Neu in der Gegend

Man sollte meinen, als Neu-Kalifornierin hätte ich jeden Tag neues aus dieser Stadt zu berichten, tolle Dinge gesehen, wäre mindestens schon im Nappa Valley und in der Oper gewesen –

– weit gefehlt.

Einen 40+-Stundenjob (der auch ständig neue Herausforderungen bringt, mit denen man so gar nicht rechnet: was zB kostet ein Brief in welcher Größe an Porto und wie geht der Briefkasten an der Straße auf…) und das Neu-Erfinden eines Alltags sind sehr zeitintensiv. Es bleiben mal gerade die Wochenenden oder kleine Feierabendhäppchen, so wie gestern, als Toni und ich “Die Straßen von San Francisco” nachgestellt haben. Unser Büro liegt südlich der Market Street in einem Viertel namens Potrero Hill. Sehr hügelig, teilweise richtig felsig (mit Steinschlagwarnschildern), aber wohl auch eine der erdbebensichersten Gegenden. Wir sind die steilsten Straßen bis ganz nach oben gefahren, und jedes Mal am Ende einer solchen Straße ist ein Stop-Schild. Da kippelt das Auto ganz schön… und ich werde das Gary Larson Bild nicht los, wo am Ende so einer Steigung das große Maul eines autoverschlingenden Monsters wartet. War aber nicht – hingegen hat die Skyline sich so recht ins Zeug geworfen und im Abendlicht mit gülden reflektierenden Scheiben geprotzt. Ein herrlicher Anblick, wir sind augenblicklich in den Touristen-Modus gewechselt, standen mitten auf der Straße und haben Photos gemacht.

Wie gesagt, im allgemeinen bin ich damit beschäftigt, den Alltag zu meistern. So war mir schon seit Tagen nach einem heißen Wannenbad. Das Häuschen verfügt sogar über eine Badewanne, die wie alles von der Cleaning Crew auf Hochglanz hätte gebracht werden sollen. Der Konjunktiv erklärt sich damit, dass die Damen eher zartgliedrige und nicht sehr hochgewachsene Latinas waren und sich offensichtlich weder gerne bückten noch streckten. Auch nicht, um die Badewanne zu schrubben, die es wirklich nötig gehabt hätte. Also habe ich zunächst die Ameisen verscheucht, die sich ein größeres Straßennetz im Bad, Wanne eingeschlossen, aufgebaut hatten. Dann – auf Knien – unter Einsatz größerer Mengen Scheuerpulver – gescheuert. Die Brause kennen wir alle aus “Psycho”, damit ist das Nachspülen auch nicht gerade einfach, aber ich habe es hinbekommen. Einen “der-geht-fürs-erste”-Badezimmerteppich hatte ich letztes Wochenende bei Ikea schon erstanden (bin gespannt, wie lange sich dieses Provisorium halten wird), fehlte also nur noch der Duschvorhang und – ganz wichtig – der Stöpsel.
Ersterer lief mir im Büro zu: unser Vormieter hat riesige Plastikfahnen mit seinem Firmenlogo hinterlassen, eine davon spielt jetzt bei mir Duschvorhang (bis der Container kommt). Letzteren fand ich letztendlich beim Einkaufen bei Target, einem Mega-Giga-Terra-Supermarkt in dem es wirklich alles gibt, von Lebensmitteln bis hin zu Möbeln, teilweise in einer sehr eigenwilligen Logik angeordnet. Da habe ich auch die erste Rolltreppe für Einkaufswägen gesehen. Target hatte dann auch gleich eine größere Auswahl an Stöpseln vorrätig und ich habe mit Glück und Augenmaß die richtige Größe gefunden und mich heute an meinem Bade delektieren können.
Mit einer echten Lightshow im übrigen, denn in der Garage lief die Waschmaschine. Ich glaube, ich hatte schon von ihr erzählt – die wäre das Grauen eines jeden Umzugshelfers. Riesig. Schwer. Und steinalt. Bestimmt Vorkriegsware. Ich habe immer die Vision, wie Doris Day (ich weiß schon, die war Nachkrieg) vor der neuen Maschine steht, Hütchen, Schühchen, Röckchen passend, mit sprayfixiertem Haar und 60-zahnigem Lächeln dem Gatten für die Anschaffung dankend.
Jedes Mal, wenn dieses Monstrum anfängt, Wäsche zu schleudern, wirds hier dunkler. Die Bedienknöpfe sind denkbar einfach; es gibt: Hot/Cold, Hot/Warm, Warm/Cold, Cold/Cold und man kann sich zwischen viel und wenig Wäsche und schnellem oder sehr schnellem Waschgang entscheiden. Ich beginne langsam zu genießen, wenn ich ein noch in München gewaschenes Kleidungsstück anziehe – es riecht nach Heimat.
Meine Nase ist eigentlich das einzige Organ an mir, das so ein bißchen Heimweh empfindet: noch riecht das Haus fremd, und manche Lebensmittel, obwohl sie vom selben Hersteller sind wie daheim, setzen neue Duftmarken.
Als ich vorhin die Wäsche aufhängte, stieg mir der fremde Duft besonders in die Nase. (Zum Glück hab ich im Container noch ein paar Pakete deutsches Waschmittel.) Die Wolken hingen tief, dazu fiel lauer Nieselregen. Ich will einfach hoffen, dass es Regen war, und nicht das eben anlandende Flugzeug irgendwelche warmen Flüssigkeiten abließ.
Jetzt wird es Bettzeit – wünsche wohl gelesen zu haben.

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