Daneben gegangen

Ein vernünftiger Mensch wie ich vermeidet in der Vorweihnachtsdudelzeit das Aufsuchen von Orten an denen Menschen Ware gegen Geld feilbieten; das ist nicht amerikaspezifisch, das habe ich in Deutschland im Dezember auch immer so gehalten. Doch selbst einem vernünftigen Menschen wie mir geht irgendwann die Milch* aus. Auch Obst und Gemüse sind knapp, Sam schuftet zur Zeit bei seinem Chef auf irgendeiner Baustelle und kann mich zu seinem höchsten Bedauern nicht beliefern. Selbst dies und das fehlt, der Einkaufszettel wird zusehends länger. Dann muß ich wohl doch mal los. Irgendwann nach 6pm, wenn die Amis alle beim Essen sind, damit sie pünktlich zur Prime Time die Bäuche voll haben, dann ist der Supermarkt bestimmt leer. Nachmittags optimiere ich die Einkaufsliste nach dem Tonis-Oma-Prinzip, also in der Reihenfolge der abzuklappernden Regale; dann bin ich lässig in einer halben Stunde durch.

Ich hätte es besser wissen können. In Amerika geht man am Wochenende shoppen. Alles. Bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit. Auf dem Camino Real ist an der Einfahrt zur Shopping Mall schon ein ziemlich langer Rückstau, obwohl die jetzt im Advent zweispurig ist. Da lache ich noch und denke mir, wenn die alle in der Mall sind, dann ist der Supermarkt aber ganz bestimmt menschenleer. Bis ich zwei Abfahrten weiter auf den Lucky-Parkplatz abbiege. Mit ca. 12 anderen. Das dauert, denn es geht nach dem 4-Way-Stop-Prinzip. Relativ weit weg vom Eingang, hinter dem Christbaum-Tandler, sind noch Parkplätze frei. Weiah, das wird ein Spaß werden. Wird es. Auf halber Strecke kann ich den Heilsarmeespendensammler schon klingeln hören, in einer zugigen Ecke trägt mir ein kleines großäugiges Mägdelein Schwefelhölzer an (okay, okay, ich übertreibe; es ist Pfadpfinderinnen-Schokolade) und im Eingangsbereich stehen zwei Männer in Schinkenkostümen und verteilen Kostpröbchen “Why not Ham for Christmas?”. Mir doch egal, was ihr Weihnachten eßt. Ich will bloß schnell einkaufen. Schnell? Nix da. Ein Engel manifestiert sich vor mir und will, daß ich “A Slice of Angel Cake” versuche. Ist ja gut, ich mach’s ja. Darf ich dann mal weiter? Nun ist der Engel traurig. Hat mir sein Kuchen nicht geschmeckt? Doch schon, aber… Da lacht der Engel wieder. Das sei ja “awesome” befindet er, dann wollte ich doch bestimmt die Fertigbackmischung kaufen? Wo’s die doch heute zum Supersonderangebot gibt, einen zahlen und zwei mehr geschenkt bekommen for the “Happiest Holiday for you and your Happy Family”. Nein, Engel. Will nicht. Geh weg! Energisch schiebe ich meinen Einkaufswagen an die Frischwurschttheke. Der stärkstpigmentierte Verkäufer ist schwarzbemützt (1 weißer Bommel), die Asiatin grün (1 roter Bommel), der Kaukasier rot (flusselige Bommelreste in Eierschale), der Latino auch rot (2 dicke weiße Bommel – warum denke ich jetzt an cojones?) und sie sind in ein angeregtes Gespräch, vermutlich über Bommel, vertieft – es braucht zwei nachhaltige “Xcuse me”s, bis man mir ein paar Radel German Bologna abzusäbeln beliebt (ausgesprochen wird das hier “balloni”). Nur zum Fest gibt es “Bacon Crust Turkey Breast”, damit der Vogel nicht gar so mager daher kommt. Hier kann man immer alles probieren, und wat soll isch sagen, mit ordentlich Speck schmeckt auch Pute gut. Da nehme ich ein Viertelpfund.

Den Brotstand blockiert ein fetter Santa, der mir erst mit “HoHoHo” kommt und dann mit dem Ansinnen, doch ein paar von den apart in seinem Gabensack drapierten knapp einen Meter langen “Boxes of Chocolates” zu erstehen. Wenn ich fünf nehme, gibt es zwei noch obendrauf und das sei doch ein so ein hübsches Last-Minute-Geschenk für den Hausmeister oder die Lehrerin oder den Postboten oder so. Bevor er mir noch weitere Dienstleister aufzählen kann, schalte ich meinen German Akzent ein und steche mit einem “I neet breat” an ihm vorbei. Frisches Brot war heute offensichtlich der Renner, ein paar versprengte Laiberl liegen noch aus. Kein Wunder bei den Geschmacksrichtungen: Knoblauch und Zimt, Zwiebel und Cranberry und hah! ein gemischtes Korn. Das ist meins! Haken auf die Liste, weiter.

snack trayIn der Kühltheke, wo sonst die Milch ein friedliches Dasein mit anderen Molkereiprodukten fristet, ist der Snack-Tray-Wahnsinn ausgebrochen. Fertig Geschnipseltes in allen Geschmacksrichtungen. Nur Wurst. Nur Käse. Gemischt. Mediterran, das heißt, inklusive Oliven. Vegan = vor allem Möhren. Alles. Und in allen Größen und immer gleich fertig eingeschweißt mit Crackers und Dips. Haltbar bis irgendwann 2014. Ich will doch bloß Milch – wo ist die hingekommen? Die, belehrt mich der Mitarbeiter, der gerade schon wieder Trays nachfüllt, ist “in the season” hinten bei der Butter. Butter? Guter Input. Nehme ich auch eine. Komme aber nicht ran, denn vor den fettigen Brotaufstrichen hat sich die Blue-Bonnet-Margarine-Lady breitgemacht und will mit mir besprechen wie ich gesünder leben kann. Ich will aber nicht. Ich will Butter und Milch und dann raus aus dem Laden, meine Ohren dröhnen schon; man hält es hier mit der Reihenfolge: 1 Weihnachtsdudellied/1 Durchsage über die Holiday-Öffungszeiten – am Heiligen Abend nur bis 8pm und dann wieder am 26. Dazwischen liegt der eine freie Tag, der selbst den Mitarbeitern der Lucky-Family gegönnt wird. “Be prepared, shoppers!”

Gaaahhh, ich habs so dick! An allen Kassen lange Schlangen und Kunden mit randvollen Einkaufswägen. Obwohl ich so disponiert habe, daß ich dieses Jahr höchstens noch einmal Milch brauche, sieht meiner dagegen doch recht mickrig bestückt aus. Egal. Alles aufs Band – und nein, ich möchte keine meterlangen Chocolate Boxes. Vielen Dank. Auch keine Viererpackung Christmas-Fudge in drei Geschmacksrichtungen. Bitte. Aufhören. Die spielen schon wieder Rudolph…Ich will jetzt zahlen und heim, sonst laufe ich Amok! Raus hier! Einladen und weg – und nein, ich brauche keinen Weihnachtsbaum!

Ich habs hinter mir. Daheim dudelt keiner. Alles ist verstaut und mein Projekt für 2014 ist: H-Milch für Amerika. Oder zumindest für mich.

 

* In Amerika gibt es keine H-Milch zu kaufen. Da die sonst alles zu Tode pasteurisieren können, habe ich die Große-H-Milch-Verschwörungstheorie entwickelt. Fast jeder braucht Milch, vor allem im Lande der Frühstücksflocken. Also geht er welche nachkaufen. Selbst wenn es eine ganze Gallone ist sieht das eine Milchle in den Rieseneinkaufswägen immer so verloren aus und heischt quasi nach Gesellschaft. Dann besorgt man eben noch dies und das. Sowie jenes. Klingt ziemlich plausibel, finde ich.

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