Selbstanzeige: Rauhnachtsputzverbotsverstoß

Geplant waren neues Knie und Vollpension, aber weil das nicht hat sollen sein, besteht die Realität aus gelegentlichen Lebensmitteleinkäufen und guten selbstgemachten Mahlzeiten; nemma problema, mach ich ja eigentlich ganz gern. Außerdem viel lesen. Was davon Dreck macht, ist mir nicht ganz klar, trotzdem sieht es hier aus wie bei den schlampigen Schwippkusinen der Familie Hempel unterm Diwan. Den Zustand kann ich eine Zeit lang ganz gut ignorieren, aber heute früh gings nicht mehr und drum habe ich geputzt und gewischt und gesaugt – wobei letzteres derzeit zu einer schlechten Slapsticknummer verkommt, weil das Saugrohr nicht mehr einrastet, sondern sich bei jeder Bewegung leicht verkürzt, bis ich schwer gebeugten Rückens und sehr bodennah reinige. Das wieder mag das Knie gar nicht, ignoriert vollkommen die vorsorglich eingenommenen Schmerzmittel und mosert noch lauter als sonst.

Ruhe jetzt, du Knie du! Fürs erste funkelt und blitzt die Casa Flock wieder, aber vor dem nächsten Mal sollte ich unbedingt klären, ob es Duct Tape auf auch auf Rezept gibt und wenn nicht, ob ichs eingepackt habe und wenn ja, wohin verräumt? Darüber hinaus gelobe ich, die Bewerbungen zukünftiger Putzfeen sehr wohlwollend zu prüfen.

Nimmer im Kino: Captain Fantastic

Für die, die “Captain Fantastic” auch verpaßt haben, hier der Trailer http://imdb.to/2hwl8iU (beide anschauen) sowie eine kurze Inhaltsangabe: ein Vater (ganz, ganz herrlich: Viggo Mortensen) zieht, seit seine Frau wegen Depressionen im Krankenhaus ist, sein halbes Dutzend Kinder in einer “Cabin in the Woods” irgendwo im pazifischen Nordwesten der USA nunmehr alleine in ihrer beider Sinne groß; der Home-Schooling-Lehrplan umfaßt Survival-Training in seiner rauhesten Form sowie Weltliteratur, Wissenschaften und sozialistische Dialektik. Dann bricht das wirkliche Leben über sie herein und sie sehen sich mit der Welt der Anderen (“under-educated and over-medicated”) konfrontiert.

Die Trailer verraten eh schon viel – und es ist wie immer, wenn Außenseiter auf eine fremde Welt treffen: sie passen nicht und wem die fremde Welt die normale ist, beginnt sie zu hinterfragen. Auch Vater Viggo zerreißt es zunehmend: geht das Konzept seiner Elite-Athlet-Kinderphilosophen auf oder nimmt er den Kindern etwas? Möglicherweise sogar etwas Wichtiges? Was wiegt schwerer? Dazuzupassen oder kritisch zu denken und nie dabei zu sein? Wann ist welche Grenze erreicht? Bei einem blauen Fleck? Einer gebrochenen Hand? Einem Bowie-Messer in der Hand einer Siebenjährigen, damit sie ein mit Pfeil und Bogen erlegtes Wild ausweiden kann? Oder will man Weißbrotkinder, für die Mommy einkauft und kocht und das, was sie für das Böse* hält, von ihnen fernhält (die aber genauso schnell und präzise schießen – halt auf einen Monitor)? Ist eine Balance zwischen den Welten möglich? Mortensen spielt diesen wachsenden Konflikt herzzerreißend glaubwürdig. Die Kinder und die Bewohner der “zivilisierten” Welt stehen ihm in nichts nach. (Gibt es jetzt endlich einen Oscar auch fürs Casting? Oder muß ich den jedes Mal aufs Neue einfordern?)

Um meine Aussage von oben zu korrigieren: es ist eben doch nicht wie immer, weil es halt mal nicht um einen Alien geht, der nach Hause telefonieren will oder einen Reisenden, der in die falsche Zeit gefallen ist, sondern um die elementare Frage, wie und vor allem ob man die Nachgeborenen richtig auf ihr Leben vorbereiten kann. Und was dieses “richtig” eigentlich ist.

Ich verrate jetzt nichts mehr. Anschauen! Anschauen! Anschauen! Anschauen!

PS: Falls ein gewisser Kinoclub aus dem Erdinger Land den Captain noch nicht längst auf seiner Liste hat, dann aber Hop Hop. –  Power to the People, Stick it to the Man!

* Was ist richtig: Zu Kindern “ehrlich” zu sein und ihnen mitzuteilen, dass die Mutter Selbstmord begangen hat, indem sie sich die Pulsadern aufschnitt oder sie mit der Aussage zu “schützen”, dass manche Menschen so schwer krank sind, dass Ärzte ihnen nicht mehr helfen können und sie dann leider sterben müssen.

Gelesen: “The Nix” von Nathan Hill

Nathan Hill weiß, dass er schreiben kann. Sehr gut sogar. Doch wo man sich anfangs noch für seine Stilwechsel, geschickt hergestellten Bezüge und klugen Sentenzen begeistert, wird es irgendwann ermüdend; so, wie es fad ist, einem Narzisten dabei zuzusehen, wie er sich im Spiegel bewundert.

Worum geht es? Ein zum Lehrer gescheiterter trauriger weißer Autormann erfährt aus dem Infotainment-TV, dass seine Mutter, die ihn und seinen Vater kurz vor seinem 11. Geburtstag verlassen hatte, ein Attentat auf den hardcore-konservativ-republikanischen Präsidentschaftskandidaten verübt. Mit Steinen. Wunderschön, wie Hill den medialen Hype einfängt: mit griffigen Mottos (“Terror in Chicago” / “The Packer Attacker”), laufenden Schlagzeilen oben und unten am Bildschirmrand, seriösen Anchormen und hektischen Live-Noch-keine-Informationen-vorhanden-Reportagen vor Ort und, je tiefer die Recherchendreckschaufel gräbt, die Vorverurteilung der Attentäterin, die nichts anderes getan hat, als ein paar Kieselsteinchen von einem Weg zu klauben und in Richtung Promi zu werfen, als “Radical Hippie Prostitute Teacher blinds Governor Packer in Vicious Attack”. Das ist die Frau, die Sam als seine Iowa-Kleinstadtmutter mit Eigenheim und Sandkastenliebe verheiratet kennt.

Auf den restlichen 600 Seiten begleiten wir ihn auf der Reise in die Vergangenheit. Die seiner Mutter, die – natürlich – nicht immer ein Heimchen am Herd war, sondern auch einmal Kind eines von Vergangenheitstraumata geplagten Vaters und Teenager im bigotten ländlichen Fly-Over-State und junge hoffnungsfrohe Studentin mit Stipendium, auf einmal im Zentrum der Proteste und wie sie dann doch zum Heimchen wurde und dieser Existenz wieder entkam. Seine eigene als Heulsusen- (5 Stufen Weinen, exakt definiert) und später mutterloses Kind, hoffnungsvoller Jungautor und frustrierter Lehrer und die aller anderen, mit denen sie je in Berührung kamen. Familie, Freunde, Kommilitonen, Arbeitskollegen… es wird ein bißchen unübersichtlich und die Figuren dümpeln, nachdem ihre psychologische Bedeutung für Mutter und/oder Sohn enthüllt ist, für den Rest des Buches herum.

Nebenher lernen wir amerikanische Geschichte und Soziologie. Vom Einwandererschicksal (der Mutter Vater) über die Kluft zwischen ruralem und urbanen Amerika, vom Attentat auf Martin Luther King, den Stundentenprotesten der 68er bis hin zu Occupy Wallstreet – und weil Hill Zeitgeschichte klug mit seinen Protagonisten verknüpft und wie gesagt schreiben kann, machen diese Passagen wirklich Freude. Zwischenzeitlich hebt er ein bißchen ab und schaut in die Köpfe von Allen Ginsberg und Walter Croncite und schreibt auf, was er da sieht – da wäre weniger viel viel mehr gewesen. Hill hat außerdem viel Recherche in den Bereichen Angstneurosen und Verhaltens- und Hirnforschung sowie MMOs betrieben und schreibt und schreibt und schreibt darüber. Ein guter Lektor hätte diese Ausführungen – möglicherweise mit Bedauern – gestrichen und diese Kürzungen hätten dem Buch so gut getan.

Und dann noch die Zufälle. Gegen Ende hin, wo Hill die Unzahl von Handlungssträngen wieder verknüpfen will, werden es doch arg viele. Ein Zufall, zwei, drei – gerne, soviel dichterische Freiheit muß sein. Aber irgendwann mutet die Häufung dann doch eher an wie dichterische Hilflosigkeit. Das ist schade, denn nochmal: Hill kann gut, sehr gut schreiben, aber es ist mir noch nicht oft passiert, dass ich auf Seite 500 genug hatte und nachsehe, wieviel ich noch muß. Meine Innere Lektorin kämpft gerade mit sich, ob wir den Rotstift rausholen und das Buch auf die Länge kürzen sollen, die es so großartig macht, wie es hätte werden können. Oder einfach was anderes vom Krankenhausstapel nehmen und jedem weiteren Leser die Entscheidung selbst überlassen?

Ja. Letzeres.

Auslüften

Nach fast 72 Stunden Lesen und Filmschauen in meinem Krähennest hatte ich doch das Bedürfnis nach Bewegung und mehr Frischluft als im Liegestuhl auf dem Sonnenbalkon verfügbar und entsteige dem Lift in warmen Schuhen und Mantel, als ich auf eine Gassigehnachbarin mit angeschlossenem Hund treffe, die mein Anliegen mit “Windig isses und Weihnachten vorbei, lohnt gar nicht” kommentiert.

Nach einer Runde um den Block bin ich geneigt, ihr zuzustimmen. Windig isses und die Sonne schon wieder weg und außerdem stehen zwischen mir und der Auflösung von “The Nix” noch gute 100 Seiten. Lohnt bestimmt mehr.

Neu im Fernsehen: Der Tatortreiniger, Staffel 6

Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, welche der nur drei neuen Folgen ich am liebsten mag: die, in der Schotty es dem widerlichen Oberconsultant so richtig perfide heimzahlt oder die mit dem sinnkriselnden Clown oder vielleicht doch die mit der hochschwangeren Nordblondine, die ihren Sohn unbedingt Özgür nennen will, weil das “Freiheit” bedeutet? Muß ich auch nicht, sie sind nämlich alle drei gut gelungen.

Nach nochmal Überdenken: vielleicht doch mit einem ganz knappen Vorsprung die Geburtshilfefolge, weil Bjarne Mädel da einen wundervollen weißkurzbehosten Auftritt als blonder Rettungsheld hat – bis dato ungeschlagen.

Anschauen! Anschauen! Anschauen! (Noch bis ca. Mitte Januar in der NDR Mediathek.)

Und du, Spon,

du bist um kein Stück besser als dein Jungvolkableger:

charakter

“character” ist das englische Wort für eine Rolle, die ein Schauspieler spielt; im Deutschen würde man das zum Beispiel als “Figur” bezeichnen. Geht einem halt mal durch, wenn man seine Artikel durch Google Translate laufen läßt und beim Redigieren von einer jungen bento-Autorin in ein Gespräch über Julie Zeh verwickelt wird.

Verbotten!

Es gab zu Zeiten einmal ein im Kunstmann-Verlag erschienenes Buch mit dem Titel “Längst fällig. 37 notwendige Verbote”. Nachdem ich mir das jetzt eine Weile angesehen habe, ist es mir ein großes Anliegen, Verbot Nr. 38 hinzuzufügen: Weg mit bento!

bento ist ein Web-Angebot der Spiegelgruppe und richtet sich (Selbstbild in Kursivschrift) an Leser zwischen Schulabschluss, Jobeinstieg und erstem Berufswechsel. Jung, urban und gebildet! Menschen, die zwischen 18 und 30 Jahre alt sind und deren Zuhause das Internet ist sind die Zielgruppe von bento.de. Politik in Form von dpa-Meldungen interessieren sie nicht, politische Zusammenhänge hingegen schon. Thematisch bildet die Redaktion ein buntes Spektrum ab: Politische News und Neuigkeiten aus dem Web sowie exklusive und überraschende Stories ihre Leser. Für die Stories schickt bento eigene Reporter los. Die Redaktion organisiert sich über Ressorts in Form von Hashtags, zum Beispiel: #Fühlen, #Gerechtigkeit, #Queer, #Tech, #Grün, #Musik und #Style.**
(Unterstreichungen zum Zwecke des Hervorhebens von mir.)

Bei einem weniger jungen, aber doch auch urbanen und gebildeten Menschen wie mir drängt sich allerdings als erstes der Eindruck auf, dass es sich bei der bento-Redaktion um Grammatik- und Satzzeichenhasser handelt. Die redaktionellen (?) Inhalte sind eh unter aller Kanone (Das kennst du nur, wenn du zwischen Weihnachten und Silvester Geburtstag hast: Erst kommt Jesus, dann kommst du; Bist du bereit für eine Beziehung – oder solltest du dir lieber einen Hund zulegen?; Wie gut kennst du dich mit “Michel aus Lönneberga” wirklich aus?), unter dem Hashtag “Politik” finden sich Artikel wie Roboter gefährden unsere Demokratie. So sollten wir uns wehren – To bot or not to bot; Pali-Tücher sind aus gefährlichem Stoff. Das Pali-Tuch ist mehr als ein Schal mit lässigem Print: Man wirft sich damit ein politisches Statement an den Hals**) und das Föjetong ist geradezu unterirdisch. Literaturempfehlungen, nein, das ist schon zu hoch. Nochmal neu: irgendwas über Bücher erscheint bei bento im Stile von Motto-Parties: 12 Bücher, die du nur besitzen solltest, um damit anzugeben***; Zum Immerwiederlesen: Diese Liebesgeschichten haben uns berührt; Diese sieben Bücher solltest du lieber lesen als “Mein Kampf”; Diese Bücher solltest du in deinen Zwanzigern gelesen haben, denn: Wenn du mit 15 ein Arschloch bist, bist du 15. Wenn du mit 30 ein Arschloch bist, bist du ein Arschloch und der Zielgruppe gemäß ist für das Lesen in der kalten Jahreszeit (weil, im Sommer geht Lesen gar nicht!) immer was von Julie Zeh dabei.

Ach, eins noch. Wenn die Redaktion keinen Bock hat (oft, sehr oft) befragt sie Leser: Welcher ist der beste Weihnachtsfilm der Welt, Leute? Unter dem Hashtag #Streaming darf dann irgendwer irgendwas sagen und dann kommen noch das Plakat und ein Satz der Artikelschreiberin hinzu und wieder ist ein Beitrag fertig. Den Filmtitel richtig vom Plakat abzuschreiben muß dann doch wirklich nicht auch noch sein.

Aaarrggghhh!

sissi

* Es fehlt, u. a., der Hashtag “Denken”. Sehr.

** Ich möchte nicht ungerecht sein: dieser Beitrag erschien sowohl unter den Hashtags #Politk wie #Style

*** http://www.bento.de/art/literatur-buecher-die-du-nur-besitzen-solltest-um-damit-anzugeben-879467/

Neu im Kino: Trolls

“Trolls” ist ein Horrortrip. Also das, was herauskommt, wenn Timothy Learys nachgekommene Jünger mit Walt Disneys Heile Welt Apolegeten zum Filmmachen in ein Animationsstudio gesperrt werden und Justin Timberlake dazu singt.

Nicht anschauen! Nicht anschauen! Nicht anschauen!

(Es sei denn, man möchte ein Kind für dessen Verhalten an Weihnachten zurückquälen und ist im Besitz guter Augen- und Ohrenschützer. Dann gehts.)