Neu und schon zum Strömen: “A Haunting in Venice” (Christie’s Poirot by Kenneth Branagh)

Sir Kenneth verfilmt nach dem Orient-Express und Tod auf dem Nil nun schon den dritten Agatha-Christie-Stoff und dieses Mal entfernt er sich so weit von der Originalvorlage, dass man endlich seine eigene Handschrift deutlich erkennen kann.

Achtung! Im Folgenden Spoiler. Wer sich überraschen lassen will, lese besser nicht weiter.

Das Spiel beginnt im spätherbstlichen Venedig, kurz nach dem 2. Weltkrieg; die Kamerafahrt über die Lagunenstadt wird unterlegt mit dem hoffnungsfrohen Lied “When the Lights go on again”:

Damit ist die Stimmung gesetzt für den Auftritt des nach zwei verheerenden Kriegen desillusionierten Hercule Poirot, der nur noch aufs Wasser schauen und Kekse essen will und ansonsten von der Welt in Ruhe gelassen werden. Auftritt Tina Fey, “The Authoress”, an deren Feldbettchen seinerzeit sämtliche US-amerikanischen WW2-Kriegsberichterstatterinnen Patin gestanden haben müssen. Sie braucht nach einer ehemals erfolgreichen Karriere als Kriminalschriftstellerin (Na? … Na?) und nunmehr drei Flops in Folge wieder einen richtigen Kassenschlager und Poirot soll helfen.

Auftritt “The Haunted House”, ein dem Verfall preisgegebener Palazzo zum Fingerabschlecken, in dem die verarmte blonde Besitzerin und ehemalige Operndiva Rowena Drake (Kelly Reilly), ihre Hausdame und ehemalige Nanny der Tochter Mrs. Seminoff (Camille Cottin), ihr Leibarzt, der von seinen Erlebnissen im Krieg zerstörte Dr. Ferrier (Jamie Dornan) und dessen junger Sohn Leopold (Jude Hill, inzwischen seit Belfast (s. https://flockblog.de/?p=46580) definitiv zu “Branaghs Boy” geworden) leben.

Es ist “All Hallow’s Eve”. Rowena Drake richtet ein Kinderfest für die Waisen der Stadt aus. Kostüme, Schattenpuppenspiel, Gruselgeschichten, Apfeltauchen und dergleichen – alles ein Vorspiel für die Séance, die an diesem Abend noch stattfinden soll.

Keine Poirot-Geschichte ohne, dass alle Beteiligten am geheimnisumwitterten Tod der Tochter des Hauses sich versammeln, und kaum sind die Kinder heil in Waisenhaus zurück verbracht worden, tobt ein Regensturm, der – natürlich, wir sind in Venedig – gleich Aqua Alta bringt, die Stelzen, auf denen das Haus in den schwammigen Boden gerammt ist, unterspült und alle mehr oder minder Verdächtigen in einem gruseligen Kammerspiel einsperrt.

Sir Kenneth’ Poirot ist ein Getriebener, dem bei aller nach außen getragenen Arroganz Selbstzweifel zur zweiten Natur geworden sind. Dieses Mal glaube ich ihm das auch. Der Cast ist gut, Schauspiel und Spiel spannend (Buch: Michael Green, basierend auf Agatha Christies “Hallowe’en Party”), die Auflösung nicht so ganz überraschend – das mag aber daran liegen, dass gute “whodunits” Leser/Zuschauer an die Hand nehmen und ihnen die Chance geben, mitzu”ermitteln”. Das Ende ist mir ein kleines bißchen zu zuckrig geraten, aber andererseits “…the Lights go on again”. Passt schon.

Wenn einem nach altmodischen Krimi ist, dann kann man “A Haunting in Venice” gut ansehen und ist sehr gut unterhalten.

Außerdem: selten so eine Auswahl wunderschöner Hüte gesehen. Die hätte ich bitte alle gerne, bevor sie in einem langweiligen Fundus verstauben. Ja, auch den vom Buben.

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