Der Gründer des FBI und Vorreiter der kriminalistischen Forensik, J. Edgar Hoover diktiert seine Memoiren. In Rückblenden erzählt der Film die Geschichte vom getriebenen Sohn einer bigotten Übermutter (großartig beklemmend dargestellt von Judi Dench, die schon dem Knaben und später dem im Erwachsenenalter immer noch bei ihr lebenden Sprößling rigide Regeln in’s Hirn brennt).
Der junge Edgar wähnt sein geliebtes Vaterland am Abgrund, bedroht von subversiven Elementen (Anarchisten, Kommunisten, Neger – diese Zeit in den Zwanziger Jahren heißt in Amerika “Red Scare”). Er rekrutiert Kampfgefährten, seine einzige Bedingung: nur die Besten. Das bedeutet in seinem Weltbild wohltrainierte Anzugträger mit Hochschulabschluss, weißer Hautfarbe, stets frisch gewaschen und rasiert, frei von allen Lastern und darum reinen Geistes, die mit ihm gegen Verbrecher, Schmutz, Abschaum, kurz: Das Böse kämpfen sollen. Er wird zum manischen Daten- und Informationssammler, legt die erste zentrale Fingerabdruckkartei an, beschafft sich durch zweifelhafte Methoden pikante Details aus dem Leben von Politikern und Prominenten (seine “Secret Files” sind legendär) und feiert Erfolge. Er verhaftet Al Capone und John Dillinger, küßt Shirley Temple, bringt in akribischer Kleinarbeit den Mörder des Lindbergh-Babys zur Strecke und baut an der positiven Reputation seiner G-Men. (Sehr hübsch plakativ dargestellt in zwei historischen Filmszenen. In der ersten legt James Cagney mit schiefem Grinsen einen umjubelten Auftritt als Gangster hin, der den tumben Bullen immer um eine Nasenlänge voraus ist. Ein paar Jahre später gibt Cagney den cleveren Ermittler des Bureau, der den dummen Schurken überlegen ist.)
Leonardo di Caprio (die Maskenbildner haben sich einen Oscar verdient) spielt den in seinen fast 50 Dienstjahren zunehmend paranoiden, von Selbsthaß und -zweifeln zerrissenen, fanatisch-patriotischen “mächtigsten Mann Amerikas” (in seiner Ägide sind 8 Präsidenten und 18 Justizminister gekommen und gegangen) ungeheuer überzeugend. So sehr, dass mir der arme Kerl in seiner Selbstverleugnung manchmal direkt leid getan hat. Regisseur Clint Eastwood läßt die Frage nach Hoovers Homosexualität und seiner lebenslangen Beziehung zu seinem “Assistant Director” Clyde Tolson (Armie Hammer) bewußt in der Schwebe, nicht aber die Erpressungsversuche an den Kennedy-Brüdern oder an Martin Luther King jr., den Hoover mit der Drohung, ein illegal mitgeschnittenes Sextape zu veröffentlichen, von der Annahme des Friedensnobelpreises abzubringen versucht.
Eine hübsche Volte schlägt der Film (Spoiler Alert): Richard Nixon, der 8. Präsident unter Hoover, war einstens einer seiner Günstlinge, will den alten Mann aber jetzt loswerden. Der macht ihm die Freude, endlich und im Amt zu sterben. Noch vor der Veröffentlichung der Todesnachricht schickt Tricky Dick seine Männer aus, um sich in den Besitz der Hooverschen Geheimdossiers zu bringen (sowas kann man ja immer mal brauchen). Doch die finden nur noch leere Aktenschränke vor.
Und in einem einsamen Kämmerlein betreibt Helen Gandy (Naomi Watts), seine langjährige rechte und linke Hand, inmitten von Aktenbergen geduldig einen Reißwolf. Mit einem merkwürdig wehmütigem Lächeln. Abspann.
Anschauen.
PS: Es würde mich nicht wundern, wenn Leonardo di Caprio für seinen J. Edgar einen Oscar bekäme.
wurde ja auch zeit, dass aus dem capriziösen Leo mal ein richtiger schauspieler wird – den bösen J. Edgar richtig hinzukriegen ist vermutlich gar nicht so einfach …