… da kann man nicht auch noch auf die korrekte Konjugation achten, manno.
Bahnwärter Thiel
Mann, ich hatte ganz vergessen, dass München eine Subkultur hat. Also das, was halt aus einer Subkultur wird, wenn sie längere Zeit in Bayern lebt. Schon wild, aber mit Methode.
Ich war nämlich gestern beim Bahnwärter Thiel (http://www.bahnwaerterthiel.de/) auf dem Schlachthofgelände hinten, nein, nicht im Club, da gehts erst gegen Mitternacht los und macht dann durch bis morgen früh und immer umsta-umsta-umsta. Aus dem Alter bin ich raus. Ich war auf dem Flohmarkt. Der kostet Eintritt (it’s Munich, stupid), aber nicht arg viel (it’s alternativ, dummy), dafür gibts dann zum Flohmarkt saubere (!) Klos sowie hinreichend gekühlte Getränke zu kaufen, wichtig für einen Apriltag, der an der 30°C-Marke langschrammt. Die Händlerinnen trugen wenig in Petite-Größen und verkauften, was sie nicht mehr tragen wollen (was mich aus dem Kreis potentieller Kundinnen hinauskatapultierte), die Händler trugen auf die umgebenden Graffiti abgestimmte Knatschbuntgewänder und boten außerdem Schmuck und Asiengedöns, extrawarme Lamaponchos (der Arme!) sowie Unmengen von DVDs und eine interessante Auswahl an Gebrauchtbüchern feil.
Ich habe viele angesehen, hätte aber nicht eines aus diesem Sortiment mit nach Hause nehmen wollen, wiewohl mich die viel gelesene Ausgabe des “Steppenwolf” doch schon gerührt hat. Hach, immer noch Hesse? Echt? Das hatte ich mit fünfzehndreiviertel hinter mir. Kleine Prinzen gabs auch an so gut wie jedem Stand, sehr sehr viel Castaneda, etwas Kerouac und man wartet seine Motorräder wie ehedem mit Zen. Seltsam, ich hätte eigentlich erwartet, dass es für den gemeinen Subkulturellen auch irgendwann mal neue Autor/innen und neue und andere Referenzliteratur geben würde – sieht aber noch nicht so aus. Wurscht. Das Wetter ist herrlich, der/die/das Spezi kalt und Schattenplatzerl gibt es auch. Ich schau dann noch a bisserl Leut’. Schaut’s mit.
Der Druck des Seins oder Manchmal ist mir so metaphysisch
Die Füllung ist knubbelig und macht mir Beulen statt Komfort, außerdem ist es nicht mehr ganz dicht und bröselt. Man kann es drehen und kleben wie man will, aber ich muß wohl den Tatsachen ins Auge sehen: mein Reisenackenhörnchen ist zerschlissen. Ich werde mich um die Nachfolge kümmern müssen, damit es endlich in den Ruhestand versetzt werden kann (Altkleidercontainer, aber nicht verraten).
Mein Haus- und Hof-Onlinehändler hat Unmengen an Ersatz parat, ich muß mir bloß noch das passende Hörndl auswählen und weil’s eigentlich eh wurscht ist, weil sich die Dinger nichts schenken, hab ich mich jetzt für das entschieden, das – dank eines Übersetzungsprogramms (will ich hoffen) – mit der hübschesten Produktbeschreibung angeboten wurde:
- Das Voyager-Kissen ist so konzipiert, dass es Ihnen ermöglicht, den verfügbaren Platz in Ihrem Gepäck zu maximieren, wenn Sie entweder eine Trage- oder Karosserie packen, um sich auf Ihr anderes Reiseziel zu konzentrieren.
Genau. Die kennen mich und wissen wie ich reise. Immer entweder in Sänfte oder Limo und dann ein Ziel antäuschen, um mein eigentliches und ganz anderes Reiseziel zu besuchen. - Spandex-Band – Tausende von Mikroperlen füllen das Voyager-Kissen zu perfekten Sculpt zu Ihrer einzigartigen Schlafposition. Diese Konstruktion ermöglicht es dem Kissen, sich an den Druck des Seins anzupassen, während er zurückschnappt, um seine Form am Ende dieses perfekten Nickels zu behalten.
Als wohnten sie bei mir, die Hersteller. Nichts, was in meiner Wohnung nicht im perfekten Sculpt eingerichtet wäre und ich bin sicher nicht allein, wenn ich will, dass mein Leben nach dem Druck des Seins zurückschnappt und wieder die Form eines perfekten Nickels für den Münzschlitz im Sparschweinsarg einnimmt. Oder? - Waschmaschinenfester Grau
Die kennen mich besser als meine Mutter. Mutiges Mausgrau, das ist meine Farbe. Und statt der Handenwäsche, die andere Kisserlschneider anordnen, soll sich doch die Maschine um den Grauschleier kümmern. - flegeleicht: waschen Sie diese in die Kälte geworfene und an der Luft trockene
Bidde? Du wolle Kühlschrank statt Waschenmaschine?
Okay, zugegeben, die Flegeleichtanleitung scheint ein bißchen kompliziert zu sein, aber das krieg ich noch raus, wenn das Voyager-Kissen erst mal da ist. Komisch, dass die gar nix von Weltraumreisen erwähnt haben. Aber vielleicht versteht sich das von selbst.
Gelesen: “The Power” von Naomi Alderman
Erst mal: Uiuiuiuiuiui!
Zum zweiten: Ich mag es eigentlich überhaupt nicht, kulturelle Werke in vergleichenden Bezug zueinander zu setzen (“Dingsbums ist wie Pulp Ficition auf Speed”, “von der Tragik des alten Müller-Lüdenscheidt kann sich der junge Werther noch eine große Scheibe abschneiden”, “das Muh ist das Mäh des neuen Millenniums”) und wie immer, wenn man einen Satz so anfängt, tut man genau, was nicht mögen zu tun wollen man angekündigt hat: “The Power” liest sich wie der bewußte Gegenentwurf zur patriarchalisch-dystopischen Gesellschaft in Margaret Atwoods “The Handmaid’s Tale”. Macht es das zur matriarchalischen Friede-Freude-Eierkuchen-Utopie? Au contraire Messieursdames, aber sowas von au contraire!
Alderman schreibt aus dem Hier und Jetzt mit Internet und Smartgerätschaften, alten weißen Männern und Glasdecken in ein Was wäre wenn: weibliche Teenager die Fähigkeit entwickelten, Elektrizität zu generieren und diese über die Hände “abzuschießen”. Die ersten Versuche britzeln wie ungelenkes Tasern, allerdings mit Verletzungs- und Todesfolgen, und auf den ersten Seiten beschreibt sie die hilflosen Reaktionen von Politik und Gesellschaft, die von der Situation vollkommen überfordert sind. Wegsperren, die Mädchen! Ausmerzen, alle! Getrennte Schulen! Wegoperieren! “Heilen”, was als “krank” gesehen wird. Alles unter der Maxime, dass die Welt wieder “normal” werden soll und die natürliche Ordnung der Dinge wiederhergestellt werden muß.
Aber das Phänomen ist nicht aufzuhalten, in ganz besonders traditionell patriarchalischen Systemen (namentlich der indische Subkontinent und Saudi Arabien) kommt es zu extrem blutigen rachebefeuerten Aufständen. Obwohl relativ bald eine fundierte Erklärung herbeirecherchiert wird, ist es für Rationalität längst zu spät; ausgehend von den Südstaaten der USA wächst und wuchert ein religiöser Kult, das Organisierte Verbrechen entwickelt (und vor allem verkauft) die passende Auswahl an Drogen, der Fernsehanchorman wird durch eine Ankerfrau ersetzt, die ihrerseits was Hübsches (jung, knackig, männlich) ins Studio gesetzt bekommt und eine an Steve Bannon angelegte Figur verschafft auf der Plattform “UrbanDox” allen Arten von Verschwörungstheorien und Gewaltphantasien Raum und gießt selbst ordentlich Öl ins Feuer.
Weil es sich aber im Laufe der Evolution als Methode bewährt hat und der Mensch grundsätzlich pragmatisch ist, paßt er sich über die nächsten Jahre an die geänderten Gegebenheiten an. Die Gesellschaft ändert sich schleichend, Jungs werden zum beschützteren Geschlecht und dürfen abends nicht mehr raus, junge Frauen managen Religionen und streben militärische Karrieren an, aus Bürgermeisterinnen werden im Eiltempo Senatorinnen mit Ticket zum Oval Office, Frauenpower ist das neue Normal. (Bin gespannt, was der deutsche Verlag aus dem titelgebenden “Power”-Wortspiel machen wird. Ich hoffe nichts.*) Zwei, drei, vier Generationen später läßt sich das auch logisch herleiten: Männer sind das sorgende Geschlecht, betreiben Brutpflege, machen das Haus (und sich selbst) schön, Frauen müssen stärker und Kämpferinnen sein: sie kriegen schließlich die Babies.
Bevor ich euch selbst lesen lasse, wie es ausgeht, möchte ich zwei Dinge hervorheben. Alderman hat gut aufgepaßt bei Meisterin Atwood und brav gelernt: Atwood läßt am Ende ihres Buches einen Wissenschaftler bei einem Symposium über die Geschichte der Magd referieren, Alderman umrahmt ihre Erzählung mit einen Briefwechsel eines aspirierenden fiktiven Autors und einer (offensichtlich) mächtigeren Frau, um deren Rat er bittet (der, den er bekommt, ist erwartbar, haut einen aber trotzdem aus den Socken). Das andere? Alderman schreibt eine solchermaßen wunderbar subtile Komik, davor kann man nur den Hut ziehen. Es reißt einen auch oft erst ein, zwei Absätze später und dann liest man den Abschnitt ein zweites Mal, um die feinen Spitzen erst so recht zu goutieren. Ich habe mir lange überlegt, ob überhaupt und wie ich das dritte Ding unterbringe. Es ist eine in epischer Breite geschilderte Vergewaltigung marodierender Soldatinnen an Zivilisten. Merke: es ist vollkommen gleichgültig, welches Geschlecht welchem Gewalt antut, es schmerzt und ist falsch.
Nun bleibt mir nur noch, dieses außergewöhnliche Buch weiterzuempfehlen. Lesen! Lesen! Lesen! Margaret Atwood, auch eine Komikerin vor der Göttin, nennt es “Electrifying”.
Falls sich wer fragt: “Kommt dat Kind bei einem solchen Traumwetter eigentlich auch mal an die Luft?” lautet die Antwort: Aber ja doch, sehr sogar, davon mehr im nächsten blog post. Luft in rauhen Mengen, auch Sonne satt.
* Ah, man hat schon. Aus “The Power” ist in der guten alten Tradition, seine Leser/innen zu unterschätzen, bei Heyne “Die Gabe” geworden.
Gelb, gelb, gelb ist alles
War früher eigentlich auch so viel Blütenstaub? Habe hierzu eine Expertin (aka Mama) befragt. “Nein,” sagt sie, “die Natur macht dieses Jahr viel mehr Sauerei als sonst.”
So geht Dame
Während die eine mit Töle unterm Arm aufgeräumt bei der gemeinsamen Fahrt im Aufzug mitteilt “Wir gehen jetzt mal draußen Pipi” und der verwendete Plural einem sofort Bilder in den Kopf malt, die man da lieber nicht hätte, informiert die andere Nachbarin (an einem anderen Tag bei einer anderen Fahrt), mit leicht indigniertem Tonfall und mit dem Kinn auf das Zottelvieh am anderen Ende der Leine deutend, “Das Tier muß austreten”.
Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!*
Lebhafte Der-Söder-ist-unmöglich-Diskussion beim Mittagessen. Eine Kollegin schweigt stille, und als ich sie direkt ins Gespräch ziehe, meint sie mit einem zwischen Verlegenheit und tiefster Verständnislosigkeit changierendem Schulterzucken, sie könne zu der Debatte nichts beitragen, sie interessiere sich nicht für Politik.
Dass man keine Neigung zum Sport hat oder einen die neuesten Neuigkeiten aus der Welt der Reichen und Schönen kalt lassen, verstehe ich. Ich bin sogar so tolerant, dass ich jemandem zugestehe, das Feuilleton zu ignorieren. Aber dass jemand zutiefst a- bzw. unpolitisch sein kann, das will mir nicht in den Kopf. Da bin ich wohl doch zu sehr ein Kind meiner Zeit.
* Vom Geheimen Rat, direkt aus Auerbachs Keller kolportiert.
Neue Musik: Saba, “Care for me”
Das ist ein Hip-Hop-Album wie ein One-Man-Poetry-Slam und unbedingt hörenswert! Ich höre, man nennt dieses Genre “Conscious-Rap” und habe vor, mich damit mehr zu beschäftigen. Stay tuned.






