Erst mal: Uiuiuiuiuiui!
Zum zweiten: Ich mag es eigentlich überhaupt nicht, kulturelle Werke in vergleichenden Bezug zueinander zu setzen (“Dingsbums ist wie Pulp Ficition auf Speed”, “von der Tragik des alten Müller-Lüdenscheidt kann sich der junge Werther noch eine große Scheibe abschneiden”, “das Muh ist das Mäh des neuen Millenniums”) und wie immer, wenn man einen Satz so anfängt, tut man genau, was nicht mögen zu tun wollen man angekündigt hat: “The Power” liest sich wie der bewußte Gegenentwurf zur patriarchalisch-dystopischen Gesellschaft in Margaret Atwoods “The Handmaid’s Tale”. Macht es das zur matriarchalischen Friede-Freude-Eierkuchen-Utopie? Au contraire Messieursdames, aber sowas von au contraire!
Alderman schreibt aus dem Hier und Jetzt mit Internet und Smartgerätschaften, alten weißen Männern und Glasdecken in ein Was wäre wenn: weibliche Teenager die Fähigkeit entwickelten, Elektrizität zu generieren und diese über die Hände “abzuschießen”. Die ersten Versuche britzeln wie ungelenkes Tasern, allerdings mit Verletzungs- und Todesfolgen, und auf den ersten Seiten beschreibt sie die hilflosen Reaktionen von Politik und Gesellschaft, die von der Situation vollkommen überfordert sind. Wegsperren, die Mädchen! Ausmerzen, alle! Getrennte Schulen! Wegoperieren! “Heilen”, was als “krank” gesehen wird. Alles unter der Maxime, dass die Welt wieder “normal” werden soll und die natürliche Ordnung der Dinge wiederhergestellt werden muß.
Aber das Phänomen ist nicht aufzuhalten, in ganz besonders traditionell patriarchalischen Systemen (namentlich der indische Subkontinent und Saudi Arabien) kommt es zu extrem blutigen rachebefeuerten Aufständen. Obwohl relativ bald eine fundierte Erklärung herbeirecherchiert wird, ist es für Rationalität längst zu spät; ausgehend von den Südstaaten der USA wächst und wuchert ein religiöser Kult, das Organisierte Verbrechen entwickelt (und vor allem verkauft) die passende Auswahl an Drogen, der Fernsehanchorman wird durch eine Ankerfrau ersetzt, die ihrerseits was Hübsches (jung, knackig, männlich) ins Studio gesetzt bekommt und eine an Steve Bannon angelegte Figur verschafft auf der Plattform “UrbanDox” allen Arten von Verschwörungstheorien und Gewaltphantasien Raum und gießt selbst ordentlich Öl ins Feuer.
Weil es sich aber im Laufe der Evolution als Methode bewährt hat und der Mensch grundsätzlich pragmatisch ist, paßt er sich über die nächsten Jahre an die geänderten Gegebenheiten an. Die Gesellschaft ändert sich schleichend, Jungs werden zum beschützteren Geschlecht und dürfen abends nicht mehr raus, junge Frauen managen Religionen und streben militärische Karrieren an, aus Bürgermeisterinnen werden im Eiltempo Senatorinnen mit Ticket zum Oval Office, Frauenpower ist das neue Normal. (Bin gespannt, was der deutsche Verlag aus dem titelgebenden “Power”-Wortspiel machen wird. Ich hoffe nichts.*) Zwei, drei, vier Generationen später läßt sich das auch logisch herleiten: Männer sind das sorgende Geschlecht, betreiben Brutpflege, machen das Haus (und sich selbst) schön, Frauen müssen stärker und Kämpferinnen sein: sie kriegen schließlich die Babies.
Bevor ich euch selbst lesen lasse, wie es ausgeht, möchte ich zwei Dinge hervorheben. Alderman hat gut aufgepaßt bei Meisterin Atwood und brav gelernt: Atwood läßt am Ende ihres Buches einen Wissenschaftler bei einem Symposium über die Geschichte der Magd referieren, Alderman umrahmt ihre Erzählung mit einen Briefwechsel eines aspirierenden fiktiven Autors und einer (offensichtlich) mächtigeren Frau, um deren Rat er bittet (der, den er bekommt, ist erwartbar, haut einen aber trotzdem aus den Socken). Das andere? Alderman schreibt eine solchermaßen wunderbar subtile Komik, davor kann man nur den Hut ziehen. Es reißt einen auch oft erst ein, zwei Absätze später und dann liest man den Abschnitt ein zweites Mal, um die feinen Spitzen erst so recht zu goutieren. Ich habe mir lange überlegt, ob überhaupt und wie ich das dritte Ding unterbringe. Es ist eine in epischer Breite geschilderte Vergewaltigung marodierender Soldatinnen an Zivilisten. Merke: es ist vollkommen gleichgültig, welches Geschlecht welchem Gewalt antut, es schmerzt und ist falsch.
Nun bleibt mir nur noch, dieses außergewöhnliche Buch weiterzuempfehlen. Lesen! Lesen! Lesen! Margaret Atwood, auch eine Komikerin vor der Göttin, nennt es “Electrifying”.
Falls sich wer fragt: “Kommt dat Kind bei einem solchen Traumwetter eigentlich auch mal an die Luft?” lautet die Antwort: Aber ja doch, sehr sogar, davon mehr im nächsten blog post. Luft in rauhen Mengen, auch Sonne satt.
* Ah, man hat schon. Aus “The Power” ist in der guten alten Tradition, seine Leser/innen zu unterschätzen, bei Heyne “Die Gabe” geworden.