In den letzten Jahren konnte man hĂ€ufiger mal Leuten beim Sprechen beim Denken zusehen, nĂ€mlich immer dann, wenn sie sich ein Zeitfensterchen genehmigten und das FĂŒllwort “genau” in ihren Satz (gerne in jeden) einbauten. “Also, da war ich beim BĂ€cker … genau … und dann ging die TĂŒr auf … genau … und dann kam da so ne Frau rein … genau … und die hat dann auch Semmeln gekauft. Wie ich. … Genau.”
Neulich hat mir eine Gen-Z-lerin meine Morgenbreze verkauft. Und ich sage beim Rausgehen “Auf Wiedersehen, einen schönen Tag noch” und dieses Geschöpf antwortet: “Genau”.
Herron ist ein extrem phantasievoller Sprachartist, dessen BĂŒcher um die ausrangierten Spione im “Slough House” mit zunehmendem Umfang der Reihe zunehmend besser werden. Die Figuren entwickeln sich weiter, man kennt sie, man leidet (viel) und freut sich (wenig) mit ihnen und manchmal lĂ€Ăt er sie sterben. (Ich vermute, wenn ihm nichts mehr zu ihnen einfĂ€llt. Oder einfach nur, weil sie SympathietrĂ€ger geworden sind. Möglicherweise, um seine Leser*innen zu Ă€gern…)
Neben Agenten (einfach, doppelt, dreifach), Söldnern, Royalty, Suchten, LĂŒsten und Intrigen spielt in “Joe Country” ein Wintereinbruch die Hauptrolle, in der Stadt (das ist in Herrons Universum immer London) und im tiefsten Hinter-Wales und wer am Ende des Buches nicht vollkommen durchgefroren ist, der hat kein Vorstellungsvermögen. Ich hatte zwei Jacken ĂŒber dem Pulli an. AuĂerdem Wollsocken.
Haben Sie gar nichts zu meckern, Frau flockblog? Oh doch! Hah! Bei einem meiner Lieblinge hat es sich Herron zu leicht gemacht und mich als Mehrfachleserin nicht aufs Glatteis (sic!) fĂŒhren können. Das andere Mal war das Lektorat sehr sloppy: Whisky und Wein verwechseln, das geht gar nicht.
Das sollte aber niemanden vom lesen! lesen! lesen! und sich gut unterhalten lassen abhalten.
Weil mir Frau Dörrie dieser Tage stĂ€ndig irgendwo begegnet ist, wollte ich mir doch mal wieder eines ihrer Werke angucken und bin an meinen damals von einem sehr lieben Freund geschenkten DVDs hĂ€ngen geblieben. Der Rest steht in meiner alten Kritik hier: https://flockblog.de/?p=7450. Aber ich hĂ€tte auch damals schon erwĂ€hnen können, dass es wunderbare Cameos von Vroni von Quast und Sarah Camp gibt und dass ich Maren Kroymann noch nie so wunderbar rothaarig und böse und Andrea Sawatzki noch nie so herrlich enthemmt gesehen habe und dass alle, die dieses Juwel noch nicht gesehen habe, das jetzt aber mal gefĂ€lligst sehr bald nachholen sollen. Das Wetter ist doch schon schlecht genug dafĂŒr…
Ist das jetzt tatsĂ€chlich schon wieder fast zwei Wochen her, dass wir den 92. Geburtstag meines Onkels mit “Pizza und Rotwein fĂŒr alle” im Kreise seiner Lieben feierten? Des Onkels, wohlgemerkt, der in den letzten beiden Jahren seine Frau, seinen kleinen Bruder, seine kleine Schwester (meine Mutter), seinen Schwager (meinen Vater) und den einen oder anderen Freund und Freundin, nicht aber seinen unbĂ€ndigen Lebenshunger verloren hat?
Man kommt ja zu nix.
Dann sind es auch schon wieder fast zwei Wochen, dass ich mit meiner Kusine hemmungslos mitsang, dass man uns doch bitte nicht verletzen solle und wir auĂerdem völ-lig los-ge-he-löst von der E-her-de Major Tom ins All schmetterten… weil nĂ€mlich im Eingangsbereich der Postmoderne-Ausstellung auf einer Leinwand in Dauerschleife nicht nur Boy George und Tom Schilling, sondern auch Roxy Music, The Clash und andere den Sound unserer Jugend wiederbelebten – bis wir, durch eben diese Leinwand gehend, in den groĂen Ausstellungssaal traten. Open Floor und alles von allem.
Architektur, Mode, Musik, Möbel, Körper- und andere Kunst, Design, Elektronik, Malerei, Kino, bunt und viel und wir waren da mal mitten drin. Das war unser Leben. Sex Pistols und Issey Miyake, Jane Fonda und Grace Jones, Arnold (damals noch Bodybuilder) Schwarzenegger und Vivienne Westwood, Frank Gehry und Paco Rabanne, Thomas Pynchon und David Lynch, American Psycho, Schulterpolster, Mondlandung, Alessi, dicke Haare, Vietnamkrieg. Alles von allem. Keine Trennung zwischen E und U. In einem der mehreren NebenrĂ€ume lĂ€uft ununterbrochen “Koyaanisqatsi”, in einem anderen glitzert eine Discokugel unter bunten Strahlern Highlights auf Fotos von Andy Warhol, Keith Haring, Grace Jones und ihrer Entourage, auĂerdem viele lines of coke wĂ€hrend sie im Studio 54 Hof halten.
Die Ausstellung versucht, das PhĂ€nomen Postmoderne einzuordnen, den Besuchenden quasi einen roten Faden zu geben. Bei mir hat das funktioniert, ganz ohne Orientierung hĂ€tte ich mich in dem bunten anarchischen Durcheinander sonst irgendwann verloren. So hatte ich groĂe Freude, viel wieder erkannt und viel neues gelernt. Hach!
Falls wer zufĂ€llig in der Gegend ist, die Ausstellung lĂ€uft noch bis Ende Januar. Falls nicht, nachfolgend ein Rundgang…
Und falls das auch zu lang ist, hier mein LieblingsbĂŒcherregal meines funkelfrisch entdeckten neuen Lieblingsdesigners Ettore Sottsass.
… und ich habe ja keinen billigen Geschmack, will mir scheinen – das gute StĂŒck ist fĂŒr runde 15.000,00 Euro im Handel erhĂ€ltlich. Gebraucht.
Obzwar ich pĂŒnktlich bin, muss ich erst einmal warten. Denn vor mir ist der Herr Franz und der hat bei “seiner” (also eigentlich unserer) Frau Evelyn nicht nur eine PedikĂŒre gebucht, sondern auch einen Flirt. Und weil der Herr Franz ein echter Herr alter Schule ist (“in dem Sommer sechsaneinzige”), folgt die Konversation ordentlichen Regeln. Wetter (“greislig”), “dĂ€ Polidick” (“aa greislig, des lossma glei wieda bleim”), Urlaub (“heia nur beim Wandern in Bayern, ma mog ja gar nimma fliagn”), gefolgt von der Frage, was es denn wohl bei der “scheena Frau Evelyn heit Ohhmd zum Essen” gibt. Wo sie bisher ein bisschen mitgeturtelt hat, steigt sie nun aus. Frau Evelyn kocht nicht. “Gor ned?” Gor ned. Viel zu aufwendig.
Der Herr Franz ist ja kein Dummer, hat inzwischen auch StrĂŒmpfe und Schuhe wieder angezogen bekommen und erkennt seine Chance. “Wissen’S wos? Den nĂ€chsten Termin mochma um die Mittagszeit und i bring uns was Schees zum Schnabulieren mit.”
Bin gespannt, wie die Frau Evelyn aus der Nummer wieder rauskommt. Aber jetzt sind erst mal meine FĂŒĂe dran und dann haben wir beide Wochenende. Ohne den Herrn Franz. Vorerst.
Die oben zitierte Bildunterschrift verwendet die SĂŒddeutsche heute auf ihrer Titelseite, um in der Sparte “Psychologie” die Frage “Boomer oder Millennial?” zu diskutieren.
Es mag an mir und meinem Boomertum liegen – ich muĂte bei “der Latte in der Hand” erst mal grinsen und habe es bis dato noch nicht geschafft, geschlossene Augen und Achtsamkeit in Verbindung zu bringen. Als ich noch das orangene ABC-SchĂŒtzen-KĂ€ppchen trug, hieĂ es mehr so “Augen auf! Und Uffbasse!”
Sir Kenneth verfilmt nach dem Orient-Express und Tod auf dem Nil nun schon den dritten Agatha-Christie-Stoff und dieses Mal entfernt er sich so weit von der Originalvorlage, dass man endlich seine eigene Handschrift deutlich erkennen kann.
Achtung! Im Folgenden Spoiler. Wer sich ĂŒberraschen lassen will, lese besser nicht weiter.
Das Spiel beginnt im spĂ€therbstlichen Venedig, kurz nach dem 2. Weltkrieg; die Kamerafahrt ĂŒber die Lagunenstadt wird unterlegt mit dem hoffnungsfrohen Lied “When the Lights go on again”:
Damit ist die Stimmung gesetzt fĂŒr den Auftritt des nach zwei verheerenden Kriegen desillusionierten Hercule Poirot, der nur noch aufs Wasser schauen und Kekse essen will und ansonsten von der Welt in Ruhe gelassen werden. Auftritt Tina Fey, “The Authoress”, an deren Feldbettchen seinerzeit sĂ€mtliche US-amerikanischen WW2-Kriegsberichterstatterinnen Patin gestanden haben mĂŒssen. Sie braucht nach einer ehemals erfolgreichen Karriere als Kriminalschriftstellerin (Na? … Na?) und nunmehr drei Flops in Folge wieder einen richtigen Kassenschlager und Poirot soll helfen.
Auftritt “The Haunted House”, ein dem Verfall preisgegebener Palazzo zum Fingerabschlecken, in dem die verarmte blonde Besitzerin und ehemalige Operndiva Rowena Drake (Kelly Reilly), ihre Hausdame und ehemalige Nanny der Tochter Mrs. Seminoff (Camille Cottin), ihr Leibarzt, der von seinen Erlebnissen im Krieg zerstörte Dr. Ferrier (Jamie Dornan) und dessen junger Sohn Leopold (Jude Hill, inzwischen seit Belfast (s. https://flockblog.de/?p=46580) definitiv zu “Branaghs Boy” geworden) leben.
Keine Poirot-Geschichte ohne, dass alle Beteiligten am geheimnisumwitterten Tod der Tochter des Hauses sich versammeln, und kaum sind die Kinder heil in Waisenhaus zurĂŒck verbracht worden, tobt ein Regensturm, der – natĂŒrlich, wir sind in Venedig – gleich Aqua Alta bringt, die Stelzen, auf denen das Haus in den schwammigen Boden gerammt ist, unterspĂŒlt und alle mehr oder minder VerdĂ€chtigen in einem gruseligen Kammerspiel einsperrt.
Sir Kenneth’ Poirot ist ein Getriebener, dem bei aller nach auĂen getragenen Arroganz Selbstzweifel zur zweiten Natur geworden sind. Dieses Mal glaube ich ihm das auch. Der Cast ist gut, Schauspiel und Spiel spannend (Buch: Michael Green, basierend auf Agatha Christies “Hallowe’en Party”), die Auflösung nicht so ganz ĂŒberraschend – das mag aber daran liegen, dass gute “whodunits” Leser/Zuschauer an die Hand nehmen und ihnen die Chance geben, mitzu”ermitteln”. Das Ende ist mir ein kleines biĂchen zu zuckrig geraten, aber andererseits “…the Lights go on again”. Passt schon.
Wenn einem nach altmodischen Krimi ist, dann kann man “A Haunting in Venice” gut ansehen und ist sehr gut unterhalten.
AuĂerdem: selten so eine Auswahl wunderschöner HĂŒte gesehen. Die hĂ€tte ich bitte alle gerne, bevor sie in einem langweiligen Fundus verstauben. Ja, auch den vom Buben.