Noch in den Mediatheken: Ferdinand von Schirach – “Feinde – Gegen die Zeit”/”Feinde – Das Geständnis”

Das “Fernseh-Experiment”, das einmal das Verbrechen und parallel die anschließende Gerichtsverhandlung sowohl aus der Perspektive des wegen Entführung ermittelnden und folternden Kommissars (Bjarne Mädl, brillant wie immer) und der des Strafverteidigers des Entführers (Klaus Maria Brandauer, überlebensgroß Brandauer, wie immer) zeigt.

Was ein Bohei im Vorfeld.

Wie banal in der Umsetzung.

Schirach ist inzwischen auf den Posten des Obersten Rechtsethikers der Republik abonniert und reitet feste seine selbst erzeugte Welle. Huiui, ein Sturm im Wassergläschen. Unnötig.

Die Antwort steht längst im Grundgesetz: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Folter ist im Rechtsstaat verboten.

Erledigt

ZwischendenJahren 2019 und 2020 habe ich meinen Kleiderschrank entrümpelt, als säße mir Marie Kondo persönlich im Nacken. Anscheinend war eine Phase zu Ende, denn von vielen Sachen wußte ich, ich würde sie, obwohl sie noch passen, nicht verschlissen und die Farben und Muster nicht wirklich häßlich sind (ich hatte sie ja schließlich auch mal ausgesucht) nie mehr tragen. Auch die wenigen Fehlkäufe konnte ich mir eingestehen und so kamen am Ende drei große blaue Müllsäcke für den Altkleidercontainer zusammen. Damit sie nicht im Weg umgehen, verräumte ich sie vorerst auf den Balkon, denn dort hatte ich einen Platz gefunden, an dem sie nicht störten. Ganz großer Fehler.

Denn dann waren die Ferien vorbei, der Hunsrückreisewahnsinn kam wieder und dann Pandemie und Bloß-nichts-Anfassen, Bloß-nicht-Rausgehen und außerdem immer Stau beim Wertstoffhof und ständig übervolle Container, weil alle nichts besseres zu tun hatten als ihrerseits ihr Zeug loszuwerden und schließlich war irgendwann doch Sommer und Vieles-geht-wieder (außer Zeug-zum-Container-Schleppen), darüber hinaus mein in den Seuchentagen geradezu unglaublich gewachsenes Talent zur Prokrastination – kurz: die Dinger standen immer noch rum.

Große blaue Müllsäcke sind, wie ich inzwischen gelernt habe, nicht unbegrenzt haltbar. Da schau her. Kaum stehen sie fast ein Jahr bei Wind, Wetter und heftiger Sonneneinstrahlung ungeschützt draußen, derbröselt das Material. Also stand auf meiner Vorweihnachts-und-dann-in-Quarantäne-wg.-anstehendem-Elternbesuch-Einkaufsliste die Beschaffung von Nachschub. Heute nun habe ich aus den Sackkrümeln umge- und mein Wagerl drei Mal bis obenhin und darüber hinaus vollgepackt, mich gefreut, dass mir sofort eingefallen ist, wo die Expander liegen und siebeneinhalb mittlere grüne Müllsäcke in Etappen festverschnürt zum erfreulich leeren Container gerollert und entladen.

Die Moral von der Geschichte:

  1. Mein Balkon ist größer als im letzten Jahr
  2. 2020 entrümpelt, 2020 dem Wertstoffkreislauf zugeführt: das gildet noch
  3. Diese Aktion bleibt mir ZwischendenJahren 2020 und 2021 erspart, hab nix gebraucht und nix gekauft

Gelesen: Adam Roberts – “Stone”

Die Menschheit lebt in Utopia. Endlich. Ihre Körper werden von Nanobots im Gleichgewicht gehalten, nicht zuviel, nicht zu wenig Hormonausstoß, Abnutzungen oder Verletzungen sofort repariert, das äußere Erscheinungsbild inklusive Geschlecht beliebig und beliebig oft modifizierbar. Kiemen, Federn, zusätzliche Gliedmaßen – alles, was das Herz begehrt. Alte Konzepte wie der Austausch von Waren gegen Leistung, Gewalt gegen Personen oder Dinge etc. sind längst überholt. Innere oder äußere Bedrohungen nicht vorhanden, interplanetares Reisen ohne großen Aufwand möglich, nichts im Weltenall außer Menschen. Einziges Bestreben dieser langlebigen Geschöpfe ist es, ihren Hedonismus auszuleben.

Auftritt: Der Mörder. Eine Anomalie. Er hat bereits getötet und ist auf einem ausbruchssicheren Gefängnisstern inhaftiert, umgeben von einer Waberlohe. Eine Stimme in seinem Kopf, vorgeblich eine dort mit seinem Hirnstamm verwachsene Künstliche Intelligenz, macht ihm ein Angebot: Ausbruch, Freiheit. Als Gegenleistung braucht er “nur” einen Planeten zu entvölkern, genauer gesagt: 60 Millionen Menschen umzubringen, und dabei deren Heimatwelt nicht zu zerstören.

Die ganze Geschichte lernen wir nur aus Sicht dieses Mörders kennen. Er diktiert sie, offensichtlich als Therapiemaßnahme, dem titelgebenden Stein.

Wow! Roberts packt alles in dieses Geständnis: Quantenphysik, Anthropologie, Philosophie, Wahnstörungen, Konzepte unterschiedlichster Planeten, und und und. Linguisten schenkt er als Bonus ein Glossar seiner für dieses Buch erfundenen Sprache Glicé. (Mir will scheinen, dass er den wenigstens seiner angelsächsischen Leser Deutschkenntnisse zutraut…)

Erschienen ist “Stone” schon 2002, aber besser spät als nie. Für die, die Zeit und Lust haben, sich auf einen etwas komplizierteren Stoff einzulassen.

“Relief”-Package

Zur Erinnerung: In den USA war es dem Arbeitgeber lange freigestellt, eine begrenzte Anzahl sogenannter “Sick Days” in den Arbeitsvertrag mit aufzunehmen. Will heißen, wer krank wird, darf sich auskurieren, ohne wegen Arbeitsverweigerung sofort gefeuert zu werden. Mit Glück sogar mit Lohnfortzahlung (“Paid Sick Days”). Manche Bundesstaaten sehen inzwischen “Sick Days” gesetzlich vor. Es sei denn, Mitch McConnell, der derzeit mächtigste Mann der Zerrissenen Staaten von Amerika, kriegt seine Finger dazwischen. Mitch McConnell schnürt gerade die COVID-Relief-Bill mit thematisch vollkommen anderen Gesetzesvorlagen zu einem “Package”, dem keine Seite mehr mit gutem Gewissen zustimmen kann. Wir haben es so gut hier in unserem Sozialstaat.

Winslows Video mag demagogisch wirken. Es ist deswegen aber leider nicht falsch.