Die dreizehnjährige Tochter der Steuerberaterin ist im siebten Himmel. Endlich läßt man sie in Ruhe stundenlang zeichnen, ihr Leben könnte besser nicht sein. Der Versicherungsmakler kämpft sich jeden Abend durch den Spagat, den nunmehr dritten Harry-Potter-Band gleichzeitig und altersangemessen einem Fünfjährigen und einer Zwölfjährigen vorzulesen. Die Katzen der Beratersassistentin haben eine ganz genaue Vorstellung davon, wann ein Telefonat zu lang ist und was sie von geteilter Aufmerksamkeit halten. Falls wer sich fragt: grundsätzlich und ganz und gar nichts. Das neunjährige Zwillingspärchen der Anwältin hat die Organisation der elterlichen Homeofficezeiten übernommen: “Vormittags spielt Papa mit uns und Mama kann arbeiten, dann essen wir, dann spielt Mama mit uns und Papa kann arbeiten, dann essen wir, dann schauen wir einen Film an und danach könnt ihr beide arbeiten, wenn wir schlafen”. Sie haben das auf einen allerliebsten Plan gemalt, den mir die stolze Mutter selbstverständlich gezeigt hat. Beim einen fällt das Torwarttraining des Buben für einen Profiverein aus, beim anderen die Klassenreise und ganz besonders dauert mich eine Mutter, die bei jedem Telefonat erst mal erzählen muss, wie schrecklich es ist, dass ihr Sohn erst letzten Herbst in eine mehrere hundert Kilometer entfernte Stadt gezogen sei und man jetzt nur noch telefonieren könne. Ich ahne einen Zusammenhang zwischen Umzug, Entfernung und Muttertier, sage aber nichts.
Das sind alles Menschen, mit denen ich bis vor einem Monat nur qua Funktion zu tun hatte. Natürlich hat man auch “damals” immer kurz Smalltalk gemacht. Mit der Betonung auf “kurz”. Jetzt, in Zeiten von Corona und Homeoffice, lebt man für kurze Zeit mit ihnen. Mit ihren Kindern, Hunden, Katzen. Mit den Partner*innen, die mal wieder “Tschuldigung, nur ganz kurz…” irgendwo im gemeinsamen Haushalt etwas nicht finden können und “ganz dringend” brauchen. Man tauscht sich über Befindlichkeiten aus, findet Gemeinsamkeiten. Mit zweien duze ich mich inzwischen sogar.
Hmmm. Es mag kalt klingen, aber mir ist das eigentlich zu viel Nähe.