für Touristen unauffindbar versteckt wäre…
Alles, was nicht roh gegessen werden kann, wird auf dem Gasherd bzw. im Gasbackofen zubereitet. Bei ersterem ist gerne gerade dann die Gasflasche aufgebraucht, wenn das Essen eigentlich in ein paar Minuten fertig wäre. Bei letzterem gibts entweder Ober- oder Unterhitze. Man bäckt also Aufläufe und Kuchen oder dergleichen erst mal mit Unterhitze, bis sie soweit gar sind, wechselt dann zur Oberflamme und dann zeigt sich, ob man über Brandschutzqualitäten verfügt. Ich habe jedenfalls noch nie einen Ofen gesehen, der so heimtückisch klammheimliche Freude daran hat, einen Kuchen zu verbrennnen.
Das Internet für den gesamten Ort wohnt hier oben auf dem Berg und wird ebenfalls von Sonnenkollektoren gespeist. Hier im Haus ist das Netz so schnell wie sonst in Großstädten nicht; ansonsten gilt: wenn längere Zeit die Sonne nicht scheint und die Winterstürme toben, kann keiner hier in der Gegend online einkaufen oder tun, was er sonst so im Internet tun täte. Keine Sonne, kein Internet.
Entsorgung ist auch so eine Sache. Das Müllauto würde den Teufel tun und sich über diesen steilen unebenen Pfad nach oben quälen, davon abgesehen, dass der Weg mit einem nicht geländegängigen Fahrzeug gar nicht zu schaffen wäre. Nein, die Algodonaler Stadtverwaltung hat ihren Ort mit vielen Müllcontainern in allen Farben zugestellt und wer Müll gemacht hat, bringt ihn da hin. Das heißt, für einen Gang ins Dorf wird das ganze Auto vollgepackt, und dann im Multistop-Verfahren der Abfall abgeliefert. Es gibt Recyclingtonnen für Glas, Papier, Kompost sowie für sonstiges Verwertbares (Plastik, Dosen etc.), außerdem große Kübel für Restmüll.
Karin hat sich inzwischen einen großen Gemüsegarten angelegt und immer, wenn wir in der letzten Woche gekocht haben, gabs eigenen Mangold und Mangold, Rukola, Basilikum, auch Mangold. Selbst die Obstbäume, die sie in ihrem ersten Jahr hier gepflanzt hat, tragen schon Früchte. Zwar im einstelligen Bereich, aber immerhin. Noch ein paar Jahre, und dann wird sie zur Erntezeit wie alle in den Tauschhandel mit der Nachbarschaft eintreten, weil einfach immer alles gleichzeitig reif wird. Auch in Andalusien. Dadurch sind wir dieser Tage zu einem Haufen Granatäpfeln gekommen. (Habe noch keinen Weg gefunden, sie wohlschmeckend mit Mangold zu kombinieren. Arbeite aber dran.)
Eier gibts bei der Nachbarin – so wie deren Hühner manchmal über die Hügel lärmen, möchte man meinen, sie legten mindestens Straußeneier. Das Triumphgegackere ist manchmal sogar noch lauter als das Bimmeln der Schafsglocken; man hat hier einfach keinen Moment Ruhe… Aber zum Eierbestellprozess: Karin schickt per Wazzah eine Anfrage, daraufhin bestätigt die Nachbarin, dass man die Hühner mit der Produktion beauftragt habe und am nächsten Tag hängt eine Tüte voll Eiern (die Erfindung des Eierkartons hats noch nicht bis Andalusien geschafft) am Zaun unten oder wird gar nach oben gebracht. Meist mit einem Dutzend Eiern in sehr verschiedenen Größen (da kennt man leicht die Azubi-Hennen von den Voll-Profis); dieses Mal fehlte eines. Es sei den Damen Hühnern einfach zu heiß. Die andere Variante ist der Einkauf im winzigen Lädchen bei der alten Eierfrau im Ort. Geht ohne Voranmeldung, aber auch in Tüten. Die Eierschalen sind übrigens ausgesprochen schön eierschalenfarben und erfreulich stoßfest. Bis jetzt hatten wir nur Rührei, wenn wir Rührei wollten.
Der Bedarf an anderen Lebensmitteln läßt sich beim gutsortierten Bäcker, Supermarkt und Obst- und Gemüsehandel im Ort leicht decken. Mangold führen die allerdings nicht.
“The Human Division” ist der inzwischen 5. Band von Scalzi Old Man’s War Serie. Die fünf Jahre Pause zwischen Zoe’s Tale (4. Teil) und diesem haben gut getan – Scalzi birst vor Ideen und wirft sie hier in Form von lose zusammenhängenden Kurzgeschichten unter seine Leserschaft. Die ursprüngliche Form der Veröffentlichung als Einzelonlineepisoden führt nun im gesammelten Buch zu Wiederholungen, die bei einem durchgehenden Roman nicht nötig gewesen wären, das ist aber auch alles, was ich zu meckern habe.
Ansonsten sind die Geschichten im wesentlichen humanistische Appelle (egal wie unterschiedlich wir sind und aussehen, egal von welchen Planeten oder Sternen oder Sonnensystemen wir auch kommen mögen, wir wollen doch alle nur ein möglichst gutes Leben leben und alle anderen auch) und weil Scalzi ein ausnehmendes Talent für schnelles spannendes Schreiben und noch einmal ganz besonders für sehr schön pointierte Dialoge hat, liest sich das Buch weg wie nix. Schade, dass ich daheim noch dachte, dass ich Band 6 nicht mitzunehmen brauche, denn dann käme ich der großen planetarischen Verschwörung schneller auf die Spur. Jetzt muß ich halt warten, bis ich wieder zurück bin.
Und das ist schon übermorgen. Kinder, wie die Zeit vergeht…
Mein Begleiter zeigt ein ganz besonderes Talent für Übersetzungen aus dem Spanischen ins Deutsche. Beweis? Ohne ihn hätten wir wohl nie erfahren, dass hierzulande Cremes aus Männern (“Crema de Manos”) angefertigt werden. Wobei Karin der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen wünscht, dass das Zeug erst nach dem Hinzufügen von Aloe Vera was taugt.
Irgendwie in der Schule nimmer so ganz mitgekommen. Irgendwie mit den falschen Kumpels abgehangen. Irgendwie mit Drogen rumgedaddelt. Irgendwie immer irgendwelche schlecht bezahlten Jobs gemacht. Irgendwie nie auf einen grünen Zweig gekommen. Irgendwie mit einem mitgegangen, der zur Army wollte und irgendwie auch unterschrieben. Irgendwie im Bootcamp zu einer Art halbgarem Sanitäter ausgebildet worden. Irgendwie in den Irak geflogen worden und irgendwie auf einmal im Krieg gewesen, irgendwo, wo es heiß war und Menschen, Kultur und Sprache fremd. Irgendwie andere Soldaten sehr elend krepieren gesehen. Irgendwie immer Angst gehabt, der Nächste zu sein. Irgendwann geschossen. Auf Zivilisten. Auf Alte, Frauen, Kinder. Immer übermüdet gewesen. Wenn Ablenkung, dann weggesperrt in der “Festung”, mit Brutalpornos, Snuff-Filmen, Ballerspielen. Irgendwie immer leichter an immer noch mehr und härtere Drogen gekommen. Irgendwie abgestumpft vom dauernden Sterben um sich herum. Irgendwie einen Knacks abbekommen. Irgendwann aus dem Krieg zurückgekehrt. Irgendwann kurz danach aus der Army entlassen worden. Irgendwie im Zivilleben nicht mehr angekommen. Irgendwie heimatlos geworden.
Schlechte Jobs. Schlechte Behausungen. Nie genug Kohle. Unfähig zu Stetigkeit. Nicht beim Arbeiten, nicht im Umgang mit Menschen, schon gar nicht in Beziehungen zu Frauen und Familie. Aber immer Drogen. Von guter und schlechter Qualität. Immer dann am teuersten, wenn die Sucht nach dem nächsten Schuß am größten war. Irgendwann Beschaffungskriminalität. Bankraube. Geiseln. Immer gerade soviel Geld geschnappt, dass es für die nächsten paar Gramm reicht.
Der Autor Nico Walker beschreibt in “Cherry” sein eigenes Leben als “Medic” im Irakkrieg und vor allem als “Veteran” (mit ein bißchen über 20 Jahren) nach seiner Heimkehr ins Amerika der Opioidkatastrophe. Deswegen ist das Buch so wahrhaftig, dass es schmerzt. Manche Sätze haben eine solch lakonische Klarheit, dass man sie sich an die Wand nageln möchte. Walker wird voraussichtlich noch die nächsten 5 Jahre im Gefängnis verbringen – bin gespannt, ob er auch noch was anderes schreiben kann als autobiographisches.
Das ist die Art Buch, bei der man sich freut, dass man sie lesen durfte, es aber bestimmt nie wieder tun wird. (Ich werde auch Trainspotting kein zweites Mal ansehen.) Ebenfalls hätte ich auf die letzten 50 von weit über 100 Seiten des ausschließlich von Drogen und mehr Drogen und der Beschaffung von Drogen und noch mehr Drogen bestimmten Alltags verzichten können. Dennoch: Lesen! Lesen! Lesen!
Kannst du mir mal erklären, warum die Düfte deiner Blüten die greisligen Stechviecher davon abhalten, Pferde zu fressen, auf meiner Haut hingegen wirken wie extra appetitsteigernde Marinade? Ich habe inzwischen mehr rotgeschwollene Juckhuckel als freien Raum zum Stechen.