Nathan der Weise im Volkstheater

Sehr geehrter Herr Stückl,

wir scheinen uns einig zu sein, dass der Herr Lessing kurz vor der französichen Revolution das große Stück der Aufklärung und ein Plädoyer für Toleranz verfaßt hat und sprachlich so sehr begabt war, dass Sie, Herr Stückl, in Ihrer Inszenierung auch einige Textzeilen im Original belassen konnten. Des weiteren, dass zu einer ordentlichen Weltreligion eine ordentliche Kleiderordnung gehört, weswegen Sie, Herr Stückl, die Muselmanen in Hängehinternharemshosen, Kaftan und Kopfwickeln auftreten ließen, die Christin im knitterfreien 50er-Jahre-Treviera-Kostüm in Madenbauchbeige und den Christen in der ebenso gräßlich beigen Hochbundhose aus dem Partnerlook-Ensemble für den Herrn und mit Uniformhemd, weil Tempelherr und den Juden schließlich im Mallorca-Rentner-Outfit mit Unfarbgraublouson und Bequemschuhen. Was sagen Sie? Nicht das Scheußlichgewand, die Yarmulke dazu sei die Botschaft gewesen? Ah so. Nun gut. Und darum trägt des Nathansche Ziehkind Recha auch so ein Ichweißnichtwas-Kleidchen mit riesigem Rückenausschnitt, weil sie zwar getauft und damit per definitionem Christin ist, aber im jüdischen Glauben großgezogen wird? Ja? Das hätte ich am Christenbeige des Modells erkennen können, wenn ich aufgepaßt hätte? Wenn Sie das sagen…

Manchmal bin ich anscheinend geradezu hartnäckig doof – erklären Sie mir doch bitte, Herr Stückl, was Sie uns mit der schwarzparkettenen Bodenwellenbühne sagen wollten? Sowas wie “meine Schauspieler schaffen es auch in hohen Schuhen auf dem Ding ohne Stürze rauf und runter zu rennen”? Wieso haben Sie im zweiten Teil so stark gekürzt, dass die Stimmungswandel des Tempelherren nur mit einer schweren Persönlichkeitsstörung zu erklären sind und warum wurde er keinem Arzt vorgestellt? Bedeutet Nathans stumme Zigarette danach, dass August Zirner (im übrigen ein brillianter Nathan!) es keine Minute länger ohne Nikotin ausgehalten hätte oder soll sie eine tiefere Bedeutung haben und wenn ja, welche? Und warum, Herr Stückl, können Sie einfach keine Frauen?

Ich verlasse das Theater so ungern mit offenen Fragen und sehe Ihrer Antwort daher freudig entgegen. Beste Grüße und so weiter.

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