Gelesen: Nico Walker – “Cherry”

Irgendwie in der Schule nimmer so ganz mitgekommen. Irgendwie mit den falschen Kumpels abgehangen. Irgendwie mit Drogen rumgedaddelt. Irgendwie immer irgendwelche schlecht bezahlten Jobs gemacht. Irgendwie nie auf einen grünen Zweig gekommen. Irgendwie mit einem mitgegangen, der zur Army wollte und irgendwie auch unterschrieben. Irgendwie im Bootcamp zu einer Art halbgarem Sanitäter ausgebildet worden. Irgendwie in den Irak geflogen worden und irgendwie auf einmal im Krieg gewesen, irgendwo, wo es heiß war und Menschen, Kultur und Sprache fremd. Irgendwie andere Soldaten sehr elend krepieren gesehen. Irgendwie immer Angst gehabt, der Nächste zu sein. Irgendwann geschossen. Auf Zivilisten. Auf Alte, Frauen, Kinder. Immer übermüdet gewesen. Wenn Ablenkung, dann weggesperrt in der “Festung”, mit Brutalpornos, Snuff-Filmen, Ballerspielen. Irgendwie immer leichter an immer noch mehr und härtere Drogen gekommen. Irgendwie abgestumpft vom dauernden Sterben um sich herum. Irgendwie einen Knacks abbekommen. Irgendwann aus dem Krieg zurückgekehrt. Irgendwann kurz danach aus der Army entlassen worden. Irgendwie im Zivilleben nicht mehr angekommen. Irgendwie heimatlos geworden.

Schlechte Jobs. Schlechte Behausungen. Nie genug Kohle. Unfähig zu Stetigkeit. Nicht beim Arbeiten, nicht im Umgang mit Menschen, schon gar nicht in Beziehungen zu Frauen und Familie. Aber immer Drogen. Von guter und schlechter Qualität. Immer dann am teuersten, wenn die Sucht nach dem nächsten Schuß am größten war. Irgendwann Beschaffungskriminalität. Bankraube. Geiseln. Immer gerade soviel Geld geschnappt, dass es für die nächsten paar Gramm reicht.

Der Autor Nico Walker beschreibt in “Cherry” sein eigenes Leben als “Medic” im Irakkrieg und vor allem als “Veteran” (mit ein bißchen über 20 Jahren) nach seiner Heimkehr ins Amerika der Opioidkatastrophe. Deswegen ist das Buch so wahrhaftig, dass es schmerzt. Manche Sätze haben eine solch lakonische Klarheit, dass man sie sich an die Wand nageln möchte. Walker wird voraussichtlich noch die nächsten 5 Jahre im Gefängnis verbringen – bin gespannt, ob er auch noch was anderes schreiben kann als autobiographisches.

Das ist die Art Buch, bei der man sich freut, dass man sie lesen durfte, es aber bestimmt nie wieder tun wird. (Ich werde auch Trainspotting kein zweites Mal ansehen.) Ebenfalls hätte ich auf die letzten 50 von weit über 100 Seiten des ausschließlich von Drogen und mehr Drogen und der Beschaffung von Drogen und noch mehr Drogen bestimmten Alltags verzichten können. Dennoch: Lesen! Lesen! Lesen!

Add a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

2 × 4 =