Noch fünf Mal schlafen

Koffer aus dem Keller holen, dieses oder jenes nicht mehr anziehen (denn es soll ja mit), Faltstock und Ersatzbrille auf die wachsenden Mitzunehmenstapel* türmen, Lieblingshoodie waschen, Bett frisch beziehen, aufräumen, nochmal durchsaugen (denn frau hats ja bei der Heimkunft gerne nett), noch was vergessen?

Klingt eigentlich wie jede Reisevorbereitung, außer dass ich jetzt schon weiß, welches Mitbringsel mit nach Hause kommt. Hüfti wollte nicht länger das einzige Kunstgelenk in meinem Körper sein und hat sich ein neues Knie gewünscht. Gestern in einer Woche ist die OP und wenn mein Weihnachtsgeschenksknie und ich gut miteinander klarkommen, dann werden wir Silvester an den Chiemsee verbracht, zum Rehabilitieren.

Auf ein humpelfreies Jahr 2017ff!

* Einer davon ist nur Lektüre und ich fürchte jetzt schon, dass es nicht reichen wird.

Neu im Volkstheater: Der Stückl-Sturm

“Ficken!” “Fotze!” “Scheiße!” – Was ist da los? Vierjährige im Verbotenewörterrausch? Ein Tourettier beim Lebensmitteleinkauf? Ach woher denn. Das ist nur der Stückl, wenn er den Shakespeare ins Stückl-Deutsche übersetzt und dabei ist er ja gar nicht so, ein bißchen darf vom alten Meister bleiben, sowas wie Prosperos “Stoff aus dem die Träume sind*” und dass “die ganze Welt eine Bühne” sei und Mirandas entzückte Entdeckung der “brave new world”.

Überhaupt, Miranda. Die einzige Frauenrolle im Sturm, im Wallegewand mit vui Holz vor der Hüttn. Sie gewinnt bei Stückl, vor allem deshalb, weil sie, kaum vom Vater dem Manne anheimgegeben**, auf einmal Texte aus “Der Widerspenstigen Zähmung” aufsagt. Das tut ihr und dem Stück gut.

sturm-mehmet-sozerBei den Männern hat sich die Kostümbildnerei fürs elisabethanische Beinkleid mit fett mit Socken vollgestopften Hosenlätzen, Hemd, Weste, Knappjäcksche sowie Hut entschieden, was Mehmet Sözer (auf dem linken Bild rechts außen) aussehen läßt wie wahlweise Marilyn Manson oder von Tim Burton erfunden – außer Prospero (Pascal Fligg, gut wie immer), der eine Art Mahatma-Toga trägt. sturm-pascal-fligg

Caliban (Timocin Ziegler), der Arme, leidet wie in jeder Inszenierung daran, dass sein Verhältnis zu den Mächtigen masochistische Züge trägt und muß zur Strafe Milla Jovovichs Wickeldress aus “The Fifth Element” auftragen und den ganz ganz armen Ariel (Enno Haas, eine Entdeckung) haben sie in einen Ganzkörpernylonstrumpf mit fleischfarbener Miederhose drunter gesteckt. Hab ich nicht verstanden. Muß ich vielleicht auch nicht.

Der Sturm tobt eindreiviertel sehr kurzweilige und unterhaltsame Stunden, dann ist die Bühne und die halbe Mannschaft eingesaut, die Intrigen aufgelöst, die Geister freigelassen (Caliban erst, wenn er die Bühne geputzt haben wird); nur das junge Paar hat sich nicht gekriegt. Und das ist gut so – zwischen Miranda (Carolin Hartmann) und Ferdinand (Jonathan Müller) britzelt nicht das leiseste Fünkchen. Die haben beide wen anderen verdient. Tinder soll in solchen Fällen hilfreich sein.

Hingehen, anschauen, unterhalten lassen. Es macht Spaß, wenn das große Sturm-Pathos in der Latrine landet.

* Wenn man dem Internet glauben darf, lautet das vollständige Zitat: “Wir sind aus jenem Stoff aus dem die Träume sind und unser kurzes Sein umfängt ein Schaf.” Ist ja hübsch, aber wahrscheinlich aus der postfaktischen Ära.

** “Von mir geschenkt, und von dir selbst erworben, empfang’ denn meine Tochter.”

Aus dem Vokabelheft

Erinnert sich noch wer an “Kleine Haie”? Dann vielleicht auch daran, dass die klassische O-Sprechübung für den deutschen Jungschauspieler lautet:

“Oben thront der Nonnen Kloster.
Voll von Trost, voll hoher Wonne
Wohnen dorten fromme Nonnen,
Loben Gott vor Morgenrot.”

Wenn der Amerikaner Stimmbildung betreibt ist sein O-Mantra:

“How Now Brown Cow?”

Auch hübsch, oder?

“We miss you”

…schreiben die Damen und Herren von Russian River Vacation Homes und schicken Bilder von unserer frisch renovierten Villa Ursula und neuen Ferienhäusern, falls Ursel etwa nicht mehr unseren veränderten Ansprüchen genügen sollte.

russian-river

Ach guys, wenn’s doch nur das wäre… I miss you too und täte nichts lieber, als uns für ein winterliches “3 for 2 Special” einzumieten.

Neu im Kino: Arrival

Im Winter 2013 war ich schon begeistert von Ted Chiangs Kurzgeschichtensammlung “Stories of Your Life and Others” (s. https://flockblog.de/?p=21315), jetzt ist die filmische Adapation von “Story of Your Life”, der Geschichte über eine Linguistin, der es gelingt, die Sprache von nichthumanioiden Aliens zu entschlüsseln, im Kino und gut geraten.

Man mag es (wie ich) schade finden, dass Jeremy Renner (ein von mir hoch-, oft aber unterschätzter Schauspieler) nur zum Stichwortgeber für Amy Adams reduziert wurde; sie ist aber wirklich großartig, was ein wenig dafür entschädigt. Wenn ich mir den Film noch einmal ansehe, dann werde ich ganz bestimmt auf die letzten fünf Minuten verzichten, denn da haben sie ein zuckersüßes und vollkommen unnötiges Hollywoodhappyende angepappt.

Ansonsten: anschauen! Anschauen! Anschauen!

Broken English Spoken

Die Frage, warum sein Kollege nicht mehr auf Auslandseinsätze geschickt werde, beantwortete unser Berater mit “seine Englischkenntnisse wurden von den Muttersprachlern nicht akzeptiert”.

Habe diese Replik in meine “Euphemismus-des-Jahres”-Finalisten-Auswahl aufgenommen.

Wort des Jahres 2016

Das Wort des Jahres 2016 ist also “postfaktisch”. Paßt.

Bloß, an den Zustand an sich gewöhnen dürfen wir uns nicht, sonst heißt irgendwann eine deutsche Kanzlerin wie so ein Schlagerfuzzi.

Und das wäre Wahnsinn.

Barbieworld

Kurz hinter der Münchener Stadtgrenze scheint auch eine andere Klimazone zu beginnen, das morgendliche Wetter in Gräfelfing ist jedenfalls fast immer das genaue Gegenteil dessen, was es in Hadern ist. Neulich, zum Beispiel, fahre ich aus der Tiefgarage in dunkelgrauen Feuchtnebel, die einzigen Farbflecken sind die Reflektorstreifen auf den neongrünen Langmänteln der Schulweghelfer.

Dann gehts scharf nach rechts, ich verlasse die Landeshauptstadt und die Welt leuchtet rosa. Die schneebedeckten Straßen und Wege? Rosa. Bäume, Büsche, Sträucher, Felder, Pferdekoppel, Flüchtlingsheim und Schäferhundzüchtervereinsgelände? Mit rosa Zuckerwatte überzogen. Selbst die Glasflächen der häßlichen Universitätszweckneubauten reflektieren einen ungeheuer dramatisch schönen Sonnenaufgang. In Rosa.

Die Moral von der Geschichte? Ich stehe einfach viel zu früh auf.

Neu im US-Fernsehen

Es bricht sich schwer mit alten Gewohnheiten und darum bekomme ich immer noch eher mit, was im amerikanisch/britischen Fernsehen neu ist, als im deutschen. Verteilt über die letzten Wochen habe ich mir eine kleine und ü-ber-haupt nicht repräsentative Auswahl angesehen.

In der Kategorie “sehr gut” steht obenan Westworld, die auch hierzulande mit viel medialem Hype begleitete HBO-Serie über einen Westernthemenpark, bevölkert von menschenähnlichen Robotern und mit einem tiefdonkelen Geheimnis. Gut besetzt, spannend und sehr sehenswert. (Wer alt genug ist, erinnert sich an den gleichnamigen Film mit Yul Brynner geschreiben und inszeniert von Michael Crichton, von dem die Serienmacher ihre Inspiration bezogen haben.)

In dieselbe Kategorie fällt Black Mirror, eine zusammenhanglose Reihe dystopischer Geschichten in der inzwischen 3. Staffel, die Sehgewohnheiten auf den Prüfstand stellt und den Zuschauer zwingt, sich bekannte Themen unter einem völlig neuen Blickwinkel anzusehen.

Richtig richtig schlecht und von mir nach zwei Folgen aufgegeben ist Pacific Heat, eine australische Zeichentrickserie über ein Häufchen stereotyper Jung-Agenten, die furchtbar schlimme unkomische Dialoge sprechen und sich über anderer Leute Akzent lustig machen. Australier. Die sich über anderer Leute Akzent lustig machen. Egal wie hoch die springen, sie werden nie an Archer heranreichen. Der ist nämlich auch in der nunmehr 7. Staffel sehr witzig.

Und dann gibt es noch die Kategorie “weiß nicht”. Der führende Kandidat in diesem Bereich ist Shut Eye. Der Held ist ein früherer Magier aus Vegas, jetzt tätig im “Psychic”-Big-Business (Wahrsager, Medien*, Hellseher, Handleser, Hypnotiseure, Kartenleger…) in Los Angeles, immer zwischen den Stühlen zwischen Gangster-Gangs und um Marktanteile käpmpfenden Roma-Familien und immer auf der Jagd nach dem großen Coup, der soviel Geld bringt, damit er mit seiner Familie aus diesem Leben aussteigen kann. (Was einen irgendwie an Huren erinnert, die das nur so lange machen, bis…)

So geht das über 10 Folgen, mit immer mal brutalen Gewalt- oder heißen Sexszenen (was halt im amerikanischen Fernsehen außerhalb HBO als heiß verstanden wird; Gewalt wird selbstverständlich expliziter gezeigt), schönen Bildern von den dunkleren Seiten des südkalifornischen Lalaland, Isabella Rosselini als böser Roma-Clan-Matrone, was sie sehr überzeichnet und mit links spielt, inklusive sardonischem Grinsen, David Zayas als bösem Tex-Mex-Baugewerbegangster (ja, das ist der Anchel aus Dexter) und Susan Misner als Neurologin, deren Behandlung im besten Sinne unkonventionell zu nennen ist: “da nehmen Sie jetzt mal ein paar von diesen Pilzen und dann schauen wir mal, was das mit Ihrem Gehirn macht”. Der Twist im Plot? Der falsche Psycho-Fuffziger bekommt nach einem Tritt in den Schädel wirklich Zukunftsvisionen. Uiuiui!

Jetzt, wo ich das alles so aufgeschrieben habe, stelle ich fest: nein, man muß nicht anschauen, wie jeder jeden betrügt und genug offene Enden gelassen werden, um eine noch nicht zugesagte zweite Staffel zu rechtfertigen. Shut Eye hiermit in die Kategorie “unnötig” verschoben.

Gelesen habe ich natürlich auch viel, dazu ein anderes Mal mehr.

 

* Medien, wahlweise Media, ist der Plural von Medium, hab’s nachgeschlagen.

Tatort “Wofür es sich zu leben lohnt”

Mann, hatte ich Spaß. Und die Damen Hanna Schygulla, Margit Carstensen, Irm Hermann und Eva Mattes spürbar auch. Die Handlung? Nicht der Rede wert. Ein paar Männer, hilflos und/oder böse. Aber dafür dreieinhalb Hexen in ihre Seevilla Kunterbunt, eine gelbleuchtende Kill Bill Referenz (mit Uma Thurmans Frisur aus Pulp Fiction in blond), bündelweise böse Weiber, Strohkönig in Flammen, Boot in Flammen, Frau Hermanns schiefes Grinsen, Margit Carstensens gesummte Internationale und Hanna Schygullas Stimme. Ach, diese Stimme. Die kann gar nicht so viel dummes Zeug schwätzen, als dass man ihr nicht dennoch gerne zuhörte.

Gibts noch die ganze Woche in der Mediathek. Unbedingt anschauen!