Il Silencio

Krach ist, wenn mehrere Hunde im knapp 1000-Seelen-Dorf auf dem Hügel gegenüber gleichzeitig durcheinander bellen, sich die hiesigen Hausschwalben angesichts der morgendlichen Mückenfülle in Ekstase tschilpen, dazu Elstern keckern, Grillen zirpen, Katzen schnurren.

Der bis dato höchste Geräuschpegel wurde erzielt, wenn zu alledem die Schafe, wie heute morgen, laut blökend und mit den Glöckchen bimmelnd unter Anführung des Leitschafs ihre Tagesfrische auf dem Olivenhügel stürmen. Der (ich vermute) Osthund geht gemächlich hinterher und schubst die Abweichler auf den rechten Pfad. Dann sind alle, wo sie sein sollen, der Pferch geschlossen und der Hund geht anderen Geschäften nach. Grasen können die Schafe alleine.

Neues vom Pantheon

Dem sich hier lange genug aufhält und angemessen devot benimmt, dem offenbaren die felinen Götter ihre wahren Namen: Asthma heißt eigentlich Asthmatica und ist von Adel, der volle Name der kleinen Schildplatt-Scheck ist Schecki’vara; neu hinzugekommen sind Broken Tail (eine ganz arme Sau, soweit sich das aufgrund seines eher schiefen Wackelschritts beurteilen läßt gilt er wahrscheinlich maximal als Halbgott) sowie Labor Day (Ende September noch weiße Schuhe) und Esso (die andere Tigerkatze).

Das Geschlecht ordnen wir nach genderspezifischen Verhalten zu, da kennen wir nix. (Sind allerdings selbst verblüfft, dass wir das tun und wie und warum.)

Kafkaesk

Kafka ist nicht nur ein ausgewachsener Misanthrop, Kafka mag auch keine anderen Katzen. Insekten hingegen (hier diese zischende Gottesanbeterin vorne am Rad), Insekten hat er direkt zum Fressen gerne.

Kafka und die Gottesanbeterin

Italienisch

… ist eine sehr sehr schöne Sprache. Des eklige Wort “Restmüll” wird hierzulande zum Beispiel zu “Indifferenziata”. Hach.

Die Möglichkeit eines Schafs*

Das Häuschenvirus, unter Esoterikern und Managementratgeberautoren auch bekannt als “Extrementschleunigung” hat uns wieder voll im Griff. Es ist nichts los, dafür haben wir auch keine Pläne und absolut nix vor. Ein vorbeifahrender Traktor wird zum Faszinosum, die Diskussion über “Welcher Vogel fliegt da gerade?” kann Stunden füllen, zu den wirklich tiefschürfenden Bemerkungen zählt zum Beispiel “die Blumen dahinten gehen aber früh ins Bett.” Außerdem Schafe. Bimmeln. Bellen. Zwitschern. Mozart (wenn drüben im Haupthaus gekocht wird, Vivaldi beim Abwaschen). Sowie Katzen.

Keine Menschen.

Die Weilen werden lang und länger, die Zeit, eine Exhibitionistin erster Güte, genießt es, sich beim Verstreichen zuschauen zu lassen.

Wobei, so ganz stimmt das ja gar nicht. Heute zum Beispiel haben wir Pläne. Und zwar wie. Nein, nein, wir wollen weder nach Siena noch nach San Gimignano, was vor allem daran liegt, dass dort überall wahrscheinlich mindestens ebenso viele kulturbeflissene Touristiker umadum sind wie in Florenz. Christoph will das gar nicht erst erleben und letztendlich seien eine wie die andere “eh bloß mittelalterliche Städte mit Kirchen und Türmen”. Ich hingegen greife einfach auf die Erinnerungen an eine schon ganz lang zurückliegende Toskanareise zurück und muß mir drum diese neue übervolle Toskana gar nicht antun. Obwohl, das Foltergerätemuseum in San Gimignano hättte Christoph bestimmt gefallen.

Nein, wir haben Pläne, weil uns mangelt. Die Latte ist zwar noch nicht aus (s. hierzu auch: https://flockblog.de/?p=31218), man lernt ja, aber Saft und Brot und die Zutaten für unser last Supper am Samstag, die wir nicht aus dem hiesigen Gemüsegarten und der Käserei besorgen können. Insgeheim hoffen wir darauf, dass wieder ein netter Porcini-Mann am Straßenrand stehen möge, bei dem wir wie am Montag große Pilze kaufen können, aber dazu ist die Fahrt nach Radicondoli anscheinend doch zu kurz und die Gegend zu abgelegen.

Wir bekommen alles, was wir bis zum Sonntagsfrühstück brauchen werden im winzigen Zia Emma Laden und ich treibe das lokale Bruttosozialprodukt in ungeahnte Höhen, weil ich noch zwei weitere der insgesamt vier Geschäfte am Ort besuche und in der Tabaccheria eine Schachtel Zigaretten erstehe und in der Pasticceria cinquecento grammi gemischte cantuccini. Damit waren wir dann aber auch für den Rest der Ferien genug unter Menschen!

Zu Hause in der Capanna erwartet uns die Belohnung für seit Tagen den Katzen zuverlässig den Wassernapf auffüllen: wir dürfen uns zwei Liegestühle ausleihen. Sehr bequeme Liegestühle.

Jetzt a mal ganz ehrlich: warum sollten wir hier je wieder weggehen?

 

* Auf die Möglichkeit hin, dass auch heute wieder potentielle Schafe unten am Haus vorbei auf die Weide getrieben werden, hat Christoph bereits Stativ, Kamera und einen Filter aufgebaut, der die Herde dann als fluffig-weiße Wolke ablichtet.

La Formaggeria

Reisen, sagt man, bildet. Ich kann das nur bestätigen. Schafszucht, zum Beispiel, ist auf dem Weg, eines meiner Spezialgebiete zu werden. Ich habe gelernt, dass die anstrengenden Arbeiten, wie das Verlagern der Herde von einer ehemals grünen Aue zur nächsten oder heim in den warmen Stall nicht etwa dem HErrn obliegt, sondern sogenannten Hütenorwegerinnen, die im übrigen ihre kräftigen Hände nicht nur vom Baum- und Feldfrüchte ernten, sondern vor allem vom Ausmisten und Melken haben. Für die Nachtwache am Pferch und zum Schutz vor Rotkäppchen und Wölfen sind Ost-, Süd-, West- sowie Nordhund* zuständig, und weil es nachts doch schon gerne mal empfindlich kühl wird und sie im Bedarfsfall sehr laut bellen müssen, tragen sie dicke Flauschpullover, damit sie sich nicht erkälten. Sagt Christoph, ebenfalls Schafsexperte.

Aus der Milch guten Käse zu machen ist Giovannis Aufgabe. Weil grad sonst niemand da war, habe ich mich freiwillig zum Käsetesten gemeldet (frau hilft ja gerne), das Ausreichen der großzügigen Proben oblag Nathalie, der Tochter des Hauses und so habe ich gestern die Käserei verlassen, in der einen Hand einen Beutel voll mit den ersten drei Varianten (von achten), nämlich sehr jung, mittelalt und stein- bzw. nußalt, weil auf angekokelten Walnußblättern gereift, in der anderen die Reste der Probierhäppchen. Nachdem ich das vor der Käserei angetretene Katzenspalier passiert hatte, war eine Hand leer und gründlich gesäubert und daß es nicht die war, die die Tüte hielt, lag gewiß nicht an den Katzen.

Nun, einen Tag später, ist der frische alle (besser als jeder Mozzarella), vom mittelalten noch ein winziges Häppchen übrig und vom nußgereiften nur noch ein Bröckerl. Zum Glück fressen die Schafe hier die Wiesen kahl…

 

* Ja, inzwischen haben wir vier gezählt; bis dato kam immer abends noch einer dazu: es wird sich weisen, ob es auch für die Teilhimmelsrichtungen (Süd/Süd-West etc.) noch welche gibt. Den Schafen mangelt es hier in jedem Fall an nichts.

Wohngemeinschaft

Gleich hinter unserer Capanna liegt, noch vor dem Kräuter- und dem Gemüsegarten, die Obstplantage. Dort wohnt Karl, der sich das zutrauliche Du allerdings verbeten hat. Er wünsche, sagt er, mit Herr Karl angesprochen und gesiezt zu werden.

Karl

Von wegen! Jedes Mal, wenn ich auf der Toilette sitzend meinen Blick über Ländereien und Haine schweifen lasse, starrt dieser Karl-Kerl mich an und ich möchte doch sehr bitten: drehen Sie sich gefälligst weg, Sie Spanner!

Capo di Capi

Wir hatten uns ja noch Sorgen gemacht, weil wird das Sofakissen vor der Nachtkühleundfeuchte nicht reingebracht hatten. Wir haben ja auch keine Ahnung. Der Boß selbst (hier – wie immer – in der Mitte des Sandwiches) hat die nächtliche Schutzaktion geleitet und uns das Kissen heute früh unversehrt und staubtrocken gegen eine kleine Aufwandsentschädigung in bar und kleinen unnumerierten Scheinen wieder ausgehändigt.

Zwielichtzwerg

Inzwischen stehen wir unter seinem persönlichen Schutz. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Lucky us.

Arbeitsteilung

Ich verstehe nicht allzuviel von Landwirtschaft; bezüglich der Schafszucht zum Beispiel beziehe ich alle mein Kenntnisse von Shaun the Sheep, finde aber die Aufgabenverteilung beim Schafe zur Weide treiben hierzulande bestechend einleuchtend: hinter den Schafen her laufen die norwegischen Helferinnen und sorgen mit lauten Rufen dafür, dass alle ungefähr in eine Richtung hoppeln, und sammeln die rechts und links versprengten Deppen sowie die absichtlich Ausscherer (großer Unterschied!) wieder ein. Dahinter, auf dem Weg, rollt der Bauer mit dem Pickup. Dem folgt in noch größerem Abstand und gemessenen Schritts einer der drei sehr großen, sehr weißen, sehr fellreichen Hütehunde und überwacht die ganze Angelegenheit.

Hütewikingerinnen

Wenn die Hütewikingerinnen richtig außer Puste sind und keine Kraft mehr haben, irgendwas zu schreien, sind die Schafe vollzählig. Jetzt ist es an der Zeit ist, den Pferch zu schließen und dann müssen die Mädels sich sputen, damit sie nicht zu spät zu ihrer nächsten Aufgabe kommen. Der Bauer wendet unterdessen gemächlich den Pickup und fährt wieder heim. Nur der Hund bleibt, legt sich unter den schaffernsten* Baum, wendet den Kopf gen Olivienhain und ignoriert die grasfressenden Bimmler.

Und morgen gibt es Käse.

 

* Schaffern, Adjektiv. Definition: “weit weg von Bock, Lamm und Aue”.