

Jaha, ich habe Urlaub und bin abenteuerlustig. Also habe ich mir nach der Zahnreinigung noch einen Ausflug in den Ramschladen gegönnt, um den schwindenden Bestand an Putzlappen, Haargummis und Glückwunschkarten aufzustocken.
Neben der Erkenntnis, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt wie es war, weil nämlich a) die Dame an der Kasse nun ein Barcodelesegerät braucht, weil die Preise unterschiedlich sind (soweit zu 1€ für alles) und b) überall Blogpostmaterial herumlungert, habe ich immerhin die Schundshopchallenge für dieses Jahr erfolgreich absolviert.
Das Blogpostmaterial?
Eine Gruppe praller, mehrheitlich blonder Damen in großgeblümt und breitgestreift debattiert recht kehllautig über einem Handy, bis die tapferste Wallküre bei der Kassenkraft Erkundigungen einholt. Ob man denn in diesem gut sortierten Etablissement wohl auch Schicherheitsnecheln führe. (Nehme ich in meinen Wortschatz auf, ist schön.)
Zwei offensichtlich geschlechtsreife Teenager diskutieren die Qualität von 1,30-Euro-Schwangerschaftstests. Weil: “die guten kosten mindestens 10”. Die andere hat eine Lösung: “Nimm doch zwei. Ist immer noch billiger.”
Wäre die Zukunft dieses unseres Landes auch gesichert.
Der Film ist jetzt ziemlich genau gerade mal halb so alt wie ich. Und immer noch so richtig Hach! und frisch und sehenswert. Genau das richtige für eine kleine nostalgische Auszeit im München der ganz frühen Neunziger in eine Zeit, als die Protagonisten noch glatte runder Kindergesichter hatten. Und ihre Schauspielzukunft vor sich.
Hach hoch viel!
Mit ihrer Binti-Trilogie (s. https://flockblog.de/?p=34766) hatte Okorafor mich sehr gewonnen. Wofern, wie in diesem Fall, die Chance besteht, das zu schaffen, versuche ich mich bei manchen Autor*innen durch das Gesamtwerk zu lesen. Deswegen “Lagoon”.
Das Buch ist einige Jahre vor “Binti” entstanden und verdankt seine Existenz dem Umstand, dass Okorafor ihr Heimatland Nigeria in dem Film „District 9″ fremdenfeindliche Stereotypen ausgesetzt sah, dem etwas entgegensetzen wollte und zu einem Rundumschlag ausholte.
Das merkt man. Nigeria, spezifisch die Hauptstadt Lagos, in der Außerirdische landen, wird permanent als der Ort erwähnt, von dem wohl keiner erwartet hätte, das extraterrestrische Wesen ausgerechnet dieses Ziel auswählen. Das hätten selbst wenig aufmerksame Leser beim dritten, vielleicht vierten Mal verstanden und nicht alles paar Seiten wieder gesagt bekommen müssen. Sie versucht, viel zu viel unterzubringen: Korrupte Politik und Politiker, Straßengewalt, marginalisierte Randgruppen, Armutsprostitution, allerlei Religionen und dergleichen Aberglauben mehr, Gewalt gegen Frauen, Ausbeutung durch andere Staaten sowie den gesamten Postkolonialismus-Komplex, Mystik, Karl Marx als Heilsfigur, Menschen mit “Superkräften” – es wird irgendwann voll und laut und ziemlich anstrengend.
Wer sich in Afrofuturismus einlesen will, lese die Binti-Trilogie, das Frühwerk habe ich ja nun gelesen, damit ihr es euch sparen könnt. Gern geschehen.
Also pass auf: ein Inspektor verschwindet. Grund- und spurlos. Seiner Gattin bleiben nur noch kryptische Abschiedsanweisungen. Was tun?
Isdochganzeinfach: Madame schafft den Zwillingsbruder des Gatten ran. Dass der seit über 30 Jahren zurückgezogen von der Welt mutterseelenallein und menschenscheu im buchgefüllten ehemaligen Elternhaus lebt und seine Tage damit füllt, Kreuzwort-, Silben- und Zahlenrätsel (“Puzzles”, merken, das wird wichtig) zu erfinden und erdenken? Geschenkt. Er, so hat sich die Gattin des Verschwundenen gedacht, soll einfach die Identität des Bruders annehmen, schießlich sehen sie sich, inklusive der ergrauten Stellen in den Vollbärten immer noch ähnlich wie ein Ei dem anderen. Macht er schließlich auch, wider besseres Wissen und gegen jede Überzeugung. Denn er ist ein guter Mensch und die Frau seines Bruders, ihre ehemalige gemeinsame Kindheitsgespielin, war heranwachsend auch beider große Liebe. Der Bruder hat bloß gewonnen, wie immer.
Und so kommt es, wie es vorhersehbar kommen muss. “John” wird zu “James” und, statt nur schnell das brüderliche Notizbuch aus dessen Büro zu holen, löst er prompt mit seiner Puzzlemethodik (s. o.) seinen ersten Mordfall.
David Mitchell ist natürlich die Idealbesetzung für die Brüderrolle. Er hat nicht umsonst über die letzten vielen Jahre seine Persona vom privatschulgebildeten Kinde und studiertem Historiker, der der Popkultur und vor allem dem Sport gänzlich abhold ist, aber jederzeit aus dem Stand frei und langatmig zu Kathedralenbaustilen oder Herrscherdynastien vortragen kann, intensiv ausgebaut (“repressed posh middle-aged Britisch man”). Zudem ist er ein begnadeter Komiker.
Über bis dato sechs Folgen löst dieser Detektiv wider Willen, mit toller Mimik und lustigen Bonmots absurde Kriminalfälle, während er trotz wilder Intrigen und abstruser Verschwörungstheorien der Auflösung des Rätsels um das Verschwinden seines Zwillings zunehmend näher kommt. Ich hatte mehrfach den Eindruck, dass während der Dreharbeiten immer wieder neue schräge Eigenschaften der Mitchellschen Figur aufgenommen und eingebaut wurden – und das Drehbuch nicht zwingend angepasst wurde. Manchmal vergessen sie auch, dass der echte Mitchell beweglicher und agiler ist, als der Stubenhocker-Detektiv. Ist aber nicht schlimm.
Mit weiteren Folgen ist zu rechnen, jetzt, wo der Vorhang zu und noch viele Fragen offen sind. Man muss diesen “very British”-Stil mögen, und wenn das so ist, ist man hier gut aufgehoben. Aktuell nur auf BBC-Player.
Vorhin schnell noch einen vorgeschnittenen Käse gekauft, für zum Toast überbacken. Nun, wo ich mir die Packung mal genauer ansehe, festgestellt, dass ich nebenher die Welt gerettet habe. In einem herzförmigen Rahmen und in einem Font in einer Schreibschrift teilt mir das Milchprodukt mit, es habe eine “Grüne Seele”. Außerdem in einem Nebenblock, fettgedruckt: “Natürliche Zutaten”, “Sehr gut recyclebare Verpackung” sowie weiß auf grünem Grund “Auslauf im Freien” (wenn das mal keine Meisterleistung in Subtilität ist). Ein goldenes DLG-Siegel gibt dem Tierwohl vier Sterne, darüber hinaus informiert die Packung, dass es sich um “Haltungsform 4” handle, die “Premium” Haltungsform unter den Haltungsformen, nachzulesen auf haltungsform.de.
Und das ist nur die Vorderseite.
So hat man ihn sich also vorzustellen, den Abgesang des alten weißen Mannes. Hübsch.
Netflix hat die griechische Mythologie entdeckt. Wir gehen auf den Olymp und treffen Göttervater Zeus, in Designer-Leisure Suits. Genau: Leisure Suit wie in “Leisure Suit Larry” – den hatte ich eigentlich schon vergessen, aber eine schon etwas ältere Synapse hat sich angesichts der mit Jeff Goldblum ideal besetzten Rolle assoziativ zurückgemeldet. Außerdem die Göttermutter und Göttervatergattin Hera (Janet McTeer, die so dermaßen an Emma Thompson erinnert, dass man sich manchmal fragt, ob die Produktion vielleicht lieber sie besetzt hätte) und Göttervaterbruder sowie Göttermuttergschpusi Poseidon (Cliff Curtis), einen Wiedergänger von Ari Onassis, mit Jacht, viel zu weit aufgeknöpften Hemden und Personal im Marinedesign. Dazu ausgesprochen viel ausgesprochen gut aussehendes Jungvolk, göttlich, halbgöttlich, sterblich, egal.
Die Produktion ist höllisch woke, es wird keine Variante menschlicher und/oder göttlicher Sexualität ausgelassen, das Alter spielt ü-ber-haupt keine Rolle und falls eine Hautfarbe unberücksichtigt geblieben sein sollte, war das sicher keine Absicht. Weil sie aber ohne Lehrauftrag und Zeigefinger und Toleranzappelle auskommt und einfach nur spielen will, ist sie überraschend gut.
Dass sich in der achten und letzten Folge alles ballt, weil man auf eine Fortsetzung spektuliert? Geschenkt. Das ist am alten Netflixniveau gemessen gute Unterhaltung und mehr will es auch nicht sein.
Anschauen!