That’s how it goes

Wenn die Nicole, die an der deutschen Grundschule in Mountain View unterrichtet, nicht ihrer Freundin Camila von ihrem Bekannten Eric erzählt hätte, der sein Appartment in Sunnyvale untervermietet, dann hätte Camila nie dem Seymour davon erzählen können. Dann wäre der Philipp, als er seinem Kumpel Seymour ein paar Anekdoten von meiner Suche nach einer angemessenen Wohngelegenheit für den Kollegen Christoph schilderte, nicht mit Camilas Visitenkarte ins Büro zurückgekommen. Ab dann war’s einfach, wir Damen haben den Rest untereinander ausgekaschpert und so wurde Christoph Mieter eines halben Dreizimmerappartements in Sunnyvale. Weil der Eric ein umtriebiger Vermieter ist, hat er das andere Schlafzimmer an die Enid aus Puerto Rico vermietet. Weil die Enid Puerto Ricanerin ist, verbringt sie den Winter nicht im bitterkalten Kalifornien, sondern daheim, bei vernünftigen Temperaturen.

Ich hatte Enid in Kalifornien nie getroffen, bin aber dennoch gestern in den Genuß geballter Latino-Gastfreundschaft gekommen (“su amigo es mi amigo”, “mi casa es su casa”, etc.). Aber hallo! Wir haben uns mit Enid und ihrer Schwester Maite getroffen, wurden in deren Auto gepackt und – “you gotta see this!” – zum Regenwald gebracht. Ein toller Wasserfall am Straßenrand, noch einer, alle durch eine Handbewegung abgetan, “that’s nothing.” Als wir durch El Yunque zum La Mina Wasserfall gewandert waren, konnten wir zustimmen: Ein Trail durch einen sattgrünen feuchten Wald, Bäume, deren ungeliebte Stiefgeschwister man sonst nur als mickrige Büropflanze staubig verkümmernd kennt, wo alles an, über, zwischen, unter, neben, auf allem wächst,  in den unmöglichsten Positionen ragt, hängt, steht, liegt, frei schwingt, sich anklammert, an einem wild rauschenden Fluß entlang mit Stufen, Steinen, Kleinst- bis Mittelfällen, Wirbeln, der sich in einem Riesenwasserfall in einen milchig-grünen Pool ergießt (“brrrhhhh, kalt”), kurz rastet und dann weiter durch den Wald hinabstürzt. Unwahrscheinlich schön! Vor lauter lautem Wasser hört man wenig Tiere, außer einem seltsam unmelodisch pfeifenden Vogel. Das liegt daran, dass der Vogel ein Frosch ist, der Coquí. Bis vor kurzem war er noch in Puerto Rico endemisch, ist jetzt aber als Beipack zu ein paar Grünpflanzen nach Hawaii ausgewandert und pfeift auch dort.

Nun aber hurtig zurück, Mama hat für uns gekocht und wir treffen uns alle bei Abuela (der Oma), die wohnt in einem Häuschen hinterm Regenwald. Alle? Na, wenn schon mal Besuch kommt, dann kommt auch die ganze Familie zum Feiern. (Wie wir später lernen, gibt es nichts, was dem Puerto Ricaner nicht als Anlaß für eine Party gilt.) Oma, Omas Schwester, Onkel, Tante, ein paar deren Kinder, Papa, Mama – alle freuen sich wie wild, dass wir verlorenen Kinder nach dem anstrengend Hike jetzt endlich zum Essen kommen.

Da hinsetzen, auf die Terasse, wo einfach noch schnell ein paar Stühle dazu gestellt werden, Bier ist in der Cooler Box, Wasser in der anderen, “help yourself”, “bienvenido” und gut ist. Wiewohl Englisch in Puerto Rico eigentlich die zweite Landessprache ist, spricht die Familie untereinander Spanisch und der englische Wortschatz ist bemessen. Was aber gar nix ausmacht, ein paar Brocken können wir auch, und der Rest ist wie immer: Gestik, Mimik (und Enid, die übersetztend eingreift, wenn gar nichts mehr geht). Schön ist das hier, ein abgeschiedenes Häuschen, Oma wohnt oben (über eine Außentreppe zu erreichen) und unten gibt es eine Küche, ein kleines Bad und ein Reserveschlafzimmer (“when somebody is too drunk and needs to crash here”).

Mami Maggi hat aufgekocht und weil wir Ehrengäste sind, kommt ständig irgendwer mit einem Pappteller voller Leckerle und ein paar Stücken Küchenrolle (“servilleta”) aus der Küche, präsentiert das Gericht, nötigt uns das größte Stück auf und die ganze Bande hängt erwartungsvoll an unseren Lippen (“essen sie ordentlich?”, “schmeckt’s ihnen?”) und langt erst zu, wenn wir mit “Ahs” und “Ohs” und “Hmmms” bestätigt haben, dass wir die Qualität der Speisen zu würdigen wissen. Tun wir. Kurz vor ganz satt werden wir in die Küche gerufen. Da ist fein gedeckt und der Tisch biegt sich unter dem Hauptgang, Schweinekoteletts, Reis, Bohnen, Avocadosalat. Nur die Töchter des Hauses und wir essen drin am Tisch, die anderen laden sich ihre Pappteller voll und gehen wieder nach draußen, nicht ohne sich jeweils rückzuversichern, ob es denn schmecke. “Mucho gusto, mucho gracias!” Wir schieben die Teller zurück und rücken die Stühle vom Tisch, weil unsere Bäuche so voll sind, aber Mami läßt keine Gnade walten: Jetzt kommen die “postres” – sind zum Glück nur Wassermelonenstücke, das geht noch irgendwie drauf.

Mami Maggi hat am 12.12. Geburtstag, und als sie gerade nicht da ist, plant man eine Party für sie. Ich erwähne im Nebenher, dass ich auch im Dezember Geburtstag habe, wenn man’s recht betrachte, schon am “Martes” – jetzt plant die Familie eben zwei Parties. Eine für Mami, eine für mich. Als das beschlossen wurde, waren wir gerade mal seit 24 Stunden in Puerto Rico und ich hatte außer Christoph nicht einen Menschen vorher gekannt. (Und Christoph zählt (noch) nicht als Puerto Ricaner.)

Morgen fahren wir auf die andere Inselseite zum Strand und dann wird wieder gefeiert. Nach dem Tag heute, Frühstück bei tropischem Regen (kein Temperatursturz – schon das gildet als “mostly cloudy” und wird von den Locals als absolutes Mistwetter empfunden), anschließend Sonne, Sandstrand, Wellenhüpfen, Gutgehen lassen, ist das Verfallenlassen von Rückflugtickets zur erwägenswerten Option geworden.

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