Baustelle

Seit Montag empfiehlt es sich für mich, dickere U-Bahnbücher einzupacken, da im Untergrund Bauarbeiten stattfinden, die zur Folge haben, dass ich zwei Mal umsteigen und zwei Mal eine Weile warten muss, um bis in die Innenstadt zu kommen. Ein Umstand, dem ich wahrscheinlich in 14 Tagen nachweinen werde, denn dann ist bis Ende Mai nur noch SEV* und meine Haltestelle komplett gestrichen.

Die MVG informiert schon seit Wochen mit Durchsagen und Aushängen und Info-Flyern in den U-Bahn-Stationen über diese Baumaßnahmen, man hat mir sogar eine Broschüre in den Briefkasten geworfen. Nichtsdestotrotz hat es viele Menschen am Montagmorgen vollkommen überraschend getroffen, dass jetzt gerade nichts mehr so ist wie sonst. Zum Glück für solche Leute gibt es meine Freundin Frau L. aus M. (seit neuestem zarte 78 Jahre alt), die eine sehr hilfsbereite Natur ist und “den alten Leuten” sagt, wo’s lang geht.

* “SEV” steht für Nicht-Öffentliche-Verkehrsmittelbenutzer für “Schienenersatzverkehr” und dafür, dass überfüllte Busse die Menschen, die sonst flott mit der U-Bahn von hier nach da fahren, irgendwohin spedieren.

Ganz frisch in der ARD-Mediathek: “Spuren”

Sehr sehr schön.

Die Serie basiert auf dem Sachbuch “Soko Erle” des ehemaligen Freiburger Polizeisprechers Walter Roth und das ist auch ihr Tenor. In vier Dreiviertelstundenteilen werden Morde an zwei jungen Frauen aufgeklärt. Und zwar in mühseligster Kleinarbeit. Statt spektakulären Y-Schnitten auf Edelstahlseziertischen und coolen Pathologen mit Wurstbroten sieht man Proben, Reagenzgläser, Pipetten und Zentrifugen, statt reißerischer Bilder halbnackter Opfer detaillierte Tatortsicherung und es ist nicht der eine genialische Ermittler mit dem schlimmen Trauma oder sein weibliches Äquivalent, der in einem Geistesblitz alles aufklärt, sondern ein Team, das sich erst zurechtruckeln muss und dann mal müde und erschöpft ist und grätzig untereinander, aber auch, trotz alledem, weitermacht. Immer noch weiter. Selbst, wenn die Aufklärungsarbeit der SoKo sich über mehr als ein halbes Jahr hinzieht.

Großes Drama ohne Drama. Ganz unbedingt empfehlenswert und sehr sehr gut und stimmig besetzt. Ich möchte im übrigen anmerken, dass ich schon im Oktober 2020 darauf hingewiesen habe, dass man sich Liliane Amuat merken soll (s. https://flockblog.de/?p=42701). Die gibt in dieser Verfilmung die Staatsanwältin und macht das ganz ausgezeichnet.

Nachtrag für Frau S. aus D.: Mir will scheinen, dass wir nun die perfekte Arbeitsteilung gefunden haben. Du trüffelschweinst, was deutsche TV-Produktionen hergeben und ich kümmere mich derweil um die Angelsachsen. Anschließend sagen wir die guten Sachen einander weiter. Deal?

Nimmer ganz neu zum Strömen: “The Night Manager”

“The Night Manager” ist ein sechsteiliger extrem atmosphärischer und sauspannender Spionage-Waffenhandel-Thriller, glänzend inszeniert von Susanne Bier, basierend auf einem – stark aktulisierten – Buch von John le Carré und besetzt mit erstklassigen britischen Schauspielern, u. a. Olivia Colman, Tom Hiddleston und Hugh Laurie (Reihenfolge alphabetisch), um nur einmal drei meiner persönlichen Favoriten zu nennen.

Wer sich einen langen Winterabend lang gut unterhalten und in die Welt perversen Reichstums sowie politischer Verstrickungen mitnehmen lassen will, ist mit dieser Kurzserie sehr gut bedient.

Fehlzündungen

“Ich dir, es bringt nix, um den heißen Brei herumzugehen.” Recht hat sie, die Dame hinter mir an der Supermarktkasse.

Gestern Abend im Resi: “Gegen den Hass” – Lesung von und mit Carolin Emcke und Ensemble

Wegen der großen Nachfrage hatte das Residenztheater die ausverkaufte Veranstaltung dankenswerterweise kostenfrei live gestreamt.

Und? Ja. Hmmm. In einem unaufgeregten Setting (Tische, Stühle, Menschen mit Texten) wurden wohlgesetzte Worte von gut geschulten Stimmen vorgetragen. Gegen Hass und Häme, für gleichberechtigte Teilhabe aller an der demokratischen Gesellschaft, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen, Gesundheitszustand, Behinderung, Alter. (Wenn ich noch was vergessen haben sollte, liegt es an mir und nicht an Frau Emcke.)

Emcke ist unbestreitbar sehr klug und kann ihre Gedanken exzellent formulieren. Es mag an mir und meiner Neigung zum Zynismus liegen, dass ich den Eindruck hatte, dass dergleichen edle, gute und hehre Veranstaltungen wenig hilfreich sind im Angesicht blökender und brüllender Mißachter von Gesetz und Umgangsformen. Inzwischen habe ich Zweifel an der so oft berufenen Wehrhaftigkeit der Demokratie und Angst, dass die Erwartung, sie sei schon stark genug, naiv ist.

Wie sehr lautes Pfeifen im sehr dunklen Wald.

Ad Astra

Für einen winzigen Augenblick ging mir durch den Kopf, dass “Space Cowboys” doch schon lange abgedreht ist und die Schauspieler damals besser aussahen.
Dann war wieder Realität.

Busuu i̇le türkçe öğreni̇yorum

Danke an Frau S. aus D., die mir einen kostenfreien Premiumtestzugang zu Busuu geschenkt hat. Nun lerne ich also jeden Tag zwischen einer halben und einer ganzen Stunde Türkisch. Ich könnte schon behaupten, dass ich/du/er/sie/wir/ihr/sie Anwältin, Lehrerin, Verkäuferin, Studentin, Arbeiterin ist/sind, groß oder klein, glücklich oder traurig, jung oder alt, braun- oder blauäugig, arbeitslos und gutaussehend (kein Antonym bis jetzt). Außerdem andere nach ihrem Namen fragen, sie begrüßen und verabschieden.

Für gerade mal am Montag angefangen finde ich das nicht übel, wenn auch sehr anstrengend und fordernd. Ich werde weiter berichten.

Hoşçakalın, allesamt.

Wiedergelesen: Elizabeth Acevedo – “The Poet X”

Ich bin gespannt, wie lange es noch dauern wird, bis ich mir endlich eingestehe, dass das mit der Neuorganisation der Biblikothek der Casa Flock so nicht funktioniert. “So” heißt, dass ich wieder ein Buch in die Hand nehme, mit dem Ziel, es ordentlich einzusortieren, nach Genre oder Autor oder so und dann dem Zauber des Wiederlesens verfalle und wusch, ist die Nacht um.

Macht nix. Ich habe ja Zeit und bin jetzt einfach mal nachsichtig mit mir. Wer Zeit hat, lese dieses sehr starke Buch; ich habe meiner ersten Empfehlung nichts hinzuzufügen.

Rentenbescheid

Morgen vor vier Wochen war mein vorerst letzter Arbeitstag. Nun habe ich schon fast vier Wochen Urlaub inkl. Überstundenabbau hinter mir und nenne diese Phase probeweise schon einmal “Rente”.

Erstes Fazit: ich hätte das schon viel früher machen sollen. Viel früher.

Nie, nie, nie hätte ich erwartet, dass mir, die ich operativ bis zur letzten Minute in alle möglichen Themen involviert war, schon nach zwei, drei, vier Tagen nichts mehr fehlt. Außer den Menschen natürlich. Und dem Klatsch. Aber die Arbeit? Die Verantwortung? Die Weltrettung? Aber so dermaßen kein Stück, ich bin selbst ganz verblüfft.

Stattdessen genieße ich es wie verrückt, wieder, wahrscheinlich das erste Mal seit den großen Ferien meiner Schulzeit, bis zum Morgengrauen zu lesen (@PA – it did happen for the fifth time by now) und wenn das Buch zu Ende ist, in den Tag hinein zu schlafen. Zu essen, wenn ich Hunger habe und nicht, wenn Mittagspause ist oder eine Lücke zwischen zwei Telefonkonferenzen oder die Kollegin im Hunsrück auch gerade Zeit hat und wir während einer Abstimmung oder zur Vorbereitung eines nachfolgenden Termins schnell vor dem Rechner gemeinsam Nahrung zu uns nehmen (also jede vor Ort für sich) und dann reden, während die andere kaut. Überhaupt essen: ich habe Zeit, gute Gerichte zuzubereiten. Nicht mit Hinblick darauf, ob sie am nächsten oder übernächsten Tag in der Mikrowelle im Büro noch gut aufgewärmt werden können, sondern nur mit der Maßgabe, ob ich gerade jetzt Lust auf gerade das habe.

Meine Pinwand ist gespickt mit Eintrittskarten für Theater und Lesungen und Konzerte und Kabaretts und Veranstaltungen wie diese heute Abend: https://www.residenztheater.de/stuecke/detail/gegen-den-hass?lm und ich habe Zeit dafür und muss mir keine Gedanken darüber machen, ob oder nicht ich morgen früh früh raus muss. Ich muss nicht. Das ist einer der schönsten Nebeneffekte der Nichtmehrberufstätigkeit, dieses Nicht. Nicht mehr Weckerklingeln. Nicht mehr fremdbestimmt. Meine eigenen Gedanken denken und nicht die Sorgen anderer Leute haben. Hach!

Wenn es mir jetzt noch gelingt, in diese Routine regelmäßigen Sport einzubauen, darf dieses sehr dolce vita noch lange so weitergehen.