Gelesen: “The Nix” von Nathan Hill

Nathan Hill weiß, dass er schreiben kann. Sehr gut sogar. Doch wo man sich anfangs noch für seine Stilwechsel, geschickt hergestellten Bezüge und klugen Sentenzen begeistert, wird es irgendwann ermüdend; so, wie es fad ist, einem Narzisten dabei zuzusehen, wie er sich im Spiegel bewundert.

Worum geht es? Ein zum Lehrer gescheiterter trauriger weißer Autormann erfährt aus dem Infotainment-TV, dass seine Mutter, die ihn und seinen Vater kurz vor seinem 11. Geburtstag verlassen hatte, ein Attentat auf den hardcore-konservativ-republikanischen Präsidentschaftskandidaten verübt. Mit Steinen. Wunderschön, wie Hill den medialen Hype einfängt: mit griffigen Mottos (“Terror in Chicago” / “The Packer Attacker”), laufenden Schlagzeilen oben und unten am Bildschirmrand, seriösen Anchormen und hektischen Live-Noch-keine-Informationen-vorhanden-Reportagen vor Ort und, je tiefer die Recherchendreckschaufel gräbt, die Vorverurteilung der Attentäterin, die nichts anderes getan hat, als ein paar Kieselsteinchen von einem Weg zu klauben und in Richtung Promi zu werfen, als “Radical Hippie Prostitute Teacher blinds Governor Packer in Vicious Attack”. Das ist die Frau, die Sam als seine Iowa-Kleinstadtmutter mit Eigenheim und Sandkastenliebe verheiratet kennt.

Auf den restlichen 600 Seiten begleiten wir ihn auf der Reise in die Vergangenheit. Die seiner Mutter, die – natürlich – nicht immer ein Heimchen am Herd war, sondern auch einmal Kind eines von Vergangenheitstraumata geplagten Vaters und Teenager im bigotten ländlichen Fly-Over-State und junge hoffnungsfrohe Studentin mit Stipendium, auf einmal im Zentrum der Proteste und wie sie dann doch zum Heimchen wurde und dieser Existenz wieder entkam. Seine eigene als Heulsusen- (5 Stufen Weinen, exakt definiert) und später mutterloses Kind, hoffnungsvoller Jungautor und frustrierter Lehrer und die aller anderen, mit denen sie je in Berührung kamen. Familie, Freunde, Kommilitonen, Arbeitskollegen… es wird ein bißchen unübersichtlich und die Figuren dümpeln, nachdem ihre psychologische Bedeutung für Mutter und/oder Sohn enthüllt ist, für den Rest des Buches herum.

Nebenher lernen wir amerikanische Geschichte und Soziologie. Vom Einwandererschicksal (der Mutter Vater) über die Kluft zwischen ruralem und urbanen Amerika, vom Attentat auf Martin Luther King, den Stundentenprotesten der 68er bis hin zu Occupy Wallstreet – und weil Hill Zeitgeschichte klug mit seinen Protagonisten verknüpft und wie gesagt schreiben kann, machen diese Passagen wirklich Freude. Zwischenzeitlich hebt er ein bißchen ab und schaut in die Köpfe von Allen Ginsberg und Walter Croncite und schreibt auf, was er da sieht – da wäre weniger viel viel mehr gewesen. Hill hat außerdem viel Recherche in den Bereichen Angstneurosen und Verhaltens- und Hirnforschung sowie MMOs betrieben und schreibt und schreibt und schreibt darüber. Ein guter Lektor hätte diese Ausführungen – möglicherweise mit Bedauern – gestrichen und diese Kürzungen hätten dem Buch so gut getan.

Und dann noch die Zufälle. Gegen Ende hin, wo Hill die Unzahl von Handlungssträngen wieder verknüpfen will, werden es doch arg viele. Ein Zufall, zwei, drei – gerne, soviel dichterische Freiheit muß sein. Aber irgendwann mutet die Häufung dann doch eher an wie dichterische Hilflosigkeit. Das ist schade, denn nochmal: Hill kann gut, sehr gut schreiben, aber es ist mir noch nicht oft passiert, dass ich auf Seite 500 genug hatte und nachsehe, wieviel ich noch muß. Meine Innere Lektorin kämpft gerade mit sich, ob wir den Rotstift rausholen und das Buch auf die Länge kürzen sollen, die es so großartig macht, wie es hätte werden können. Oder einfach was anderes vom Krankenhausstapel nehmen und jedem weiteren Leser die Entscheidung selbst überlassen?

Ja. Letzeres.

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