Nimmer neu im Kino: “Cruella”

Eine schwer dominante sehr elegante Chefin in der Modewelt terrorisiert ihr gesamtes Umfeld, insbesondere den ihr treu ergebenen kahlköpfigen Majordomus (der Titel scheint mir am besten zutreffend) und die begabte mausige Nachwuchskraft mit der dicken Brille und der zotteligen Ponyfrisur. Adabei: ihre drei Dalmatiner. An diesem letzten Detail ist zu erkennen, wie frech Disney den Prada tragenden Teufel gekapert / geklont / geklaut hat und jetzt so tut, als handele es sich um eine Fortsetzung des 60er-Jahre-Vielmehrhunde-Zeichentrickfilms.

Dame Emma Thompson gibt mit erkennbarem Spaß* an der grausamen Freud die “Baronesse”, Mark Strong ihren Stanley Tucci und Emma Stone das Hascherl mit dem Vivienne-Westwood-Twist. Der Film ist bis in die Nebenrollen sehr gut besetzt und eigentlich auch nicht ganz ununterhaltsam, ach was, er ist recht lustig und schmissig und immer wenn aus der Graumaus Estrella die Cruella mit den Zebrastreifenhaaren wird, sind die Bilder, Musik und Kostüme toll. Ich will ihn hauptsächlich nicht mögen, weil Disney sich wieder so derart schamlos an anderer Leute Erfolgen bedient und sie vereinnahmt. Ja, gut erkannt, mein Mary-Poppins-Trauma sitzt tief.

Man kann sich das trotzdem ansehen. Muss ja nicht jeder meinen Hass auf Disney teilen.

* Wer “Don’t look up” gesehen hat, weiß, wie sie das macht… (s. hier: https://flockblog.de/?p=45886).

Gelesen: John Green – “The Anthropocene Reviewed”

Stell dir vor, es ist Pandemie. Du bist isoliert und unwissend, verunsichert und du hast Zeit. So wahnsinnig viel Zeit. Der Schriftsteller Green hat einen Kopf voller Gedanken, Fragementen, Ideen, Fragen, Nachdenkereien und, wie alle ab März 2020, so wahnsinnig viel Zeit, zu recherchieren, weiter nachzudenken und einen ganzen Kessel Buntes zusammenzuschreiben. Über Hotdogfreßwettbewerbe und Höhlenmalerei, “Mein Freund Harvey”, Diet Dr. Pepper, den FC Liverpool, Monopoly und seine Lieblingsband. Und. Und. Und.

Green hat seine berufliche Laufbahn als Literaturkritiker begonnen und Unmengen gelesen, kein Wunder, dass es in jedem dieser Essays von Zitaten nur so wimmelt. Er sagt dazu im Nachwort (frei übersetzt): “Mir will scheinen, dass das Buch voll von Zitaten ist – möglicherweise sogar übervoll. Ich bin halt selbst überfüllt mit Zitaten. Lesen und Wiederlesen sind mein Lebenselixir.”

Kenn’ ich. Kenn’ ich nur zu gut. Bis ich allein die Literaturliste aus den Zitaten abgearbeitet haben werde…

Er erwähnt, dass die deutsche Übersetzerin für die hiesige Variante den Titel “Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?” gefunden hat. Sehr treffend. Es liegt in der Natur der Sache, dass einen nicht jeder Artikel anspricht. Wer Zeit hat, lese, und finde heraus, welche bei ihm oder ihr Saiten zum Klingen bringen.