Wörterbuch der Perversionen, heute: M

Mietkälte, pic

Mietkälte, claim

Also jetzt echt? Und ganz klar: weder noch. Wir haben für Kälte eine eigene Jahreszeit, die gerne mal in die benachbarten Jahreszeiten hineinlappt, wir brauchen wirklich kein Extra-Minus. Weder geliehen noch geschenkt.

Running Man

Der Freund eines Freundes nimmt heute am “Wings for Life World Run” teil und weil ich eher der Typ “Lesen für den Frieden (und dabei stillesitzen)” bin, kenne ich mich mit Regeln fürs Rennen nicht wirklich aus, lerne aber immer gerne dazu. Zum Beispiel, dass bei diesem Lauf “Catcher Cars” eingesetzt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass wenn der Läufer von einem dieser zeitversetzt startenden Messfahrzeuge überholt wird, seine Zeit um ist und, sollte er weiterrennen wollen, sie nicht mehr gemessen wird.

Gut, dass man mir das erklärt hat. In meiner Phantasie werden die Rennenden nämlich von Mad-Max-Fury-Lane-ähnlichen Boliden mit Eisenkäfigen und Stahlstangen an den Seiten verfolgt und von deren wildjohlenden Fahrern zum Stürzen gebracht und weggekarrt. Ich glaube immer noch, dass mein Modell für die Zuschauer lustiger wäre; gilt aber möglicherweise nur für den Fall, dass diese ebenfalls gerne Dystopien lesen und ihren Stephen King kennen.

Refresh. Dringend!

Mann, Internet,

du kannst doch nicht den Kretschmann zum Öttinger machen, ey. Man kann von dem Mann halten, was man mag, aber das ist wirklich nicht fair.

MP BaWü

Unterfahrt: Dan Tepfer Trio

Tepfer ist ein begnadeter Pianist, der ganz mühelos den Bogen spannt zwischen Monk, eigenen Kompositionen, Beyoncé und Gershwin und auf seinen Bassisten Michal Baranski aus Polen sollte man ein Auge halten, da kommt mit Sicherheit in den nächsten Jahren noch mehr und es wird gut sein.

Nobelpreis für Literatur 2018

Wäre es nicht besser gewesen, das noch verbliebene Rumpfkomittee hätte sich aufgelöst, wäre geschlossen zurückgetreten, hätte den Weg für einen wirklichen Neuanfang freigemacht und nicht schnell noch die saudumme Entscheidung gefällt, den 2018er Preis sehr wohl zu vergeben, aber halt erst nächstes Jahr, gemeinsam mit dem für 2019? Und wo wir gerade dabei sind: wäre es nicht auch ehrlicher und fairer dem/der Auserwählten gegenüber gewesen, wenn in der Chronik des Literaturnobelpreises das Jahr 2018 eine Lücke zeigte statt eines verlogenen Trostpreises – so als Memento und Mahnung?

Ja. Wäre es.

Heimatpflege II

Neulich, im Gräfelfinger Bauhof. Straßenarbeiter kehren vom Einsatz zurück und fragen bei den Kollegen rum, ob irgendwer den fast vollen Kübel Asphalt brauchen kann, “bevor mr’n weghaun”. Schorsch und seine Mannen nehmen ihn, gern und mit Dank, weil ihnen die Strecke raus ins Industriegebiet mit ihren Schlaglöchern immer so dermaßen ins Kreuz geht und verteilen das noch warme schwarze Gold dort großflächig in die riesigen Schlaglöcher. Noch schnell plattwalzen, fertig, “do fahrst jetzad wia auf Kufen.” Der Beni schaut. Der Schorsch will wissen, warum der Beni jetzt scho wieda so schaugt. Der Beni schaut anklagend auf die andere Seite der Straße, da, wo die Schwesterschlaglöcher immer noch tief gähnen. Weil der Schorsch gern amerikanische Filme anschaut, sagt er jetzt ganz laut: “Fuck!”, so, dass man das Ausrufezeichen bis zur anderen Straßenseite hören kann. Dann schaut er in den Kübel, sagt “a bisserl wos gäht oiwei” und dann tröpfeln sie die Restbestände in die kleineren Löcher auf der anderen Straßenseite und schlagen sie mit der Schaufel platt. Seitdem rumpelt es hinzus unwesentlich anders, aber immer noch rückenschädigend, nauszus hingegen fährt man wie auf Kufen. Es hat was, wenn man so in den Feierabend gleitet. Das wäre morgens eigentlich auch nicht zu verachten. Darum:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Ministerpräsident,

bitte erhöhen Sie das Straßenbaubudget um einen weitereren Kübel Heimatasphalt. Den Rest macht der Schorsch dann schon.

Dange, Maggus.

Le Fremdwört

Sie habe, erzählt meine Fußpflegerin, während sie auf einem viel zu niedrigen Hocker vor mir kauernd meine Zehennägel schneidet, ja schon manchmal Rückenprobleme, aber nichts, was ihr Ornithologe nicht in den Griff bekäme.

Habe sie sofort gebeten, die Schere wenigstens so lange wegzulegen, bis ihr Lachanfall über den eigenen Versprecher wieder abgeklungen ist – weiß schließlich nicht, ob der Mann auch abben Zehen gewachsen ist.

Ausstellung: Du bist Faust

Ich bin gar nicht zufrieden mit mir, wie wenig ich von dem großen Münchner Faust-Festival mitbekomme. Jetzt ist schon fast Halbzeit und was habe ich bisher angeschaut? Nix, nada, niente, nitschewo. Zu meiner Verteidigung rede ich mir ein, dass ich in meinem Leben bestimmt schon mindestens sechs Bühneninszenierungen (wenn’s langt) gesehen habe, manche davon mehrfach und fast alle Verfilmungen, ebenfalls mehrfach und mir gelegentlich im Auto die Quadflieg/Gründgens-Version (auf CD!) vordeklamieren lasse und massig Peripherie kenne, ob das nun Klaus Manns Buch oder István Szabós Brandauer ist, und das halbe Stück eh aufwenig aufsagen kann und mich schon von Berufs wegen mit dem strebenden Gelehrten, seinem Teufel und der frommen Margarete und was an ihnen gar so deutsch ist oder grade nicht lang und ausführlich auseinandergesetzt habe. Dennoch. Da machen sich Menschen Mühe und bereiten dieses Stück in meiner Stadt daheim so bequem mundgerecht auf und was tu ich?

Ich geh heraus zum ersten Mai in die Ausstellung in der Hypo-Kunsthalle und weil ich ein gar so schlechtes Gewissen habe, nehme ich mir sogar einen Audio-Guide. Den hätte es nicht gebraucht, die Exponate sind glänzend und ausreichend informativ beschriftet, das Gewurschtel mit den rutschenden Kopfhörern kann man sich sparen. Und sonst? “Die innovativ inszenierte Schau nimmt die Besucher mit auf eine Reise durch das Drama und macht sie zu Weggefährten Fausts auf seiner rastlosen Suche nach Sinn und Ziel des modernen Lebens.” Steht so im Ausstellungskatalog und stimmt soweit. Die Ausstellungsgestalter haben’s mit Spiegeln und Vorhalten und kriegen sich manches Mal vor lauter Symbolik gar nimmer ein, die ausgestellten bildenden Künstler nehmen sich aus dem Faust, was sie darin sehen und setzen es mit ihren Ausdrucksmitteln um. Die Räume sind nach Figuren bzw. Szenen aus dem Stück gestaltet. Vieles ist Mittelmaß, aber es gibt Ausnahmen: Gleich zu Anfang grient Gründgens beim Prolog im Himmel sein “von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern” in die Runde und im Mephistopheles-Kabinett hängt eine herrlich teuflische Fotografie von Robert Mapplethorpe. Ein Stückchen weiter nimmt Käthe Kollwitz Anteil an Gretchens Elend, dieser Kindsmörderin wider Willen, mit einer wunderbar ausdrucksstarken Radierung, und dort ist auch ein Gemälde von Anselm Kiefer augestellt, “Dein goldenes Haar, Margarete” mit dem er den Bogen zu Paul Celans Gedicht und dem Mißbrauch deutscher Mythen durch die Nationalsozialisten spannt. Ausgerechnet Gretchen. Da schau her. Ich mag die Figur nicht besonders, aber ich bin ihr jetzt näher gekommen – nicht dem frommen Zopfkleinbürgermädchen vom Anfang, aber der zerstörten Existenz vom Ende. Die musikalischen Adaptionen habe ich eher schnell hinter mir gelassen; mir wird sich nie erschließen, warum man singen muß, was man sprechen kann – allerdings nicht, ohne Goethen zu bewundern, der ein ganzes Bündel sangesfertiger Solos eingebaut hat. Auch die schmerzensreiche Neigung. Ein Zimmer hängt voller großflächiger Bilder mit nackten Weibern und Teufeln und dem, was die da tun; die Walpurgisnacht, die im Stück nicht allzuviel Raum einnimmt, hat da wohl die wildesten Phantasien befeuert. Alles gut, Jungs. Kalt duschen und dann Faust II. Im letzten Kabinett finden sich noch zwei geniale Buchillustrationsserien von Max Slevogt und Max Beckmann zum 2. Teil der Tragödie, denen sollte man Zeit widmen.

Das letzte freie Plätzchen ging an ein ironisches Augenzwinkern.

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Am Ausgang liegt ein Gästebuch bereit und die Besucher dürfen mit Stickern abstimmten, ob sie nun Faust (geballt in gelb) sind oder Mephisto (Hörndl-Emoji, lila) oder Gretchen (rotes Herzerl). Halloho? Da fehlt doch wer? Teufelsweib, Kupplerin, Giftmischerin?

#JesuisMartheSchwerdtlein.