Alles eine Frage der Betonung

“Fremdekel” habe sie befallen, entnehme ich dem Artikel einer Bento-Autorin. Mein noch schlaftrunkenes Hirn betont das Wort auf der zweiten Silbe (so wie in “Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter”) und ich komme erst viel später und im Kontext darauf, dass sie wohl eine Dame ist, der auch Fremdscham nicht fremd ist.

Mit dergleichen Begriffen fremdele ich ja eher.

Wäre es nicht…

…eine wunderschöne Idee, wenn zukünftig auf Litfaßsäulen immer eine plakatgroße weiße Fläche freigehalten würde, die, wer sie zuerst entdeckt und mag, nach seinem Dafürhalten gestalten kann?

“Huhn Hokaido Hirsch”

… ist nicht, wie man annehmen könnte, ein etwas ungelenker Alliterationsversuch, sondern die von der kroatischenstämmigen Bedienung vorgetragene Suppenauswahl.

Weil wir sehr alberne Menschen sind, haben wir uns sofort ausgemalt, wie sie, falls einer Hirsch bestellt, zaubertrank- oder double-double-toil-and-trouble-große schwarze gußeiserne Riesenkessel hinter sich herziehen wird, aus denen ein Geweih ragt. War aber dann doch nur Gulaschsuppe in normalgroßen Terinen.

Bayern herzeigen

Besuch aus fernen Landen ist mir ja immer Ansporn, auch mal wieder bayerische Nahverkehrsziele aufzusuchen. Zum Beispiel Tegernsee am schönen Tegernsee. Die haben eine wunderschöne Therme (ausgebucht), Berge mit schneegepuderten Gipfeln, einen See, eine Skipiste mit Kunstschnee (sonst noch was? Kalt. Schnee. Und dann noch ungelenk auf Holzbrettern hinabrutschen? Nein, nein, nein!), ein Pendelschiff zum Adventszauber (u. a. mit Alphornbläsern und Blasmusik) am gegenüberliegenden Ufer (wg. Advent vorbei geschlossen) sowie ein Olaf-Gulbransson-Museum (gut beheizt) und Cafés (dito), weswegen die beiden letzteren sich als Ziele eignen.

Man möchte gar nicht glauben, wie viele andere Menschen ebenfalls Bayern herzuzeigen hatten. Der Verkehr war zäh, der Stau lang und wir hatten hinreichend Gelegenheit, oberbayerisches Idyll langsam, ganz langsam an uns vorbeiziehen zu lassen. Auch den Lehrbienenstand, der einige Fragen offen läßt. Werden dort Bienen unterrichtet? (“Schau, Bienchen, das ist eine Blüte…”). Oder stellen sie den Lehrkörper? Und wenn ja, wem bringen sie und vor allem was bei? Oder hat das was mit Drohnen zu tun (“Wenn du zur Königin gehst, vergiß [bienenköniginnenkompatiblen Gegenstand einsetzen] nicht! Du Drohnen-Depp!”] Und wuppdich sind wir auch schon da.

Im Gulbransson-Museum zeigt man eine Ironimus-Sonderausstellung, die wieder einmal die These belegt, dass Satire nur so lange funktioniert, wie ihr Objekt dem Betrachter bekannt ist. Überhaupt wirken Gustav Peichls Karikaturen ein wenig dröge, quasi angegilbt und aus der Zeit gefallen. Hingegen sind seine architektonischen Entwürfe sehr modern (zB der Millennium Tower in Wien), davon hätte ich gerne mehr gesehen – aber dafür hätte ich vielleicht nicht gerade ein Museum zur Geschichte der Karikatur aussuchen sollen. Die Simpl-Ausstellung macht Spaß, wie immer. Dann See-Ufer (wg. Sonnenuntergang in Oberbayern), Kaffee (wg. es ist jetzt Kaffeezeit) und dann zurück (wg. Konzert). Inzwischen ist es so kalt geworden, dass selbst das Schilf friert – die armen Zitterpflänzchen stehen mit den Füßen im kalten See und ich klappere schon solidarisch mit den Zähnen. Zum Glück funktioniert bei uns im Auto die Heizung.

Heimzus gehts auch nicht schneller, doch das macht nichts, denn es gibt viel zu sehen. Etwas zurückgesetzt von der Straße stehen um eine Krippe unter hellem Flutlicht ein großer signalgrüner Hirsch mit goldenem Geweih und güldenen Blütenranken am Sterz, allerlei Waldgetier (ich glaube, ich konnte einen Waschbären (apricot/türkis) und ein Eichhörnchen (eichhörnchenfarben) identifizieren) sowie zwei floridapinke Flamingen. Wenig verwunderlich, dass kaum 200 Meter auf der anderen Straßenseite vier (!) königliche Halbwüchsige (die royale Abkunft erkennbar durch Krönchen und weite flatternde Capes sowie Sternenstäbe) ihrer Weisheit verlustig gegangen zu sein scheinen. Ich hatte die Besetzung im Stall zu Bethlehem auch anders in Erinnerung. Ganz anders.

Die scheinen dort in der Region ohnehin einen eher farbenfrohen religiösen Ansatz zu haben. Wenn auch bereits industriell fortschrittlich – ich war zumindest noch nie zuvor an einem Schild vorbeigefahren, dass vor einer Beschneidungsanlage warnt. Wobei Toni behauptet, ich hätte da wohl ein “D” zuviel hineingelesen. Aber was weiß der schon, ungetauft wie er ist.

Wir schlagen dem Navi ein Schnippchen, weil ich (ich!) eine Abkürzung kenne, auf der dann tatsächlich noch nicht mal Feierabendverkehr ist, lassen das Auto zu Hause fallen und machen uns auf zum Jazzkeller.

Departures

… ist nach wie vor der blödeste Schalter an allen Verkehrsmittelterminals. Auch wenn er “Abfahrt” heißt und mir dieses Mal die Bahn meinen Toni wieder in den Osten wegfährt.

Aber jammern hilft nichts, dann doch lieber erinnern an die drei schönen Tage und der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass wir bald wieder welche haben werden. Hier oder dort.

Gestern in der Unterfahrt: Matthias Bublath & Friends feat. Fourganic, Max Grosch & Lisa Bassenge

Eine interessante Besetzung hatte sich Matthias Bublath da zusammengestellt. Er selbst in Socken an Hammondorgel, Piano, Keyboard. Oscar Kraus, ebenfalls strumpfsockig am Schlagzeug. Mit einer ganz schlimmen Marotte, nämlich vor jedem Trommelschlag die Nase zu rümpfen und die gesamte obere Zahnreihe in Unterlippe schlagen. Das gibt ganz häßliche Grimassen und mir ist zum ersten Mal, seit ich denken kann, der Spaß vergangen, dem Schlageuger zuzusehen. Des weiteren Ferdinand Kirner im Nerdoutfit Karohemd, Jeans, Turnschuhe an der Gitarre sowie Ganzkörpergeiger Max Grosch im feinen Tuch an der E-Violine, ein Born ausgesprochen ungewöhnlicher Klänge. Die Musik, die dabei herauskam, war allerdings vorwiegend zu laut für den doch eher kleinen Jazzkeller und sehr konventionell.

Nach einem instrumentalen Set übernahm Sängerin Lisa Bassenge aus Babylon Berlin Band und Bühne. Ein zeitlos herbe* Schönheit, genau passend für die Zwanziger (letzte und aktuelle), im petrolfarbenen knapp knielangen Engstschlauchkleid mit verruchtem Dekolletée** und Rückenreißverschluß, dazu schwarze Strümpfe und Stiefelchen. Und einer Stimme zum Niederknien. Mei, war des scheee! Sie sang sich durch ein paar Standards, aber auch sehr schöne Eigenkompositionen und man hätte ihr stundenlang zuhören können, wenn die anderen nicht so maßlos gelärmt hätten. (Selbst ist in solchen Fällen die Frau: Flugs Schalldämpfer aus Papiertaschentüchern gebastelt.)

Wenn die das beim nächsten Mal mit der Lautstärkenregulierung hinbekommen, dann ist diese Combo ein Empfehlung für Jazz-Einsteiger.

* Die Autokorrektur war nicht davon abzubringen, aus der herben Schönheit eine Herbert Schönheit zu machen. Hat was.

** Wenn ich was von Mode verstünde, dann wüßte ich, wie diese Art verdreht-gerafften milchdursterzeugenden Ausschnitts mit den breiten Trägern heißt. Tu ich aber leider nicht und weiß auch nicht, wie das im Internet zu suchen sei ohne dass einem sofort auf Doppel-D bis -F aufgeblasene Brüste entgegenquellen.

Spätzünder

Dem Postböllerer, der an Neujahr früh um 4:12 Uhr seine Raketen zündet, stehen neben instantanen Nichtmehrtiefschläferflüchen so dermaßene Vergeltungsmaßnahmen ins Haus…

Lass mich bloß erst mal wieder wach sein, du Depp!

Grad mach ichs Maul zua

… und schon können die ersten Präböllerer ihren Krach nicht mehr halten. Manno! Mein Fehler. Wäre bestimmt nicht passiert, wenn ich die alte Regel berücksichtigt hätte: “Nix xagt isch gnug globt.”

Nächstes Mal.

Erstaunlich leise

… ist es noch auf den Balkonen, Gärten und Spielplätzen der Anstalt. Ich habe gerade sogar ein Vöglein singen hören. Entweder hat jemand eine Medizin gegen vorzeitiges Böllern erfunden oder die Böllerer sind alle in Ferien (es sei ihnen gegönnt) oder es ist nur die Ruhe vor dem megamäßigsten aller Feuerwerke heute um Mitternacht. Dass die Menschen vernünftig geworden sind und die Knallerei einfach sein lassen? Ist auch ein Option, kann ich mir aber (noch) nicht wirklich vorstellen.

(Wobei ich allerdings fest davon ausgehe, dass man staunenden Kindern in 10 Jahren erzählen wird, wie das “früher” war, als in Supermärkten noch Feuerwerkskörper verkauft wurden und jeder den Winter ganz persönlich ausgetrieben hat. Die Geschichten werden wohl damit anfangen müssen, diesen dann jungen Menschen das Phänomen “Winter” zu beschreiben.)