Wer schön sein will, lernt was

Als ich den Beauty-Salon oben am Camino betrete, liegen zwei Missen Saigon dekorativ hingegossen auf dem schwarzen Ledersofa und starren gelangweilt auf ihre wohlmanikürten Nägel. Die eine in einem Animal-Print-Catsuit, dessen Spaghettiträgerchen dergleichen Räkeleien nicht mehr lang mitmachen werden, die andere in einem gelbpastelligen Baby Doll, das mit wesentlich weniger Stoff auskommt als seine Vorläufer aus den Fünfzigern; auf dem Boden vor ihnen zwei Paar sehr hochhackiger Sandaletten mit Metallic-Absätzen und Pailletten. Kennen tue ich keine, dabei bin ich dem Laden seit sieben Jahren Stammkundin – es scheint, als habe der Pate mal wieder zugeschlagen und die gesamte Crew ausgewechselt (s. https://flockblog.de/p=9445).

Tiger-Lily fragt nach meinen Wünschen (Pediküre und Brauen zupfen, bitte), nickt gelangweilt und vermittelt dabei anschaulich, daß dergleichen Tätigkeiten unter ihrer Würde sind und allenfalls ins Aufgabengebiet der Azubine fallen. Die wird denn auch herbeizitiert, auf Vietnamesisch instruiert und dann fällt Lily erschöpft auf die Couch zurück und muß ruhen.

Die Kleine scheint frisch von der Kosmetikschule zu kommen und darf noch nicht in mutigen Outfits auf dem Sofa lümmeln, sondern trägt Jeans, T-Shirt und ein Hoodie, wg. Klimaanlage und muß was tun. Sie arbeitet streng nach Lehrbuch und ohne Konversation, weil sie schließlich nicht zum Englischlernen auf dem College war, sondern zum Andereschönmachen. Zupfen tut sie zügig, aber als die Füße drankommen, wird das für mich zur Geduldsübung. Da noch nachfeilen, hier noch ein Schwämmchen, dann noch dieses, da abreiben, hier schmirgeln, noch ein Häutchen schnipsen, dann da nochmal nachbessern, hier rubbeln, da peelen, dann erst dieses Tonikum, dann jenes, dann Schläppchen an die Füße und Wattestränge zwischen die Zehen, Gundierung, einmal aufstreichen, nachstreichen, überlackieren – wer mich wirklich haßt, der schenke mir einen Tag mit alles im Beauty-Salon und treibe mich damit in den Wahnsinn.

Nach über einer Stunde (gefühlt ca. mindestens drei) ist sie (und ich) endlich fertig und ich darf aufs Bänkchen sitzen, um meine leuchtend korallenroten Zehennägel unter einem kühlen Luftstrom zu trocknen. Jetzt hat Tiger-Lily ihren Auftritt. Runter vom Sofa und rein in die Hacken: sie macht das Finanzielle. Und wünscht mir nach abgeschlossener Transaktion noch einen schönen Abend, der dank meiner derzeitigen Arbeitszeitgestaltung (früh kommen UND früh gehen) trotz stundenlangen Nägelanmalens noch ein ganzes Ende früher anfängt als sonst.

Ich hatte mir schon lange vorgenommen zu recherchieren und heute dank der schweigsamen Azubine wieder sehr viel Zeit, um darüber nachzudenken: woran liegt es, daß das Nagel- und Haarbusiness hierzulande so fest in vietnamesischer Hand ist? (In Kalifornien werden 80% dieser Läden von Vietnamesen betrieben.)

Jetzt weiß ichs: Wir erinnern uns, daß sich die Amis unbedingt in Indochina einmischen mußten und daraufhin ab Mitte der Siebziger Jahre vietnamesische Kriegsflüchtlinge (die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt noch an die “Boat People”) zu Hauf in die USA kamen. Tipi Hedren (die Blonde aus “Die Vögel”) war für eine Hilfsorganisation in einem der Auffangzeltlager im Einsatz und “They loved my fingernails. So I thought, ‘I’m going to bring my manicurist.’ She came up once a week and gave them a lesson. They’d all practice on each other; they’d practice on me.” Diese Schönheitsspezialistinnen und alle, denen sie ihr Wissen weitergaben, waren über viele Jahre lang häufig die einzigen Reisverdiener ihrer Familien. Eine Generation später gründete ein junger Mann, der 1975 als Baby mit seinen Eltern aus Vietnam geflohen war, das “Advance Beauty College (ABC)” in Orange County und bis heute haben sie mehr als 30.000 diplomierte “nail technicians” auf amerikanische Finger- und Zehennägel losgelassen. Dergleichen Schulen gibt es inzwischen wie Sand am Meer und bis heute ist Unterrichtssprache oft ausschließlich Vietnamesisch.

So, jetzt wissen wir das auch und brauchen uns nicht mehr zu wundern.

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